"Hoffmanns Erzählungen" mit Damrau und Villazón in der Oper: Mit Vollgas über den französischen Boulevard

von Volker Boser

Diana Damrau (Olympia). Foto: Wilfried Hösl

Zwei Weltstars – Diana Damrau und Rolando Villazon, ein Dirigent – Constantinos Carydis, der sich anschickt, den Olymp zu erobern – die Zeichen standen gut für die erste Staatsopern-Premiere der Saison. Offenbachs phantastische Oper „Les contes d´Hoffmann“ ist schließlich ein attraktives Stück mit brillanter Musik und einer reizvollen Story – sofern die Regie mitspielt.

Intendant Nikolaus Bachler hatte sie Richard Jones anvertraut. Die Münchner kennen ihn seit Händels „Giulio Cesare in Egitto“. Die Inszenierung wurde 1994 von der Zeitschrift Opernwelt als „Produktion des Jahres“ geadelt. Doch der Engländer kann auch anders: Wie man ein Meisterwerk gnadenlos zertrümmert, zeigte er später bei Wagners „Lohengrin“, mit dem die Bayerische Staatsoper jüngst in Japan für reichlich Irritationen und Gesprächsstoff sorgte.

Bei Offenbachs „Hoffmann“ hielt sich Richard Jones zurück. Nichts provozierte. Der erste Akt schmeckte nach Operette. In Spalanzanis Zauberstube ging es zu wie bei einem Kindergeburtstag. Der Titelheld erschien in kurzen Hosen, um seiner großen Liebe nahe zu sein. Die Puppe Olympia bewegte sich publikumswirksam wie eine Marionette, baumelte mit den Beinen, riss zackig die Arme in die Höhe und trillerte dazu herzallerliebst. Schon zu Beginn ließ Diana Damrau keine Zweifel aufkommen, wer an diesem Abend in der Staatsoper die Kohlen aus dem Feuer holen würde.

Mutig hat sie alle drei Sopranpartien übernommen. Die Koloraturen der Olympia gelangen hinreißend, später dann, als todkranke Antonia, wurde sie leider von der Regie in eine alberne Stummfilm-Pose gezwungen. Mit schwarzer Perücke im weißen Nachthemd (Kostüme: Buka Shiff) geisterte sie als Asta-Nielsen-Verschnitt über die Bühne und gab Rätsel auf. Als Kurtisane Giulietta durfte sie gelegentlich ordinär lachen und resolut die Arme in die Hüften stemmen.

Ein Glück, dass sich Diana Damrau durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Musikalisch setzte sie einen Höhepunkt nach dem anderen. Sie war die grandiose Mitte, um die sich alles drehte. Und der sich auch der Titelheld beugen musste.

Vorab war man etwas beunruhigt, ob Rolando Villazon für die Partie des Hoffmann das nötige Stehvermögen mitbringen würde. Auch vor seiner Stimmkrise dürfte er nicht die Idealbesetzung gewesen sein. Wie schwer manche Passagen – vor allem im „Giulietta“-Akt – zu bewältigen sind, war deutlich zu hören. Wenn er forciert, wird die Stimme eng. Glanz und Durchsetzungsvermögen hielten sich in Grenzen. Und auch im Spiel wirkte der Mexikaner zwar ungemein intensiv, aber manchmal allzu aufgedreht. Regisseur Richard Jones ließ ihn seine Liebesabenteuer mit der Flasche in der Hand erzählen – Hoffmann, ein schwadronierender Suffkopf?

Rolando Villazón (Hoffmann), Angela Brower (La Muse, Nicklausse), Ensemble und Chor. Foto: Wilfried Hösl

Wohl eher nicht, aber die Inszenierung hatte ohnehin nicht vor, allzu viele Zwischentöne zu investieren. Für Jones ist Offenbachs phantastische Oper „Les contes d´Hoffmann“ in erster Linie „französisch unterhaltender Boulevard“. Es durfte gelacht werden, Melancholie blieb ausgespart.

Die großen tragischen Momente, etwa des „Antonia“- Aktes, wurden rasch abgewürgt: Wenn Crespels Diener Frantz (Kevin Conners), der viel lieber ein Opernstar geworden wäre, in seinem Couplet „Jour et nuit je me mets en quatre“ bedauert, wie wenig seine Gesangskünste beachtet werden, dann liefert er das hurtig an der Rampe ab. Eigentlich ein Kabinettstückchen, wozu aber auch gehört hätte, dass der Dirigent einmal auf die Bremse tritt, anstatt vorbei zu rasen.

Doch Constantinos Carydis am Pult des Staatsorchesters achtete vor allem darauf, dass die Musik der Eleganz der französischen Spieloper verpflichtet blieb. Die Atmosphäre der „Olympia“- Szenen war mit Verve und Temperament eingefangen. Der Rest wurde vor allem schwungvoll musiziert, ohne zwischen den Zeilen zu stöbern.

Schade, dass man sich auf einen Einheitsraum festgelegt hatte (Bühne: Giles Cadle). So fand die berühmte Barcarole, die ja eigentlich den bezaubernden Reiz einer venezianischen Sommernacht einfangen soll, lieblos zwischen Tür und Angel statt.

Sei´s drum: Diana Damrau, Rolando Villazon, aber auch Angela Brower (Niklausse/Muse) und der prächtige kanadische Bassist John Relyea, der alle vier Bösewichter singen durfte, sorgten dafür, dass die musikalische Seite auf hohem Niveau deutlich dominierte. Die Inszenierung dagegen plätscherte harmlos und oberflächlich dahin. Das ist kein Beinbruch, allenfalls eine verpasste Gelegenheit.

Veröffentlicht am: 03.11.2011

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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