"Magic City" im Olympiapark

Die versteinerte Zauberstadt

von Olga Levina

Die Werke des irischen Street-Art-Künstlers Asbestos wollen Passanten aus ihrem Alltagstrott reißen. So sucht auf der linken Plakatwand unter anderem Van Gogh sein rechtes Ohr, das "hohen emotionalen Wert" für ihn hat. Foto: Magic City

Erstmals präsentieren die Kuratoren Carlo McCormick und Ethel Seno ihre fiktive Stadt in München. Dabei zeigen sie sowohl kritische als auch unterhaltsame Street Art aus fünf Kontinenten. Zu sehen sind Graffiti, Skulpturen, Wandgemälde und multimediale Installationen von 50 Street-Art-Künstlern aus mehr als 20 Ländern.

Die Veranstalter beschreiben ihre Zauberstadt als einen Ort und Nicht-Ort zugleich. Magic City ist ihnen zufolge "keine physisch greifbare Stadt aus Stein und Mörtel, sondern ein urbaner Raum verinnerlichter Bedeutungen. Sie ist die Stadt als handelndes Subjekt und als Leinwand." Es geht ihnen darum, den universellen Charakter der Städte einzufangen und Kontraste aufzuzeigen, die sich aus deren Diversität ergeben. McCormick betont außerdem die Bedeutung der vielfältigen Street-Art-Genres, die nicht nur das Stadtbild verschönern, sondern auch öffentliche Debatten fördern.

Der Berliner Künstler FINO'91 wurde durch seine bunten Wholecars bekannt, die durch die Stadt rollten. Mittlerweile baut er lieber Installationen von U-Bahn-Abstellanlagen samt Beleuchtung und handbemalter Züge. Foto: Hardy Müller

Beim Betreten der Ausstellungsräume stellt man schnell fest, dass dem Besucher genau dieser Stilmix geboten wird. Man findet Stellungnahmen gegen Krieg, Kapitalismus, Konsum und Umweltzerstörung neben Arbeiten, die das Stadtbild verschönern und einen farbenfrohen Lebensraum erschaffen. Zu den kritischen Werken zählen die Arbeiten des spanischen Street-Art-Skulpteurs Isaac Cordal sowie die Installationen und Stencils der iranischen Künstler Icy & Sot. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen, von künstlerischer und politischer Zensur geprägten Vergangenheit, nutzen sie den öffentlichen Raum, um eine friedliche Welt ohne Grenzen zu propagieren.

Durch Miniaturisierung und durchdachte Positionierung erweitert Cordal die Vorstellungskraft der Fußgänger, die seine Installationen auf der Straße entdecken, indem er Figuren an Orten platziert, die auf Türen zu anderen Welten verweisen. Foto: Frank Embacher

Die verzerrten oder in Fragmente zerlegten Werke von Leon Keer erscheinen nur aus einem bestimmten Blickwinkel, in einem Spiegel oder durch eine Linse als zusammenhängendes Ganzes. Foto: Hardy Müller

Die Ausstellung wirkt wie eine Großstadt mit vielen kleinen Gassen, an deren Ecken mit Aufklebern beklebte und getagte Mülleimer hängen. Es gibt plakatierte Flächen, bemalte Stromkästen und Telefonzellen in denen Kurzgeschichten aus dem Stadtleben und der Graffitiszene erzählt werden. Neben einer großen Schaukel und einem eingestrickten Karussell findet man auch andere interaktive Objekte wie anamorphe Räume in denen man mit der Kulisse verschmelzen kann. Abgerundet wird das Stadtbild durch die musikalische Untermalung aus dem Studio Hans Zimmers und vor allem dadurch, dass so gut wie jeder Besucher mit einer Kamera oder einem Smartphone unterwegs ist. Denn bereits am Eingang werden Ausstellungsführer in Form von iPods verteilt mit denen es zugleich möglich ist Objekte, die für die Augmented Reality konzipiert wurden, anzuschauen. So werden per Tastendruck aus Fotos Bewegtbilder und Objekte, die ohne Kamera zweidimensional wirken, werden dreidimensional. Die anamorphen Murals und Wandmalereien des mexikanischen Street-Art-Künstlers Juandres Vera sind gute Beispiele für derartige Urban-Art-Projekte.

Odeith nutzt Ecken im 90-Grad-Winkel, um optische Illusionen zu erschaffen. Foto: Frank Embacher

Ein weiterer Vertreter der anamorphen Kunst ist Leon Keer. Er verwendet nicht nur Mittel der optischen Täuschung, sondern experimentiert auch mit neuen Technologien wie der Augmented Reality oder dem Video-Mapping. Der portugiesische Künstler Odeith hat sich ebenfalls einen Namen mit seinen perspektivischen, auf unterschiedlichen Flächen gesprühten Kompositionen gemacht. Auch Odeith bezieht bei seiner Arbeit sowohl die Wände als auch den Boden ein. Interessant sind außerdem die dreidimensionalen Arbeiten Qi Xinghuas, die großen Einfluss auf die 3D-Malerei in China hatten.

Die chinesische Kultur und Ästhetik spiegelt sich besonders in Qi Xinghuas Darstellungen von Drachen, Terrakotta-Kriegern und Lotusblumen wider. Foto: Rainer Christian Kurzeder

Hera und Akut fusionierten ihre Künstlernamen und Stile unter dem Pseudonym Herakut. Ihr gemeinsamer Stil ist gekennzeichnet durch fotorealistische Motive, starke Konturen und Schriftzüge. Foto: Rainer Christian Kurzeder

Gezeigt werden auch kalligrafische Arbeiten von Niels Shoe Meulman und Benuz, Wandgemälde von WENU und Ratten-Stencils von Blek le Rat und Banksy. Auffällig sind außerdem die Skulptur von Bordalo II, der aus Altmaterialien neue Dinge kreiert, um auf seine Weise auf Nachhaltigkeit aufmerksam zu machen, ebenso wie die Miniaturmenschen von Slinkachu, dessen Projekte Elemente der Street Art, Bildhauerei, Installationskunst und Fotografie beinhalten.

Insgesamt bietet Magic City eine Vielzahl von Werken, die sowohl für Kenner, als auch für Neulinge interessant sind. Zusätzlich zu der Ausstellung besteht die Möglichkeit an Vorträgen oder Graffiti-Workshops teilzunehmen, bei denen erfahrene Street-Art-Künstler aus China, Deutschland, Japan und Russland den Teilnehmern dabei helfen ihren eigenen Zeichenstil zu entwickeln. Letztendlich macht die wiederholte Transformation dieser Zauberstadt, die im Rahmen der Ausstellung mehrere neue Werke zeigen wird und sich von Stadt zu Stadt verändert, Magic City auch für einen Zweitbesuch interessant.

 

 

"Magic City" in der Kleinen Olympiahalle I, Spiridon-Louis-Ring 21, 80809 München, 13. April bis 3. September 2017. Weitere Erläuterungen zu Graffiti in Deutschland sowie zu Blek le Rat und Banksy finden Sie in den Artikeln "Kunst oder doch Schmiererei?", "Mythos eines Machers und Moneymakers" und "Im Zeichen der Freundschaft".

Anm. d. Red. (28.4.2017, 19 Uhr): An den Bildzeilen wurden kleinere Korrekturen angebracht.

Veröffentlicht am: 23.04.2017

Über den Autor

Olga Levina

Redakteurin

Olga Levina ist seit 2012 beim Kulturvollzug.

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