Zum letzten Mal: Johan Simons' "Die Perser" in der Bayernkaserne

von Gabriella Lorenz

Wolfgang Pregler, Adnan Mujic, Sylvana Krappatsch (v.l.n.r.). Foto: Andrea Huber

Stell dir vor, es ist Krieg, und alle gehen hin. Und keiner kommt zurück. Ein reiches Imperium, das sich anmaßte, die Welt zu erobern, ist plötzlich vernichtend geschlagen, männerlos, schutzlos dem Verfall anheimgegeben. Vom Leid der Witwen und Waisen ganz zu schweigen. Der Dichter Aischylos schwieg nicht davon. Obwohl er als Grieche zu den Siegern in der Schlacht von Salamis gehörte, ließ er 472 v. Chr. in seinem Drama „Die Perser“ die unterlegenen Aggressoren zu ihrem Recht auf Schmerz und Trauer kommen. Dass das älteste Theaterstück der Welt eine große Kriegsanklage ist, sagt einiges über die Beschaffenheit dieser Welt aus und macht den Text bis heute gültig.

Auch Kammerspiele-Intendant Johan Simons verweist mit seiner „Perser“-Inszenierung (in der gut verständlichen Fassung von Durs Grünbein) auf heutige Kriege. In der ehemaligen Bayern-Kaserne im Norden Münchens fand er einen Spielort mit Militär-Vergangenheit, für den Chor suchte er Menschen, die einen Krieg überlebt haben. Der lange Applaus galt dem hervorragenden Ensemble, allen voran Hildegard Schmahl.

Das von der Halle vorgegebene Bühnenbild stimmt eigentlich nicht, denn die Perser leben noch in einer Überfluss-Gesellschaft. Aber es zwingt beide Kriegsseiten in ein Bild zusammen: Auf Betonboden, zwischen Holz-Paletten und Sandsäcken erfahren die Perser vom Untergang ihres Reiches. Der Unglücks-Bote Stefan Hunstein möchte sich schier das Herz aus der Brust reißen: Chorführerin Schmahl bringt seine tränenreibenden Hände und seine Arme aus Boxer-Abwehrstellung wieder in Haltung an die Hosennaht. Königin Atossa, Mutter des Kriegs-Abenteurers Xerxes, will manieriert kokett Contenance bewahren. Als sie das Ausmaß der Elends Untergang begreift, stürzt sie sich in ein Wasserbecken und klettert prustend wieder raus, in Hotpants ohne Köngsmantel: Das ist schlichtweg albern. Doch hat Sylvanaa Karappatsch auch schwanengleich zarte Gesten, wenn sie ihre Wange auf den Platz beugt, wo Dareios saß.

Der aus dem Grab heraufbeschworene tote König Dareios erscheint schemenhaft in Dunst hinter einer Tür und rechnet mit seinem größenwahnsinnigen Sohn Xerxes ab (Wolfgang Preglers Schärfe lässt an den großen Wutbürger Herbert Wehner denken). Da kann sich das Söhnchen nur ducken: Xerxes hat das größte Reich der Welt runiert und muss als König sein Desaster verantworten. Simons lässt Nico Holonics mit seinen Selbstanklagen in einen Sing-Sang flüchten, den der Chor mit einem Klagelied unterstützt.

Dieser Chor ist trotz aller Gutgemeintheit die Schwachstelle der Inszenierung. Simons wollte als Vergangenheits-Träger Senioren, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, dazu kommen Flüchtlinge aus der provisorischen Flüchtlings-Unterkunft auf dem Kasernen-Gelände. Sie bleiben stumm, ihre Schicksale erzählen sie nicht. Die solle man ihnen ansehen, meint Simons. Genau das vermittelt sich nicht. Die Alten, Kinder, Frauen mit Schleiern bleiben dekorative Manövriermasse ohne Identitäten und haben nur selten eine szenische Funktion: Einmal bildet der Chor eine schützende Menschentraube um die Chorführerin, mal tanzt ein kleines Mädchen wie ein Schmetterling aus glücklichen Zeiten.

Hildegard Schmahl erfüllt mit ihrer Sprachkunst diesen halbherzig herumgeschobenen Chor zum Leben: Sie erzählt, erklärt, fragt, tröstet, schreit und klagt mit einer Kraft, die nicht nur den Raum, sondern auch das Bewusstsein füllt.

Das Dramaturgenkonzept geht nicht auf: Die Wirklichkeit der Chor-Leute erzählt sich ohne Worte nicht von selbst. Nur die Schauspieler machen die Aufführung sehenswert.

 

Bayern-Kaserne, Nur noch heute am 3. Juni 2011. Die letzte Vorstellung ist ausverkauft, eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse.

 

Veröffentlicht am: 02.06.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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