Ausnahmemusiker mit schwachem Abend: Das Jerusalem Quartett in München

von Volker Boser

Vor 18 Jahren haben sie sich gefunden. Da waren die Mitglieder des Jerusalem Quartetts noch Teenager. Mittlerweile gehören sie zu den Besten ihres Fachs, auch wenn sie vor zwei Jahren den Bratscher Amihai Grosz an die Berliner Philharmoniker verloren. Ori Kam ersetzt ihn, ohne dass künstlerische Einbußen zu bemerken wären.

Das Zusammenspiel der Vier ist nach wie vor von traumhafter Sicherheit. Klangliche Finessen finden sich zuhauf. Man spürt in jedem Takt die handwerkliche Souveränität: Der erste Geiger Alexander Pavlovsky und Cellist Kyril Zlotnikov weisen unmissverständlich den Weg. Eine ähnlich perfekte, bisweilen geradezu brillante Ensemblekultur wie beim Gastspiel im gut besuchten Herkulessaal erlebt man selten.

Alle Voraussetzungen für einen eindringlichen Kammermusikabend schienen gegeben. Leider aber hatten sich diese Ausnahmemusikanten einige Eigenwilligkeiten in den Kopf gesetzt, die dann doch mehr irritierten als überzeugten. Muss Beethovens Streichquartett op. 18 Nr.2 wirklich derart flüchtig, glatt und ohne rhythmisches Rückgrat musiziert werden? Ist Brahms in seinem B-Dur-Quartett op.67 Nr.3  wirklich nur milde Melancholie eingefallen? Die lyrisch-heitere Grundstimmung wurde einer Schönfärberei geopfert, die so sicher nicht gemeint war. Nahezu gemütlich schlenderte das Jerusalem Quartett durch die Noten.  Und auch bei Schostakowitsch (Nr.6, op.101) verwunderte, wie sich das Ensemble lediglich virtuos routiniert aus der Affäre zog: elegant statt zupackend, verbindlich statt nachdenklich, sanft und ohne Nachdruck.

Münchens Kammermusikpublikum, kundig wie kein anderes, war denn auch keinesfalls aus dem Häuschen. Brav erklatschte man sich den langsamen Satz aus dem Debussy-Quartett als Zugabe. Auf dem Nachhauseweg war dennoch manch´ enttäuschter Kommentar zu hören über einen Abend der verpassten Gelegenheiten.

Veröffentlicht am: 30.01.2012

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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