Interview mit "Kino der Kunst"-Gründer Heinz Peter Schwerfel

„Es gibt einen Hunger nach Bildern“

von Barbara Teichelmann

Die Erwählten: 58 der 1200  Einsendungen haben es in den internationalen Wettbewerb geschafft, Foto: Kino der Kunst

Kunst gehört ins Museum und Kino ins Kino. Dass das nicht so sein und vor allem nicht so bleiben muss, will das Filmfestival "Kino der Kunst" zeigen und bringt Künstlerfilme auf die große Leinwand. Vom 24. bis zum 28. April werden an neun Spielorten – vom ARRI-Kino über den Kunstverein bis zur Sammlung Goetz – 90 Künstlerfilme gezeigt, wovon 58 im internationalen Wettbewerb laufen.

"Eine weltweit einmalige Veranstaltung für Filme von bildenden Künstlern, die neue Formen der Narration erkunden möchte". Klingt gut. So kann man es auf der Homepage lesen, das hat man sich also vorgenommen. Was jetzt schon fest steht – es ist einiges los: Cindy Sherman sitzt in der Wettbewerbsjury, es gibt eine Isaac-Julien-Retrospektive, Installationen und Künstlergespräche. Und wenn alles gut läuft, soll "Kino der Kunst" regelmäßig alle zwei Jahre stattfinden. Das wär doch was, dann hätte München ein zweites Filmfest, das sich mit der Schnittstelle zwischen Kino und Kunst beschäftigt. Ein Interview mit Heinz Peter Schwerfel, Filmemacher, Kunsthistoriker, Initiator und künstlerischer Leiter von "Kino der Kunst".

 

Was interessiert zeitgenössische Künstler am Kino?

Ein wichtiger Aspekt ist sicher, dass die Künstler global verstanden werden möchten. Die iranische Künstlerin Shirin Neshat hat einmal gesagt, dass sie ein viel größeres Publikum erreicht, wenn sie einen Spielfilm dreht, der in einem regulären Kino läuft, als wenn sie in einem Museum ausstellt. Läuft ein Film auf der documenta, wird er theoretisch von 5 Millionen Menschen gesehen, aber das ist ein Missverständnis, die meisten Leute laufen durch und sehen sich den Film gar nicht an. Dazu kommt, dass Film eine international verständliche Sprache spricht. So ist es einfacher, in Indien einen Film, als ein abstraktes Gemälde der New Yorker Schule zu zeigen. Ein Bild erschließt sich schon formal sehr viel schwieriger, wenn man nicht die entsprechende Vorbildung hat.

Sie stellen die Frage: "…findet also das Kino der Zukunft im Museum statt?" Wie ist das gemeint?

Die Frage soll provozieren. Das Kino befindet sich momentan in einer kreativen Krise. In Deutschland, weil hier alles fernsehmäßig formatiert ist, aber auchinternational. Hollywood hat seit den 60er Jahren kontinuierlich nachgelassen im Ausprobieren von neuen Erzählformen, einen "Pulp Fiction" gibt es höchstens alle 15 Jahre. Natürlich kann das Museum das Kino nicht ersetzen, aber es kann neue Ideen liefern, die dem Kino wieder eine Zukunft bescheren. Und es gibt ja tatsächlich die Tendenz, dass die Filmindustrie die Ideen der Bildenden Kunst aufsaugt und sich die Leute holt. Immer mehr Filme von bildenden Künstlern kommen ins Kino: Steve McQueen hat nach "Hunger" und "Shame" seinen dritten Film in Arbeit, der israelische Künstler Omer Fast plant seinen ersten Spielfilm, die iranische Künstlerin Shirin Neshat dreht bereits ihren zweiten und Julian Schnabel hat als Regisseur mindestens so viel Erfolg wie als Maler.

Profitieren die Künstlerfilme vom Kinoerlebnis und der großen Leinwand?

Ich hoffe das sehr. Das ist eine der Herausforderungen von Kino der Kunst, dass wir Filme, die eigentlich für den Kunstbetrieb und nicht für die große Leinwand gemacht sind, im Kino zeigen. Wir möchten dem Publikum beweisen, dass Künstlerfilme technisch und ästhetisch genauso anspruchsvoll sind.

