Neue Demokratie-Kultur beim Ordensspektakel: Wie OB Ude auf Freistaats-Terrain eine Debatte anstößt

von Salvan Joachim

Feierstunde im Antiquarium der Residenz: OB Christian Ude hält die Festrede zur Verleihung der Bayerischen Verdienstorden. Er möchte "mehr Demokratie wagen", fordert ein verstärktes Bürgerengagement und beklagt weiterhin die gescheiterte Olympia-Bewerbung.

Laut Seehofer "der schönste Raum nördlich der Alpen": Das Antiquarium der Residenz (F. S. Joachim)

"Fama post mortem vivere facit", steht an einem Fensterbogen geschrieben. Der Ruhm macht also auch nach dem Tod lebendig, und 61 Bayerinnen und Bayern gehören seit dem 20. Juli 2011 zu den insgesamt 5228 Unsterblichen, Unverzichtbaren und Unvergesslichen - hier auf Erden und irgendwann im weiß-blauen Himmel. Ob Bayerns berühmteste TV-Klosterschwester Jutta Speidel, Volkstheater-Intendant Christian Stückl oder Autovermieter Erich Sixt - viele Berühmte haben sich für den Freistaat verdient gemacht. Ministerpräsident Seehofer verlieh die Bayerischen Verdienstorden und ehrte auch Menschen jenseits des Scheinwerferlichts. Hildegard Alscher beispielsweise, die seit vielen Jahren ihren behinderten Sohn und den kranken Ehemann pflegt.

Seehofer mit blauer Krawatte und Ude mit roter Krawatte zeigten sich von Beginn an gut gelaunt im - wie der Ministerpräsident ihn nannte - "schönsten Raum, den wir nördlich der Alpen zur Verfügung haben". Sie frotzelten auf dem Podium und lachten auch als das Streichquartett schon Mozart spielte. Selbst Seehofer schien überrascht von dem besonders harmonischen Auftakt. So stellte er in der Begrüßungsansprache schmunzelnd klar: "Hier bahnt sich keine Große Koalition an." Seit 1957 vergibt traditionell der Ministerpräsident die höchsten Auszeichnungen des Landes. Dass jedoch ein "Sozi" im Prunksaal die Festrede spricht, war für Ude sensationell, wenn auch nicht einmalig. Denn Wilhelm Hoegner durfte das bereits 1964.

"Fast die Hälfte der Ordensträger sind dieses Jahr Frauen", ließ Seehofer (hier mit Jutta Speidel) die Gäste wissen. (F: S. Joachim)

"Mehr direkte Demokratie - Warum? Wofür? Wie? Wirklich?" - dieses Thema wählte sich Ude, umzu der langwierigen Verleihungs-Prozedur auch einen inhaltlichen Mehrwert beizusteuern. Anlass war neben den sich vielfach im Bürgerengagement verdient gemachten Preisträgern, die Debatte um die Rechtmäßigkeit von Großbauprojekten wie dem Stuttgarter Bahnhof. Es dürfe nicht sein, dass ein Schlichter mehr Macht als das Parlament habe, schließlich sei diese Vermittlung zwischen den sogenannten "Wutbürgern" und den politischen Entscheidungsträgern in keiner Verfassung verankert.

Grundsätzlich sollten sich Politiker aber nicht vor zunehmendem Bürgerengagement fürchten. Die lange Tradition der Volksbegehren und Volksentscheide in Bayern habe gezeigt, dass weder finanzielle Katastrophen noch sonstige Probleme entstünden. Im Anbetracht bevorstehender infrastruktureller Großprojekte, welche die Energiewende fordert, müsse jedoch darauf geachtet werden, dass nicht der Bau jedes einzelnen Windrads zur langjährigen Grundsatzfrage gerate. Es gehe darum, nach der Atomwende "den Bürgerwillen der Gesamtrepublik zu realisieren".

Nach einem Beispiel musste Ude nicht lange suchen. Die Niederlage in Durban scheint ihm noch in den Knochen zu stecken und weiterhin beschäftigt ihn die Hartnäckigkeit der Garmischer Olympia-Gegner: "Erst forderten die Gegner einen Bürgerentscheid, an dem sich alles zu orientieren habe, dem sie dann allerdings nach ihrer Niederlage bescheinigten, dass er überhaupt nichts an der Haltung und der Fortsetzung ihrer Kampagne ändern könne." Das kann man als etwas nachtragend und frustriert empfinden. Denn warum sollten die Olympia-Gegner von ihrer Überzeugung abrücken, nur weil sie in einer Abstimmung knapp den Befürwortern unterlagen? Manchmal gewinnen Meinungen nie eine Mehrheit, bisweilen aber braucht es Jahrzehnte, bis sich schließlich doch ein Großteil der Bevölkerung und die politischen Vertreter in den Parlamenten einer Ansicht anschließen - das hat die Atomdebatte gezeigt.

Leider ließ Ude die Frage nach dem "Wie?" von mehr direkter Demokratie offen. München wird sich aber so oder so spannenden Fragen stellen müssen - mit dem Hauptbahnhof, der zweiten Stammstrecke und einer möglichen Olympiabewerbung für die Winterspiele 2022 stehen genug Großprojekte an. Bevor es aber um Münchner Einzelheiten ging, begann Seehofer den Ehrenbürgern die Orden umzuhängen. Man war ja schließlich zum Feiern da.

Veröffentlicht am: 22.07.2011

Über den Autor

Salvan Joachim

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Salvan Joachim (1986) ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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Dorfkramer
22.07.2011 14:43 Uhr

Naja, vorher haben sie wohl wieder vom wichtigen \\\"Ehrenamt\\\" gefaselt, einer modernen Form der freiwilligen Versklavung. Ein paar zocken halt ab und die Bürger die ehrenamtlich unterwegs sind sollen vor allem eins: Ihr Maul halten und nicht weiter stören.

Thomas Roth
22.07.2011 18:22 Uhr
Thomasroth80638@aol.com
22.07.2011 18:28 Uhr

Das ist leider nur zu wahr! Und wenn die Bevormundung nicht von außen kommt, dann zumindest von innen, von Platzhirschen, die 30 und 40 Jahre dran sind und nicht wissen, wann es Zeit ist, zu gehen, vor allem, wenn man den Anschluß an die Gegenwart verpaßt hat, zum Beispiel sich hartnäckig weigert, von der Existenz des Internets Kenntnis zu nehmen oder als geschäftsführender Vorsitzender sich Urteile über Kunst anmaßt, von der man keine Ahnung hat.

Markus Weinkopf
25.07.2011 10:58 Uhr

Dank an den Kommentator, er hat - wenn vielleicht auch unbewusst - genau die Krux aufgezeigt: OB Ude beklagt, dass in GAP die Meinungen nach dem Bürgerentscheid genauso aufeinanderprallen wie vorher. Die Gegner bleiben Gegner. Genau dies zeigt die Schwäche der formellen Bürgerbeteiligung (Bürgerentscheid), die Herr Ude als einzig mögliche in einer parlamentarischen Demokratie sieht. Er verkennt aber dabei die Chance der informellen Bürgerbeteiligung (z.B. Mediation), die in der Lage ist, einen Interessenausgleich herbeizuführen. Natürlich bedarf es dafür einer Frühzeitigkeit, die viele Mandatare - noch - nicht wahrhaben wollen. Die Frage nach der umstrittenen Olympiabewerbung, aber auch aus Stuttgart 21 heißt also: was lernen wir daraus? Es zeigt sich nun, ob unsere Politikerinnen und Politiker lernfähig sind. Bei Ihnen liegt der Ball, nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern.