Das Isango Ensemble mit "Impempe Yomlingo" auf Tollwood

Kapstadt tanzt den Salzburger Schmäh

von Clara Fiedler

"Der Hölle Rache": Pauline Malefane als Königin der Nacht. Foto: Keith Pattison

Das Tollwood-Festival bietet neben allseits begrüßtem kulinarischem Idealismus auch alle halbe Jahre ein sehenswertes Kulturprogramm. Diesen Winter geben sich unter dem Motto "Klassik anders" Künstler die Ehre, die klassische Werke uminterpretieren. Darunter befindet sich auch das Isango Ensemble mit "Impempe Yomlingo", einer südafrikanischen Adaption von Mozarts Singspiel "Die Zauberflöte".

Das Zelt ist gut besucht, die Gespräche am Tisch verraten jedoch, dass keiner so recht weiß, worauf er sich da einlässt. Spannung liegt in der Luft, als der Dirigent in einem weißen T-Shirt und einer lässigen Hose die Bühne betritt und anschlägt. Die Ouvertüre erklingt, genau so, wie man sie kennt. Nur eben von einem Marimba-Orchester. Die Interpreten sitzen nicht im Orchestergraben auf Stühlen vor ihren Notenpulten, sondern stehen, ja, tanzen hinter ihren Instrumenten zu der Musik. Es ist, getreu dem Motto, "Mozart anders". Es ist immer noch Mozart, mit seinem Salzburger Charme, seiner tiefgründigen Verspieltheit, seiner leichten Art von Wehmut. Aber wie jedes große Werk bietet auch die Zauberflöte die Möglichkeit, verschiedene Aspekte ihres Wesens stärker herauszuarbeiten.  Und diese Inszenierung vermittelt tatsächlich mehr, als eine Ahnung von der Spiritualität und dem Gemeinschaftssinn, wie er in Afrika anders, womöglich sogar besser, gelebt wird als hierzulande.

Prinzessin Pamina und die drei lebenslustigen "Spirits". Foto: Keith Pattison

Die Instrumentierung beschränkt sich hauptsächlich auf  Schlagwerk, die Harmonien und Melodielinien werden von einem Chor aufgefangen, der immer wieder in Gospelgesänge umschlägt, es wird getanzt, gefeiert, gelacht. Es fallen Sätze wie "Are you crazy, man?", die drei Knaben aus dem Original-Libretto sind drei Damen in rosa Kostümen mit Handtäschchen und unglaublichen Stimmen. Das Bühnenbild ist spartanisch, es gibt wenig Effekte. Es ist die einzigartige Wirkung eines humorvollen Respekts, einer liebevollen, ausgelassenen Ernsthaftigkeit, wie sie die Afrikaner haben, und die einen an dieser Inszenierung fasziniert. Die Stimmen sind ausgebildet, kunstfertig, aber auf eine andere Art lebendig als hierzulande. Pauline Malefanes Königin der Nacht, die das "Böse" darstellt, kann man nicht wirklich hassen. Man kann allerhöchstens Unverständnis für ihr Verhalten aufbringen. Selbst als sie mächtig und zornig auf der Bühne steht, "Der Hölle Rache" singt, voller Ausdruck, virtuos, so stark, dass man Gänsehaut am ganzen Körper bekommt, haucht sie der Figur immer noch genug Herz ein, so dass man sie hinterfragt. Sarastro, der Sonnenpriester, interpretiert "In diesen heil'gen Hallen" komplett solo, ohne Begleitung, trocken, aber tief. Ein König, der durch seine bloße Menschlichkeit lebt. Meisterhaftes Verständnis für die Figur, die so viel Wärme ausstrahlt. Pamina ist kein Prinzesschen, sondern eine starke Frau, die ihr Verständnis von Liebe lebt und dafür durchs Feuer geht. Und die Zauberflöte, deren Thema schon in Mozarts Version eine "Blue Note" enthält, wird hier durch eine Jazztrompete ersetzt.

Sonnenkönig Sarastro begrüßt "In diesen heil'gen Hallen". Foto: Keith Pattison

Das Musiktheater an sich ist ein starkes Genre. Es ist die Verbindung mehrerer Kunstformen, Text, Bild und Musik. Alle Register werden gezogen, um eine vielschichtige Geschichte zu erzählen. Es sollte nicht nur den tendenziell überbewerteten Intellekt ansprechen, sondern alle Ebenen des Menschseins. Isangos Produktion "Impempe Yomlingo" ist eine Inszenierung, die einen atmen lässt. Man kommt zur Ruhe, fühlt ein bisschen in sein Herz hinein und stellt fest, dass es da genau so bunt zugeht wie auf der Opernbühne. Es ist eine ausgelassene Art der Besinnung, die da so mühelos meisterhaft zelebriert wird. Und letztlich ist es Mozart selbst, der sagte: "Das Herz adelt den Menschen."