 

Initiator und künstlerischer Leiter: Heinz Peter Schwerfel Foto: Kino der Kunst

1200 Künstlerfilme aus aller Welt sind bei Ihnen eingegangen. Sie haben die Filme gesichtet und 58 für den internationalen Wettbewerb ausgewählt. Waren übergreifende Tendenzen oder Themen erkennbar?

Man könnte sagen, dass die Bildenden Künstler selbstbewusster und gleichzeitig verspielter werden. Sie trauen sich Dinge, die sie vor 20 Jahren niemals gewagt hätten: Sie spielen mit Spezialeffekten und mit Emotionen. In den großen Zeiten der Videokunst wurde zwar auch über Erzählformen nachgedacht, aber immer aus einer gewissen analytischen Distanz heraus. Eine weitere Tendenz ist, dass häufiger mit echten Kinostars gearbeitet wird. Isaac Julien dreht mit Maggie Cheung, Loris Gréaud dreht mit Charlotte Rampling und Julian Rosefeldt wird demnächst mit Cate Blanchett drehen. Die hat eine Ausstellung von ihm gesehen, war begeistert und wollte mit ihm arbeiten. Die Grenzen zwischen den Gattungen "Kino" und "Bildende Kunst" werden immer häufiger überschritten.

 

Von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen waren dokumentarische und nicht-narrative, experimentelle Arbeiten. Warum?

Das war die einzige inhaltliche Vorgabe. Wir haben uns auf diesen Fokus geeinigt, weil wir ein eindeutiges Programm bieten wollen. Ich könnte mir auch vorstellen, diesen Fokus für weitere Festivals zu behalten, einfach weil das etwas ist, was in der Luft liegt. Wenn man heute in Museen und Ausstellungen geht, sieht man immer mehr Werke – vor allem filmische Werke – von Künstlern, die Geschichten erzählen oder mit Erzählstrukturen experimentieren.

 

Woran liegt das?

Wir leben in einer Zeit mit Hang zur Fiktion. Vor elf Jahren auf der documenta von Okwui Enwezor gab es den Einstieg des Dokumentarischen in die Kunst. Im Augenblick ist es aber das Fiktive, das interessiert. Heute glaubt man mit Erzählungen die Welt besser erklären zu können als mit puristisch, dokumentarischen Geschichten. Einer der Gründe ist wohl, dass man mit Erzählungen eher das Publikum erreicht. Das Erzählerische, das Dramatische, das Emotionale hat ja auch eine größere Verführungskraft.

 

Global verständliche Sprache: Künstler machen sich das Medium Film zu eigen, Foto: Kino der Kunst

Stellen die Wettbewerbsfilme einen repräsentativen Querschnitt dar?

Ja, das kann man sagen, wir zeigen Filme aus über 20 Ländern, zum Beispiel aus Vietnam oder Albanien. Da bekommt man einen guten Überblick, und es wird klar, wie Gegenwartskunst mit dem Thema "Film" umgeht. Vor allem aber wird deutlich, wie wichtig und präsent das Medium "Film" heute ist. Es gibt einen Hunger nach filmischen Bildern, Ausdrucks- und Erzählformen, der global zu spüren ist.

 

Mit der Schauspielerin Amira Casar, der Direktorin des Museums für zeitgenössische Kunst Witte de With in Rotterdam Defne Ayas, und den Künstlern Cindy Sherman und Isaac Julien haben Sie hochkarätige Jurymitglieder gewinnen können.

Das hat mich selbst ein bisschen überrascht, denn auf die Jury warten acht Stunden Filme pro Tag, das ist harte Arbeit. Dass die viel beschäftigten Juroren bereit waren, sich darauf einzulassen, zeigt uns, dass wir auf der richtigen Fährte sind mit dem, was wir machen. Es zeigt, dass die Verquickung von Kino und Gegenwartskunst ein wichtiges Kapitel mit vielen Neuerungen ist.

 

Tickets, alle Filme, Spielorte und weitere Infos unter kinoderkunst.de

Veröffentlicht am: 10.04.2013

Über den Autor

Barbara Teichelmann

Redakteurin

Barbara Teichelmann ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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