Der Faust aus Jena bei "Radikal Jung"

Testesteron allein trägt auch nicht

von Gabriella Lorenz

Oh Gretchen (Foto: Joachim Dette)

Welch hübscher Zufall: Peter Stein referierte im Gasteig über sein Verständnis von Goethes "Faust", dessen beide Teile er 2000 ungekürzt in zwanzig Stunden inszeniert hat. Gleichzeitig zeigte das Theaterhaus Jena im Volkstheater seinen "Faust" - der hätte Peter Stein kaum gefallen.  Aber beim Festival "Radikal Jung" erwartet man nicht Werktreue, sondern frischen Zugriff. Und da sah die Inszenierung von Moritz Schönecker bei aller Postmodernität eher alt aus.

 

Das Theaterhaus Jena galt bald nach seiner Gründung 1991 als experimentell-anarchisches Bühnenwunder. 2011 übernahm Moritz Schönecker, Regie-Absolvent der Bayerischen Theaterakademie, die Leitung - mit seinen Brüdern Benjamin (Bühnenbildner) und Joachim (Musiker) sowie dem Dramaturgen Jonas Zipf.

Zum Einstieg wählte das Team den "Urfaust", angereichert mit zwei Szenen aus "Faust I" - und verblüfft mit einem ungebrochen ironiefreien Textumgang. Pathetisch rezitiert Mathias Znidarec das faustische Leiden in der Studierstube, und obwohl ihn danach kein Wissensdrang, sondern nur noch Testosteron treibt, bleibt rätselhaft, was das anrührende Gretchen von Ella Gaiser an den steifen Typen findet. Benjamin Mährlein, der bis 2008 am Volksthater war, gibt Mephisto als hyperaktiven, akrobatischen Komiker und schreit seinen Überdruck schrill heraus. Da setzt Natalie Hünig als schnippische Marthe ein trockenes Gegengewicht.

Manche Regie-Einfälle sind gut, manche nur nett, manche doof: Live-Videos machen aus vier Stühlen eine gefüllte Kirche, Mobiliar und Grünzeug samt ausgestopften Tieren werden herumgeschoben. Engel pusten Seifenblasen und Auerbachs dämlichen Koks-Keller könnte man glatt für eine Hexenküche halten. Ella Gaiser versöhnt am Schluss mit einer ergreifenden Kerkerszene.

Veröffentlicht am: 29.04.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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