Elend im lila Disco-Ballroom

von Gabriella Lorenz

Das Ende der "Roaring Twenties" in den Kammerspielen: Eigentlich handelt Horace McCoys Novelle "They Shoot Horses, Don't They?" von den Missständen in der Bevölkerung zu Zeiten der Weltwirtschaftkrise. Regisseurin Susanne Kennedy reduziert die Handlung in ihrer Bühnenadaption auf drei Figurenpaare und stellt diese in den Mittelpunkt. Eine Geschichte entwickelt sich daraus leider nicht.

Wer hier eintritt, tut gut daran, alle Hoffnung fahren zu lassen. Den Darstellern, die man beim Eintreten wie ein sich in Zeitlupe bewegendes Wachsfigurenkabinett sieht, ist die Resignation schon grau ins Gesicht geschminkt. Der Zuschauer merkt an den unbequemen Sitzbänken, dass auch er gemeint ist, wenn der Moderator sagt: „Wir wollen euch hier leiden sehen, wir wollen euch sterben sehen.“ Wer sich auf Susanne Kennedys Inszenierung „They Shoot Horses, Don't They?“ einlässt, muss 100 sehr lange Minuten hoffnungslos mitleiden bei diesem Tanzmarathonim Werkraum.

Tanzmarathons, die oft über mehrere Wochen gingen, waren in den USA in den 20er und 30er  Jahren äußerst beliebt als Unterhaltungsshows. Sie sind die Vorläufer der heutigen Reality-TV-Shows, wo man so gerne geltungssüchtigen Mitmenschen beim Scheitern zusieht.  Horace McCoy beschrieb das Phänomen 1935 in seinem  Roman „They Shoot Horses, Don't They?“, Sydney Pollack verfilmte diesen oscarprämiiert 1969 („Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“). Glamour und Show verweigert die Regisseurin Susanne Kennedy: Bei ihr sind alle in einem Limbus gelandet,  in dem die Wahrnehmung verschwimmt. Sie inszeniert ein Niemandsland der ewigen Wiederholungen. Zeit und Raum haben sich aufgelöst haben, die Figuren sind nur noch Zitate amerikanischer Filmgeschichte.

Bert Neumann hat den Werkraum für die ganze Spielzeit als lila Disco-Ballroom eingerichtet, darin lässt Jil Bertermann ein Mikro von der Decke baumeln für den kettenrauchenden Moderator, der seine Kippen auf einer kleinen Metallplatte austritt (soll man das ein Bühnenbild nennen?). Auf dem Mini-Zentrum  dürfen alle Marathon-Teilnehmer, die sich sonst nur mechanisch wie Zombies bewegen, mal kleine Soli abgeben. Personen oder Geschichten werden daraus nicht.

Bei Kennedy sind die fünf Tänzer mit ihren Sehnsüchten und Hoffnungen alle schon in einem undefinierten Jenseits und längst Klischees: Die beinharte Gloria mit blinkender roter Minnie-Maus-Schleife in der 40er-Jahre-Haartolle (Cigdem Teke) kreiselt sich fast zu Tode und schleppt ihren Partner auf dem Rücken durch die Endrunde, die sentimenale Schauspielerin Alice (Anna Maria Sturm als Monroe-Zitat) in rosa Tüll mit Federn in den blond-rosa Locken und verschmiertem Schmollmund rezitiert „Hört meine Seele sprechen“. Warum muss Nico Holonics mit nackt wabbelndem Plastikbauch und Dreitage-Bart unter der blonden Perücke eine Hochschwangere spielen?  Walter Hess als Seemann und Kriegsveteran, Lasse Myhur einesr als superman-ähnlich ausgepolsterter Muskelmann mit Boxhandschuhen (zweifelsohne das Zitat einer Film- oder Comic-Figur, die ich leider nicht kenne) - und dazwischen Thomas Schmauser als Moderator im hautengen Trikot mit sehr langem blonden Haar. Der entspricht keinem lustigen Moderatoren-Klischee, sondern ist selbst schon zum Sterben müde und traurig und damit die ergreifendste Figur eines sonst wenig ergreifenden Abends. Schade, dass der durchaus eigenwillige Regie-Ansatz von Susanne Kennedy leider nirgendwo hinführt.

Werkraum, 2., 8., 10., 23., 25., 27., 29. März, 20 Uhr, Tel. 233 966 00

Veröffentlicht am: 02.03.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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