Salzburger Festspiele mit Ur-Ariadne

Der Klamauk ist verlängert, doch es fehlt die Leichtigkeit

von Volker Boser

Herzallerliebst: Michael Laurenz (Scaramuccio), Gabriel Bermúdez (Harlekin), Elena Moșuc (Zerbinetta), Martin Mitterrutzner (Brighella), Tobias Kehrer (Truffaldino). Foto: Ruth Walz

Normalerweise dauert die Oper „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss auch bei den Salzburger Festspielen nur so lange, dass man danach noch ohne Hektik dinieren kann. Doch diesmal wurde es knapp. Vor hundert Jahren hatte die Urfassung in Stuttgart Premiere. Sie fiel durch mit Pauken und Trompeten. Für Salzburgs Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf Anreiz genug, es erneut zu versuchen.

Ein Gesamtkunstwerk aus Oper, Tanz und Schauspiel sollte für ein Publikum unserer Tage, gestählt durch hektische TV-Wechselbäder, nun wirklich kein Problem mehr sein.

Die Liaison zwischen Tragik und Komik, gesprochenem Wort und Musik, wie sie Strauss, Hofmannsthal und Regisseur Max Reinhardt einst vorschwebte, birgt allerdings noch immer genügend Stolpersteine. Zumal sich Sven-Eric Bechtolf darauf kaprizierte, nicht nur Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ als Rahmenhandlung für die mythologische Melancholie der Oper „Ariadne auf Naxos“ zu aktivieren, sondern auch noch die Begegnung des Dichters mit seiner Muse Ottonie von Degenfeld. Michael Rotschopf und Regina Fritsch agierten mit der erforderlichen Noblesse. Hätte diese Episode gefehlt, es wäre zu verschmerzen gewesen.

Den Bürger Jourdain, der mehr scheinen will, als er ist, gab Cornelius Obonya in der Tradition seinen Großvaters Attila Hörbiger als Nestroy-Kasperl. Englischsprechende Besucher fanden das in der Pause „charming“ – der Gast aus München hätte sich etwas weniger Komödienstadel gewünscht. Und etwas mehr musikalische Delikatesse: „Der Bürger als Edelmann“, als Orchestersuite bekannt, gehört zu den schönsten Werken von Strauss, vorausgesetzt, man musiziert locker und lebhaft. Dirigent Daniel Harding und die Wiener Philharmoniker waren an diesem Abend weit davon entfernt.

Für die anschließende Oper hatte Bühnenbildner Rolf Glittenberg den vor der Pause noch intakten Konzertflügel zertrümmert und dessen Einzelteile als Spielfläche aufgetürmt. Öde Inseln sehen anders aus. Aber wen bekümmert das schon, wenn Jonas Kaufmann darauf herumturnt und als Bacchus grandios und lautstark in den höchsten Tönen jubelt. Ein Rollendebüt, vielversprechend, aber auch beängstigend, weil sich die Frage stellt, ob sich der Münchner Tenor da nicht doch ein wenig überhebt. Emily Magee als Ariadne musste es sich gefallen lassen, dass der Bürger Jordain, der auch hier ständig präsent sein musste, ihren ersten Monolog mit den Worten unterbrach: „Ich wünschte, es käme bald was Kurzweiligeres.“ Strauss konnte sehr selbstkritisch sein.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Erscheinen Zerbinettas überfällig. Elena Mosuc trällerte deren Koloraturen herzallerliebst, wenn auch ohne Raffinement. Immerhin: man hörte die Erstfassung der Arie „Großmächtige Prinzessin“, die einen ganzen Ton höher liegt und erheblich ausgiebigere Trapezkünste verlangt als die gebräuchliche letzte Version. Insgesamt enthält die Ur-„Ariadne“ etwa 500 Takte mehr Musik - auf die man aber auch verzichten kann.

Obwohl sich Dirigent Daniel Harding steigerte und geradezu aufopferungsvoll bemühte, das Orchester zu zügeln, ließen die Wiener Philharmoniker während der fast vierstündigen Aufführung  jenen transparenten, leichten „Ariadne“-Tonfall vermissen, der ihnen eigentlich keine Probleme bereiten sollte.

Ach, ja: Im ersten Teil durften einige Hofmannsthal- Figuren aus anderen Stücken auftreten: Marschallin, Octavian, Elektra – und ein zur Unkenntlichkeit verkleideter Jedermann. Es war Österreichs Schauspiel-Idol Peter Simonischek. Nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte, winkte er kurz ins Publikum und verschwand unter großem Hallo: Sven-Eric Bechtolfs Ur-„Ariadne“ ist eine Mischung aus Klamauk und bemühtem Ernst.

Nach schweißtreibenden Stunden ließ sich die Erkenntnis aber nicht mehr unterdrücken: Die Endfassung bleibt nach wie vor erste Wahl.

 

Veröffentlicht am: 03.08.2012

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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