Wie die Münchner Kreativen mit der Corona-Krise umgehen

Streamen, streamen - und auch mal ein Getränkegutschein

von Olga Levina

Unter dem Motto "Zerneuerung" aktivierte das "Projekt Z common ground" vor einem Jahr ungenutztes Potenzial (wir berichteten). Zwar rollen da, wo einst die Zwischennutzung war, heute die Bagger. Das Bild erinnert aber daran, dass sich auch in München immer wieder kreative Chancen auftun. Foto: Florian Kirchmeier

In einer Zeit des Umbruchs, des Wandels, aber auch des Stillstandes, kam die Kultur- und Kreativbranche fast zum Erliegen – zumindest im herkömmlichen Sinne. Denn da, wo manche resignieren, gehen Visionäre voran: Sie weisen Wege aus der Krise, geben Hoffnung und machen Mut neue Konzepte auszuprobieren, die auch dann noch Bestand haben, wenn die Normalität wieder Einzug hält.

Zu den ersten Unternehmen, die ihr Programm ins Internet verlagerten und so eine frühe Antwort auf die Krise gaben, gehört die Corleone Kunst- und Musikbar. Für den 4. Mai 2020 ist dort bereits die 50. Ausgabe des "Shut Down Radio" Webstreams eingeplant. Doch wie finanziert man tägliche Livesendungen mit wechselnden DJs? - Einerseits durch Spenden und anderseits durch innovative Lösungen wie Getränkegutscheine, die jetzt erworben und nach der Wiedereröffnung eingelöst werden können.

Einen ähnlichen Weg schlug auch die Musikbar Unter Deck ein. Unter dem sarkastischen Motto "Sink Positive", wird dort in Kooperation mit DJs aus verschiedenen Musikrichtungen gestreamt. So schafft man eine Plattform für den kreativen Austausch und gibt denen, die Musik schätzen und brauchen, ein Stück Normalität zurück.

Ein weiteres interessantes Projekt ist das "Zuhause-Festival". Unter dem Motto "Künstler streamen live. Von zuhause für zuhause" will man die Münchner Kultur in Zeiten der COVID-19-Epidemie sichtbar machen. Zu den Festival-Partnern gehören mehrere Lokalitäten, DJs und Kollektive. So etwa die Alte Utting, das Bahnwärter Thiel, Corleone, Unter Deck, Harry Klein, die Rote Sonne und der Schallplattenladen Optimal Records.

Von den Münchner Kollektiven sind unter anderem Sustain und Time Tripping mit dabei, über deren Projekte im Kulturvollzug berichtet wurde. Auch andere Crews, wie etwa Break it Down und das Kollektiv Bushbash sind aktuell in ähnlicher Richtung aktiv. Dabei streamen sie auf verschiedenen Plattformen nicht nur aus Liebe zur Musik, sondern auch um den Wegfall der Gagen irgendwie zu kompensieren. Zum Teil geschieht dies im Rahmen von Festivals oder in Kooperationen mit Münchner Bars und Clubs. Ein sehr persönliches Format stellt dabei das "Time Tripping TV" dar. Dort gibt es nämlich nicht nur Musik, sondern auch eine Märchenstunde unter dem Motto: "Break Beats & Gute Nacht Geschichten".

Während einige Künstler an neuen Arbeiten sitzen oder ihre alten Werke für kommende Ausstellungen aufpolieren, vollendet das Bushbash-Kollektiv in Kooperation mit Künstlern aus verschiedenen Disziplinen das spannende urbane Projekt "Die Städtischen" - auch hier natürlich in der Hoffnung es bald live und nicht nur virtuell präsentieren zu können. In einem Interview verrieten der Projektleiter Anouar Mahmoudi und Bushbash PR-Mann Benni Zimmer, dass die "Planung des Projektes bereits einen Monat vor Beginn der Corona-Krise ihren Anfang genommen hat. Erst brachte die neue Situation eine gewisse Ernüchterung mit sich. Doch das Gegenteil stellte sich heraus. Zu unserer Freude birgt diese Lage eine große Chance für uns. Alle Akteure sind motiviert, wie nie zuvor und die Zeit zu Hause fördert unsere Kreativität ungemein." Sieben Interventionen im öffentlichen Raum sind für die Zeit nach der Krise geplant, wir werden berichten...

Sein kreatives Potenzial hat auch der Abschlussjahrgang Schauspiel der Bayerischen Theaterakademie August Everding entfaltet. Via Livestream führte er am 16. April 2020 unter der Regie von Marcel Kohler ein Stück von Thornton Wilder auf, das nicht nur in Isolation präsentiert, sondern auch inszeniert wurde. "Wir sind noch einmal davongekommen" erzählt die Geschichte einer von Katastrophen geplagten Menschheit und von deren Kampf des ständigen Neuanfangs. Die gebotene Darstellung der Welt im Krisenmodus überzeugte voll und ganz. Sie warf Fragen auf wie etwa: Welchen Einfluss hat die aktuelle Krisensituation auf die Inszenierung eines Stücks, das eine solche Situation thematisiert? Und profitiert der Stoff sogar von dieser neuartigen Form des Theatermachens?

Derzeit gibt es natürlich auch Künstler, die für wohltätige Zwecke sammeln, wie etwa für Flüchtlingshilfe. Die meisten jedoch benötigen selbst dringend Unterstützung, um in der Krise nicht unterzugehen. Mehr als denn je kommt es jetzt auf Menschlichkeit und Gemeinschaftsgefühl an.

Veröffentlicht am: 29.04.2020

Über den Autor

Olga Levina

Redakteurin

Olga Levina ist seit 2012 beim Kulturvollzug.

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