Hagen Rether im Prinzregententheater

"Ist doch alles gut!"

von Eveline Kubitz

Puristische Bühnenchoreographie, geniale Rhetorik: Hagen Rether. Foto: Oliver Schwabe

Hätte man das mal vorher gewusst, man hätte sich einen Müsliriegel eingepackt. Oder Traubenzucker. Oder was auch immer diese Radsportler essen, um dem Körper kurz vor dem Endspurt – eigentlich schon im Wachkoma – nochmal Energie zuzuführen. Matt hält man sich an den Rückenlehnen der Theaterstühle fest, als man nach dreieinhalb Stunden Hagen Rether das Prinzregententheater verlässt. Selten sind dreieinhalb Stunden sitzen so fordernd, so anstrengend, so bleischwer und so inspirierend und federleicht zugleich.

Eigentlich passiert nicht viel. Der Kabarettist sitzt auf einem roten Bürostuhl, nestelt viel an Fingernägeln und Anzug herum, reibt sich immer wieder die Augen. Das war's aber im Grunde mit der Bewegung auf der Bühne, selbst der edle Flügel neben Hagen Rether kommt kaum zum Einsatz, ist vielmehr bloße Dekoration, auf der sich Bananen herrlich passend unpassend türmen. Die Art und Weise, wie Hagen Rether erzählen kann, ist einzigartig im deutschen Kabarett: Ruhig und ganz leise; sonor und ganz tief; wie beiläufig und extrem charismatisch. Während er von der Gesellschaft Entspannung und Entschleunigung fordert, verlangt er dem Publikum alles an Konzentration und Anstrengung ab: Seine rasanten Gedankensprünge hechten von politischen Talkshowgästen, die gemeinsam mit ihren Sesseln irgendwo in der Uckermark gezüchtet werden, über Waffenhändler, Merkel und den Papst bis hin zu Sextouristen und Männern, die dreißig Jahre lang Bier trinken, um sich dann mit fünfzig zu wundern, dass sie Brüste haben.

Eben wischt man sich noch Tränen aus den Augen, als er die Schlussszene aller Asterix-Geschichten mit unserer Gesellschaft vergleicht: Der Einzige, der lesen und schreiben kann, der dichtet und Lieder singt, wird an einen Baum gefesselt, der Rest frisst die ganze Nacht Schweine. Im nächsten Moment schon bleibt das Lachen im Halse stecken: "Jede fünfte Frau ist Opfer häuslicher Gewalt, statistisch gesehen sind also die Täter hier heute unter uns."

Passend unpassend: Bananen auf dem Flügel. Foto: Oliver Schwabe

Das ist nicht lustig, das soll es auch nicht sein. Es ist totenstill im Saal, aber Hagen Rether hält diese Stille aus. Er biedert sich dem Publikum nicht an, mit allgemein gesellschaftlich abgenickten Missständen, die man witzig, effekthascherisch herunterbeten könnte. Wo andere Comedians und Kabarettisten mal sehr gut, mal eher nervig imitieren, herumbrüllen, mit großen Gesten untermalen und unterstützen, nutzt Hagen Rether nur seine Stimme. Dadurch fokussiert sich die Aufmerksamkeit zwangsläufig auf den Inhalt, auf die Argumentation, auf die Beobachtungen. Diese sind so feinsinnig attestiert, so klug kontextualisiert, so pointiert und eloquent auf den Punkt gebracht, dass er dem Publikum vollkommen kompromiss- und mühelos eine eigentlich unbequeme, anstrengende Selbstreflexion aufzwingt: "In Spanien verkaufen Leute ihre Organe um die Miete bezahlen zu können, hier regt man sich über die Bochumer Stadtwerke auf." Und immer wieder, wie ein Mantra: "Was reg' ich mich auf?! Ist doch alles gut!".

Man könnte ihm stundenlang zuhören, diesem klugen, philosophischen Mann: "Noch nie waren wir so satt und sicher wie jetzt momentan. Unsere Großeltern haben gefroren, unsere Enkel werden wieder frieren. So gut wie jetzt wird’s nicht mehr.“ oder "Wählen gehen ist wie Zähne putzen. Wenn man's nicht macht, wird's braun." Selbst wenn er zwanzig Minuten über seine CD redet, die es später draußen zu kaufen gibt, wobei, eigentlich: "Lassen Sie’s sein, ist doch alles Käse!“. Hier – endlich – zumindest bei letzterem, kann man ihm mal vehement widersprechen.

Hagen Rethers Programm "Liebe" ist nochmal zu sehen im Deutschen Theater, am 07. Januar 2013, 20 Uhr.

Veröffentlicht am: 04.12.2012

Über den Autor

Eveline Kubitz

Redakteurin

Eveline Kubitz (1986)ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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