Philharmoniker und Maazel auf Asien-Tour

"Besoffen von Musik" vergibt man auch den Paganini-Flop

von Volker Boser

"Lorin Maazel" im "National Centre of Performing Arts" in Peking (Foto: Volker Boser)

Befragt nach dem Unterschied zwischen dem Symphonieorchester des BR, wo er zehn Jahre lang Chefdirigent war, und den Münchner Stadtmusikanten, hatte  Lorin Maazel in Seoul eine geradezu virtuos-vieldeutige Antwort parat: „ Der BR ist ein Spitzenorchester. Die Philharmoniker haben eine andere Tradition und Spielart.“  Zum Nachdenken, wie er das gemeint haben könnte, blieb zum Glück wenig Zeit. Denn der Maestro ergänzte sogleich: „Aber die Orchester werden immer besser, die Dirigenten leider nicht.“

Schon im Vorfeld gab es Irritationen, weil Lorin Maazel wenige Wochen vor seinem Gastspiel mit den Münchnern bereits mit dem Chicago Symphony Orchestra durch Asien tourte. Dessen Music Director Riccardo Muti war kurzfristig erkrankt. Philharmoniker-Intendant Paul Müller mag sich geärgert haben, dass seiner Crew auf diese Weise ein wenig an Glanz und Glamour gestohlen wurde, aber er zeigte Verständnis: „Es stand viel Geld auf dem Spiel, da ist es doch selbstverständlich, wenn man sich gegenseitig hilft.“ Dennoch schien ihn die Frage zu nerven, vielleicht auch deshalb, weil sie ihm bei einer Taxifahrt in Tokio zum „Power Breakfest“ des Sponsors gestellt wurde und er noch nichts im Magen hatte.

Unterwegs in Sälen mit guter Akustik. Foto: Münchner Philharmoniker

BMW heißt die Zauberformel, ohne die – zumindest in Japan – die philharmonische Welt längst nicht mehr so rosig wäre wie zu Zeiten Celibidaches. Für die Konzerte in Tokio hatten die bayerischen Autobauer keine Mühen gescheut und zwei ihrer attraktivsten Modelle vor der Suntory Hall geparkt. Das Interesse der Besucher, die in der Pause mal kurz nach Luft schnappten, hielt sich jedoch in Grenzen. Beim Empfang nach einem grandios gelungenen Konzert mit Wagner und Bruckner lobte Lorin Maazel brav die Isar-Karossen – und machte Werbung für eine Ausstellung französischer Impressionisten der amerikanischen Clark-Sammlung, die zurzeit im Mitsubishi Ichigokan Museum zu Gast ist und die er sich, bevor es weiter geht, unbedingt ansehen werde.

Probe, Champions League, Große Mauer, Konzert - Philharmoniker brauchen keinen Schlaf (F: Boser)

Drei Wochen auf Tour durch Japan, Südkorea und China, zwölf Konzerte in neun Städten – das zehrt auch bei Profis an den Kräften. Dennoch waren die Münchner Philharmoniker stets mit staunenswerter Einsatzfreude und Energie bei der Sache. Auch in Peking, wo für viele Musiker die Nacht vor dem Auftritt im „National Centre of Performing Arts“ recht kurz war. Schließlich musste der Champions League – Triumph der Bayern „live“ im Fernsehen mitverfolgt werden, aufgrund der Zeitverschiebung um drei Uhr nachts. Und dann wollte man auch noch unbedingt ein wenig von der „Großen Mauer“ erhaschen.

Dass das Orchester gelegentlich recht deftig aufspielen kann, weiß man aus den Heimspielen. Nicht alles ist der unglücklichen Gasteig-Akustik anzulasten. Auch in den klanglich weitaus überzeugenderen südostasiatischen Konzerttempeln hörte sich so manches sehr direkt an. Etwa Strawinskys „Sacre du Printemps“: Maazel wählte bedächtige Tempi, die es dem Zuhörer erlaubten, die rhythmischen Verästelungen der Partitur  bis ins kleinste Detail nachzuvollziehen.

Maestro bei der Probe. Foto: Münchner Philharmoniker

Auf Wunsch der Veranstalter wurden einheimische Solisten engagiert. In Japan musizierte Ryu Goto, der Halbbruder der dort hochgeschätzten Geigerin Midori, das erste Violinkonzert von Paganini allenfalls durchschnittlich, ein überflüssiges Stück, gespickt mit halsbrecherischer Saiten-Akrobatik. In Beijing enttäuschte der chinesische Pianist Haochen Zhang, der immerhin 2009 den renommierten Van-Cliburn-Wettbewerb gewonnen hatte, mit einer manierierten, spitzfingrigen Auslegung des G-Dur-Konzerts von Beethoven. In Seoul zeigte der Koreaner Seong Jin Cho im gleichen Stück Stilgefühl und Temperament.  Der Paganini-Flop hätte nicht zu sein brauchen, das war auch die herrschende Meinung des Orchesters. Aber: „Der Maestro wollte das so.“

Mit Verwunderung reagierten die Verantwortlichen im Gespräch auf die Medien-Reaktionen zur Wahl Valery Gergievs zum neuen Chefdirigenten. Es fehle derzeit den Philharmonikern gegenüber „das Vertrauen von außen“: „Wir haben uns mit großer Mehrheit und wohl wissend für Gergiev entschieden.“ Eine Minderheit war, wie man hören konnte, anderer Ansicht: „Mit einem jungen Dirigenten die Zukunft gestalten“, hieß deren Wunsch, der allerdings unerhört blieb. Auch der Stachel der Kommentare zur Wahl Lorin Maazels als Interims-Coach sitzt noch immer tief. Zumal sich der Maestro auf dieser Tournee in einer glänzender Form präsentierte und man ihm seine Euphorie im Gespräch einfach glauben musste: „Ich bin von Musik besoffen.“

„Er ist beileibe kein Übergangsdirigent, er gibt uns viel“, schwärmten denn auch unisono die drei Herren des Orchestervorstandes, aber er stelle auch Ansprüche: „In jeder Probe fordert er sofort das Endprodukt“, anders als etwa Celibidache, für den Probieren gelegentlich wichtiger war als die Aufführung.

In China ist Lorin Maazel ein Mega-Star. Im größten Kulturkaufhaus Beijings wird die Abteilung mit klassischen CDs von seinen Aufnahmen beherrscht. Und dem Maestro gefällt es hier, trotz Vogelgrippe und Smog, denn: „In Südkorea und China sind, anders als in Europa oder Japan, überwiegend junge Menschen in den Konzerten.“ Sie scheinen zwar nicht ganz so konzentriert zuzuhören wie die japanischen Klassik-Fans, aber sie füllen die Säle. Wenn sie allerdings während der Musik nach dem Smartphone greifen, kennen Beijings Saaldiener kein Pardon. Wen sie erwischen, den attackieren sie so lange mit dem Laser-Pointer, bis der Störenfried entnervt aufgibt.

 

Veröffentlicht am: 02.05.2013

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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