Jan Decorte mit "O Death" in der Spielhalle
Stimm-Partitur in der Sprache eines naiven, schwarzen Märchens
Einen „genialen Narren“ nannte ihn die Presse schon Ende 80er Jahre, lange bevor der flämische Autor und Avantgarde-Regisseur wegen eines psychischen Zusammenbruchs 2004 die Premiere seiner „Orestie“-Nachdichtung in Antwerpen absagen musste. Mit Hilfe seiner Frau und Muse Sigrid Vinks hat sich der depressive Jan Decorte wieder stabilisiert, und Johan Simons ermöglichte ihm nun die späte Uraufführung von „O Death“ an den Münchner Kammerspielen.
Langer Beifall in der Spielhalle für eine Inszenierung, die alle Theaterregeln negiert und aus eklatanten Widersprüchen eine starke Faszination entwickelt.
Decorte erzählt sehr frei die „Orestie“ von Aischylos in der Sprache eines naiven, schwarzen Märchens nach, das genüßlich Metzeleien ausbereitet und dabei strotzt vor netten Verkleinerungen wie Äugelchen, Knäbelchen, Jüngelchen, Wachtelchen oder Lächelchen. Den pseudo-infantilen Märchenton kontrastiert die auf hohes Pathos getrimmte Sprechweise der Darsteller. Buchstabengetreu, so will es Decorte, müssen sie den Text exakt prononcieren, samt der absichtlich falschen Grammatik und Orthografie (übersetzt von Sigrid Vinks) sowie seiner merkwürdigen Zeilenumbrüche, die Endungen ins nächste Wort hinüberzieht. Den hohen, durchaus ironisch und verwundert gesprochenen und gebrochenen Ton bebildern höchstens minimale tänzerische Arm- und Handbewegungen.
Der Text benennt Figuren wie „der Blinde“, „der Verrückte“, oder „die(!) Blut“, aber die spielen und sind auf der Bühne keine Rolle. Vinks trägt den Brustharnisch Athenes, spricht aber nicht als Göttin. Sie und die sechs Kammerspieler stehen vor einer großen Bleiwand mit drei kleinen Fenster, hinter denen Feuer lodern (Bühne: Johan Daenen). Sie bewegen sich kaum, lauschen nur aufmerksam dem jeweiligen Solisten. Benny Claessens, Walter Hess, Oliver Mallison und Sylvana Krappatsch stecken in schwarzen Hosen mit einem Träger über der bloßen Brust, zwei Nackte tragen rote Körperfarbe wie ein Trikot (Anna Maria Sturm, Kristof Van Boven). Allmählich schleichen sich zeitlupenhaft kleine Gesten ein, die große Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Niemand der fabelhaften Darsteller spielt etwas - außer Jan Decorte am Lesepult mit schwer erträglicher Eitelkeit sich selbst als genialen Schöpfer-Narren und Orest.
Die Stimm-Partitur ergänzt der Musiker Stef Kamil Carlens (Kopf der Gruppe Zita Swoon) an Gitarre und Fingerklavier mit zartesten Zauberklängen (nur den Liedermacher sollte er sich sparen).
Das Premieren-Publikum war still gebannt von den Widersprüchen zwischen Text und Ton, Statik und Minimal-Gestik. Wer jedoch die „Orestie“ nicht kennt, dürfte die nur in bildungsbeladenen Andeutungen erzählte Geschichte kaum verstehen.
Kammerspiele, Spielhalle, 23., 24., 30. Mai 2013, 3., 6., 23., 26. Juni 2013, 20 Uhr, Tel. 233 966 00