Christian Stückls "Nathan der Weise" im Volkstheater

Bruder Melek pfeift sich eins

von Jan Stöpel

Hier sinnt einer Arges: Pascal Fligg als Saladin, Sohel Altan G. als Melek. Foto: Arno Declair

Ein skeptischer Diskussionsbeitrag im Münchner Volkstheater: Christian Stückl gibt Lessings "Nathan der Weise" Raum zum Atmen und dem Saladin einen Bruder - und dem Toleranzdrama damit einen beunruhigenden Dreh.

Hier die Anschläge von Paris, dort die Aufmärsche von Pegida. Und in den Diskussionsrunden schlagen die Wogen hoch, wenn darüber geredet wird, wieviel Gewalt dem Islam innewohnt, wo die Grenzen der Toleranz zu ziehen seien, ob es das überhaupt gebe, "den" Islam und "das" Abendland. Ja, könnte man sagen: war wirklich mal wieder Zeit, sich über Lessings Fünfakter herzumachen. Das allerdings wäre ein Irrtum: "Nathan" braucht keine Anlässe, "Nathan" hatte in den 225 Jahren seit seiner Uraufführung stets Gültigkeit. Man ist durch die ganzen Katastrophen nur eben mal wieder daran erinnert worden.

Christian Stückl gelingt in seiner Inszenierung vom "Nathan" etwas Überraschendes: Er lässt dem Drama seine Zeit und der Sprache Lessings ihr Recht, gibt aber dem Ganzen einen beunruhigenden Dreh: indem er Sultans Schwester Sittah aus dem Spiel nimmt und seinen Bruder Melek einwechselt. Ein zynischer Geselle ist das, nicht nur in der Gewandung eine Mischung aus Taliban und Kommandant des "Islamischen Staats". Auch die Mamelucken sind entsprechend gewandet und machen einen drohenden Eindruck - was dem Stück von Anfang an einen Grundton gibt: Man ahnt, wie wackelig hier der Stand der Vernunft ist - wenn Vernunft denn so etwas wie Wahrung des Friedens bedeutet.

Weisheit und Begeisterung: Nathan (August Zirner) und Daja (Mara Widmann) Foto. Arno Declair

"Nathan" hat in dieser Inszenierung Zeit und Raum. Stefan Hageneier hat ein karges Bild auf die Bühne gestellt, zwei hölzerne Bodenwellen, eingerahmt von den drei schwarzen Bühnenmauern. Ein Raum, der Platz für Phantasie lässt. So kann die Bühne mal Jerusalemer Stadtlandschaft sein, mal privater Raum. Das sparsam eingesetzte Licht (Günther E. Weiss) meisselt die Figuren aus der Dunkelheit, gibt dem Spiel Räumlichkeit, scheidet die Szenen wieder in privaten und öffentlichen Raum. Die Musik hat Tom Wörndl beigesteuert, stark ist sie tatsächlich da, wo sie sich auf Atmosphäre beschränkt und den expliziten Kommentar unterlässt.

Ein eindrucksvolles Spielfeld also, auf dem sich nicht jeder sofort zurechtfindet. Jakob Gessner etwa, er hat da ganz am Anfang seine Probleme, steigert sich aber im Lauf der Premiere - beeindruckend, sein junger Templer. Pascal Fligg legt seinen Saladin als intellektuellen Theoretiker an, dessen Müdigkeit unübersehbar ist. Da ist Toleranz - bei aller intellektellen Schärfe des Herrschers - am Ende auch Ermattung. Constanze Wächters Recha ist ein junges, schwärmerisches Ding, die es in ein, zwei Szenen schafft, eine neue, toleranzbedrüftige Ebende des Glaubens einzuziehen: den Tempelherrn setzt sie sich selbst als Götzen. Dazu passt die Daja von Mara Widmann, die schon viel mädchenhafte Begeisterung über den jungen Christen versprüht. Mehmet Sözers Derwisch al-Hafi ist ein netter, ziemlich naiver Kerl, der zu spät merkt, dass ein Ehrenamt bei Saladin ein schweres Amt ist. Saladin hat sich da schon den rechten Schwärmer als Kassenwart ausgesucht. Dem Patriarchen (Thomas Kylau) und  dem Klosterbruder (Jean-Luc Bubert) schaden die Anleihen aus dem "Name der Rose" nicht.

Bei Lessing ist es am Ende ja so, dass alle ihre Nähe feststellen, auch, dass ihre Religion womöglich nur eine Frage der Erziehung war (wie bei Recha), überhaupt, dass alle mehr oder weniger verschwistert sind. "Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang", heißt es dann. Stückl traut dem nicht, er ist nicht so optimistisch. Und mit der Besetzung des Nathan mit August Zirner und des Melek mit Sohel Altan G. legt er einen weiteren, vielleicht den wichtigeren Kern des Konflikts frei: Weltanschauungen als Art und Weise, mit welchem Sinn man die Welt betrachtet.

Störrischer Typ: Jakob Gessner als Tempelherr (mit August Zirner, rechts). Foto: Arno Declair

August Zirners Nathan ist zutiefst menschlich. Was bedeutet, dass er im andern stets zuvörderst den Menschen sieht, nicht den Angehörigen einer Religionsgemeinschaft, also Feind oder Freund. Nicht, weil er ein simpler, milder Menschenfreund wäre, im Gegenteil: Seinem feinen, spöttischen Intellekt verdankt er die Einsicht, dass absolute Wahrheit nicht fassbar ist, mithin jeder absolute Wahrheitsanspruch falsch, weil unlogisch. Toleranz ist bei ihm ein Vernunftgebot. Und wird von einem Prozess begleitet, der nach Erkenntnis strebt: Das Fass- und Denkbare als der Boden, auf dem wir alle stehen. Ein Mann zwischen den Stühlen, der gebraucht wird und gleichzeitig bedroht ist, und dem der zweifelnde Verstand verlässlicher erscheint als die Berufung auf Status und Position. Zirner spielt diesen Mann mit beeindruckender Leichtigkeit als kühl denkenden und warm fühlenden Souverän. Sein Gegenüber - in jeder Hinsicht - ist Sohel Altan G. als Melek: Einer, dem man abnimmt, dass er brutal zupacken kann, kein abwägender Typ, ein schlauer Mensch, kein kluger, einer, dem an Macht gelegen ist, nicht an Erkenntnis. Ein Fanatiker, dem die Religion wahrscheinlich doch wurscht ist. Am Ende fragt er den Nathan, ob er nicht noch ein paar Märchen erzählen will. Lacht hämisch und geht von dannen.

Wie gesagt, alle sollten bei Lessing auf der Bühne stehen, "unter stummer Umarmung".

Bei Stückl ist es ein einziger, dem beim Anzünden einer Zigarette die Desillusionierung anzusehen ist: Zirners Nathan, der weiß, dass mit keiner noch so schönen Geschichte die Risse dieser Welt zu kitten sind. Stark.

Nächste Termine: 29. und 30. Januar, 4., 10., 11., 21., 22., 28. Februar 2015.

 

 

 

Veröffentlicht am: 29.01.2015

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