Kristian Smeds zum "Sibirischen Zirkus"

Reisende Freelance-Regie ist nur Marktwirtschaft. Kristian Smeds mag das nicht, aber die Begegnung

von Gabriella Lorenz

Juhan Ulfsatz, André Jung (v.l.), Foto: Lennart Laberenz

Neun Mal hat Johan Simons bei ihm angefragt, bis er sich zur einer Gastregie an den Kammerspielen erweichen ließ. Es könnten auch drei Mal mehr oder weniger gewesen sein, sagt Kristian Smeds. Zur Zusage bewogen hat ihn schließlich Simons' Konzept von Theater als Treffpunkt europäischer Künstler.

„Ich bin kein reisender Freelance-Regisseur. Diese Art von Regie ist nur Marktwirtschaft. Ich wollte Leute mitbringen, die alle zu einer echten Begegnung beitragen“, sagt der 42-jährige Finne, derzeit einer eigenwilligsten Theatermacher in Europa. In der Spielhalle inszeniert er sein Stück „Der imaginäre sibirische Zirkus des Rodion Raskolnikow“ nach Dostojewskis Roman „Verbrechen und Strafe“, bekannter als „Schuld und Sühne“.

Szenenbild (Foto: Lennart Laberenz)

Drei Produktionen gaben als Gastspiele 2011 in München erste Eindrücke seiner Regie-Arbeiten. Seine Produktionsbedingungen sucht und schafft sich Kristian Smeds selbst. In Helsinki leitete er ab 1996 sein eigenes Theater Takomo. 2001 ging er an das Stadttheater Kajaani, einer Kleinstadt mit vielen Arbeitslosen. Er führte erfolgreich am Finnischen Nationaltheater Regie und gründete 2007 sein Smeds Ensemble. Die kleine Nomaden-Truppe ohne festes Ensemble und festes Haus arbeitet international und interdiszplinär, häufig im baltischen Raum. 2011 erhielt Smeds den Europäischen Theaterpreis.

In München arbeitete er mit Katja Bürkle, André Jung und Edmund Telgenkämper von den Kammerspielen, zwei Finnen, einer Ungarin, einem Esten. Fast vier Monate haben sie geprobt, in fünf Sprachen. Er arbeite immer so langsam, um zu den Schauspielern ein persönliches Verhältnis zu entwickeln, erklärt Smeds: „Damit man sich wirklich kennenlernt, die Persönlichkeiten zum Vorschein kommen und einfließen.“ Zusammenarbeit sei unbedingt nötig. Und er gebe den Schauspieler-Persönlichkeiten schon viel Platz, ergänzt Produktionsleiterin Eeva Bergroth, die das Gespräch übersetzt.

Die russische Kultur ist den Finnen viel vertrauter als Westeuropäern. Smeds hat immer wieder russische Stoffe aufgegriffen, hat alle Tschechow-Klassiker inszeniert. Mit „Schuld und Sühne" hat er sich schon in seiner Inszenierung "Sad Songs from the Heart of Europe" beschäftigt - da konzentrierte er sich aus Raskolnikows Geliebte Sonja. Wo setzt er jetzt die Schwerpunkte? Bei den Visionen und Träumen des Mörders Raskolnikow über ein neues Menschengeschlecht? Smeds schweigt lange. Und weicht aus: "Das ist meinzweiter Versuch, den Roman zu inszenieren. Und wieder habe ich etwas ganz anderes gemacht. Dostojewski-Fans werden das sicher für ein großes Verbrechen halten, das hart bestraft werden muss. Es ist ein unabhängiges Werk mit dem Roman als einer Art Pate im Hintergrund.

Katja Bürkle, Annamaria Lang (v.l.), Foto: Lennart Laberenz

Der Pressetext suggeriert, ein schäbiger Zirkus werde Motive des Romans spielen. Warum ein Zirkus als Rahmen? Smeds erklärt das aus seiner Sicht auf Russland: Die Wirklichkeit erscheine völlig normal. Doch es gebe eine Wellenlänge im Verhalten, die ein Fremder einfach nicht verstehe - unberechenbare, beängstigend schnelle Wechsel von Poesie zu Brutalität. Der Zirkus mit Bestien und Freaks dient Smeds als Metapher dafür. „Es geht um die Vorstellungen, die sich jeder im Kopf macht“, sagt er. „Ich will keine Wahrheit behaupten, weder über Russland, Deutschland, Finnland oder den Zirkus. Deshalb ist er imaginär.“

Obwohl Smeds selbst Autor ist, gibt es - behauptet er - keine Textfassung. Text und Sprache als Ausdrucksform sind für ihn unwichtig. Was nicht heißt, dass die Schauspieler in den Vorstellungen improvisieren. „Bei den Details gibt es Freiräume“, präzisiert er. „Aber die Situationen und der Rahmen sind sehr streng festgelegt.“

In den vier Probenmonaten in München hat ihn der Clash der Kulturen interessiert: einerseits ein russischer Klassiker, andererseits die deutsche Arbeitskultur, die für die ausländischen Schauspieler unbekanntes Terrain war. „Aber wenn man alle Zutaten zusammenschüttet mit dem Klassiker obendrauf, hat man die Suppe, die wir hier kochen. Ich glaube, wir haben aus dem Material eine Aufführung rausgefiltert, in der die gemeinsame Reise zum Ausdruck kommt und eine gewisse andere Energie im Kontakt mit dem Publikum.“

Musik spielt eine sehr große Rolle: Der Multiinstrumentalist Timo Kämäräinen singt und spielt live, aber alles ist durchkomponiert. Kämäräinen kommt aus dem Rock- und Jazzbereich, er zählt zu den Spitzenmusikern in Finnland.

Smeds ist gespannt, wie den Münchner Zuschauern seine „Suppe“ schmeckt. Wobei er nicht wissen will, ob man sie gut oder schlecht findet, sondern ob sie Emotionen und Ideen auslöst.

Das dem Text zugrunde liegende  Interview mit Kristian Smeds wurde vor der Premiere des Stücks geführt.

Kammerspiele, Spielhalle, am 18., 19.,23., 27 und 30. Oktober 2012, Tel. 233 96 00

Veröffentlicht am: 17.10.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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