Mit Altbekanntem auf Stimmenfang - Martin Sonneborn im Volkstheater

von Jan Stöpel

Noch steht der Wahlkampf in Bayern nicht vor der Tür, da geht „Die Partei“ dort schon auf Stimmenfang: Der ehemalige Titanic Chefredakteur Martin Sonneborn berichtete im voll besetzten Foyer des Münchner Volkstheaters über Parallelgesellschaften in Deutschlands „Nahem Osten“ und schafft es, trotz vieler Routine witzig zu sein.

Eine Familie zieht um in eine Fünfzimmerwohnung, merkt erst nach einiger Zeit, dass sie in Wirklichkeit in einer Vierzimmerwohnung lebt. Da alle Wohnungen mit selber Zimmeranzahl, ob in Leipzig, Halle oder Ostberlin, den selben Grundriss haben, stellen sie fest, dass irgendwo noch ein Zimmer sein muss. Durch Klopfen an den Wänden entdecken sie den vergessenen Raum, der Durchgang ist zugemauert worden, dahinter verbergen sich Unmengen von Leergut und – eine Betonmischmaschine. Was machste mit den besten Fünf-Jahresplänen, wenn die Arbeiterkolonnen, voll des würzigen Bieres, einfach den Laden dichtmachen?

Wenn Martin Sonneborn von Deutschlands „Nahen Osten“ oder der „Zone“ erzählt, klingen die Geschichten manchmal gruselig, oft verschroben und immer exotisch. „Es hat sich dort eine Parallelgesellschaft gebildet“, meldet Sonneborn mit todernstem Gesicht und fährt fort mit den Geschichten von den wunderlichen Nachbarn. Ein anderer Kulturkreis lebt dort von Transferleistungen, spricht seltsame Sprachen und lässt sich einfach nicht integrieren. So ist es nur folgerichtig, dass „Die Partei“, der Sonneborn vorsteht, die Mauer wieder aufbauen will, im Falle eines Wahlsieges natürlich. „Das Gewinnen ist Formsache“, sagt Sonneborn. „Wir müssten nur mal antreten dürfen“.

Nun ist Sonneborn nicht nur „Partei“-Chef, sondern vor allem ehemaliger Chefredakteur der Titanic. Weswegen zur Einstimmung auf Sonneborns Auftritt im Foyer des Münchner Volkstheaters erst einmal Titelbilder der Titanic auf die Videowand geworfen werden. Ahmadinedschad, der behauptet, „Die DDR hat es nie gegeben“, Merkels neue Gesichter, ein neuer ungeheurer Verdacht – Hitler, ein Antisemit? Man kennt sie, die Bilder und goutiert sie dennoch mit Gelächter – Titanic gehörte eben einfach zur satirischen Grundausbildung.

Das ist alles ein bisschen her, auch die „Partei“ ist nun kein neuer Gag mehr, doch immerhin ist sehens- und hörenswert, was Sonneborn so über seine Deutschland-Visiten plaudert. Er liest von olfaktorischen Altlasten, von surrealen Begegnungen in Dresden, in denen ein Uhrmacher seine Ware hinter Vorhängen versteckt und ein Haus lautlos in einer Staubwolke zusammenfällt.

Filme entführen die Zuschauer in die Pampa. Es geht um im Osten endgelagerte fränkische Bürgermeister, um Sarrazin, um aus dem Boden schießende Erlebnisbäder, um hilflose Pharmavertreter, die eigentlich gar nicht sagen wollen, was sie dann doch treuherzig sagen: Es sei ein Glücksfall, dass Leute den Weg in die Apotheke fänden, anstatt ihre Medikamente im Internet zu kaufen. Nicht etwa, weil sie im Internet ordentlich daneben langen könnten, nein: weil die Arzneien dort ja „viel preiswerter“ seien.

Man sieht, es geht Sonneborn gar nicht um die Ex-DDR. Deutschlands wilder Osten ist überall, „Zone“ gibt’s auch zwischen Flensburg und Garmisch. Sonneborn schnoddert seine Beiträge herunter, heute in „Dings“ (München kommt ihm nicht über die Lippen) nicht anders als gestern in Mannheim. Bei aller Routine ist der Mann noch immer witzig – weil er auf die Widersinnigkeiten des Alltags setzt, die halt einfach schwer zu übertreffen sind.

Als Leiter eines Google-Home-View-Teams macht Sonneborn den Leuten vor, er müsse parallel zu Streetview nun die Wohnungen ablichten – von innen. „Ich weiß“, sagt ein älterer Mann und bittet Sonneborn ohne weitere Umstände in sein trautes Heim.

Veröffentlicht am: 17.03.2011

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