 

Das folgende Gespräch mit dem Regisseur des Isango Ensembles, Mark Dornford-May, trug entscheidend zum Verständnis der Inszenierung bei, weswegen wir es Ihnen nicht vorenthalten möchten:

Herr Dornford-May,wie sind Sie auf die Idee zu dem Konzept Isango gekommen?

Isango gibt es seit zwölf Jahren. Was wir tun ist folgendes: Wir nehmen klassische Werke und interpretieren sie auf eine südafrikanische Weise. Wir haben zum Beispiel auch Carmen und Beggar’s Opera gemacht. Die Zauberflöte steht nicht für sich selbst, sie ist ein Teil des Konzeptes. Wir haben sie ausgewählt, weil sie uns besonders südafrikanisch vorkam. In der Geschichte geht es um Kampf, darum, dass Gegensätze zueinander finden. Und auch darum, hohe Ideale zu haben, während man trotzdem auf dem Teppich bleibt.

Also ging es darum, die Parallelen in zwei gegensätzlichen Kulturen zu finden?

Exakt. Das ist der Gedanke.

Gibt es diese Parallelen auch in der Musik?

Ja. Die Produktion ist am Anfang sehr nah an Mozart, aber zur zweiten Hälfte hin wird die europäische Musik immer mehr mit traditionell afrikanischer vermischt. Das zu bemerken ist wichtig, weil für uns ist zum Beispiel Sarastro eine südafrikanische Figur. Der Gegensatz von europäischer und afrikanischer Musik ist ein bisschen wie der Gegensatz von Sarastro und der Königin der Nacht. Sie sind komplett unterschiedlich, aber es gibt auch prägnante Ähnlichkeiten. (...) Es ist das zentrale Motiv der Oper.

Wenn wir arbeiten, ist es nicht so, dass ich in die Probe laufe mit einer genauen Vorstellung von jeder einzelnen Szene. Wir arbeiten viel im Kollektiv, wir arbeiten mit Improvisation, im Dialog. Es ist immer ein Experiment. Jedes Mitglied der Truppe kann Ideen einbringen, die zum zentralen Motiv werden können. (...)

Was war zum Beispiel so eine Idee?

Als wir zu der Szene mit der Abstimmung kamen, sagte jemand, es ist wie ein Initiationsritus. Dieser Gedanke ist in der zweiten Hälfte sehr wichtig geworden, weil diese Initiation in Südafrika immer noch sehr aktuell ist.

Sie sind kein Afrikaner?

Ich fühle mich mehr als Afrikaner denn als Europäer. Du musst kein Schwarzer sein, um Afrikaner zu sein. Genauso wenig, wie man weiß sein muss, um Europäer zu sein. Meine Kultur und mein Leben in Südafrika hat viel mit damit zu tun, als ein Kollektiv zu funktionieren. Obwohl ich nicht mit dieser Kultur aufgewachsen bin, bin ich jetzt ein Teil von ihr, und das ist für mein Leben sehr wichtig. Es ist nicht schwierig für mich, mich da hineinzudenken und fühlen. Das ist genau so, wie wenn ich ein Stück inszeniere, das im 16. Jahrhundert spielt. Ich habe da nicht gelebt, aber das heißt nicht, dass ich dieses Stück nicht begreifen kann. Ich verstehe es nur aus einer anderen Perspektive. (...) Ich versuche, das, was aus der Truppe an Ideen kommt, in eine Form zu bringen, ähnlich wie ein Redakteur.

Was sollten Europäer von Afrika lernen?

Oh, da gibt es sehr viel! Spiritualität. Vergebung. Einen Sinn für die Gemeinschaft, von dem ich denke, dass viele hier ihn verloren haben. Afrika hat das noch. Die Familie ist dort sehr viel wichtiger und es gibt generationenübergreifende starke Verbindungen, was ich für sehr wichtig halte. Kinder wachsen mit ihren Großeltern, Tanten, Onkeln und so weiter auf, und das ist etwas sehr Schönes.  Ich glaube, als europäische Gesellschaften sich entwickelt haben, haben sie das wesentliche Verständnis für diese Dinge verloren, und das ist schade. Körperlicher Ausdruck ist in Afrika auch sehr viel natürlicher. Die Leute hocken nicht den ganzen Tag in engen Räumen vor dem Computer, sondern arbeiten viel mehr körperlich.

 

Veröffentlicht am: 04.12.2013

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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