"Geschichten aus dem Wienerwald" in den Kammerspielen

Tanz den Horvath!

von Jan Stöpel

Tanz als Kontrollinstrument: "Geschichten aus dem Wiener Wald" an den kammerspielen. Foto: Julian Röder

Ein Horvath-Klassiker, der wie ein neues Stück wirkt: In seiner Inszenierung von Ödön von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" bittet Stephan Kimmig seine Akteure zum Tanz. Walzer ist da längst nicht alles...

Die Rede ist diesmal von Stephan Kimmigs Inszenierung von Ödön von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" in den Kammerspielen. Dieser fein durchchoreographierte Abend entwickelt einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Durchchoreographiert, das kann man sagen: Kimmig zieht in dieser Inszenierung durch, womit er in "Liliom" eingestiegen ist. War es dort Steven Scharf, der zu Beginn tanzend Thema und Takt des Dramas vorgab, tanzen nunmehr die Akteure nahezu durch. Und das, man kann es sich bei diesem bösen Volksstück denken, nicht aus Spaß an der Gaudi.

Wenn die Tanzbeine schwingen: Sylvana Krappatsch und Max Simonischek beim Schwofen. Foto: Julian Röder

Der Tanz steht vielmehr für Tanzpalastvergnügen, für Walzerseligkeit, aber auch für ein Ordnungssystem, dem eine eigene Verführungskraft innewohnt: Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der sehr bös die Dummheit steht. Man kann sich denken, wie gut in dieser Gesellschaft die Kontrolle funktioniert. Wer im Takt tanzt, ist dabei. Wer dazwischen schlurft, geht oder sich nach einem anderen Takt wiegt, der hat sich - bewusst oder unbewusst - an den Rand begeben. So wie eben Marianne (Anna Drexler).

Das Leben im Wiener Wald ist eine Vorhölle, vom Licht der Neonröhren kalt beleuchtet. Zunächst ist da noch der eiserne Vorhang, vor dem Tanzpaare sich zum Walzer drehen. Dann hebt sich die Wand, und man ist mit Wartezimmeratmosphäre konfrontiert. Davor kreiselt die Drehbühne, Tanzboden und Glücksrad zugleich. Zu Beginn sitzen die Akteure im Hintergrund so schlaff da wie Ferdinand Hodlers Lebensmüde, nur einer steht und singt mit zittriger Stimme "Das Lied von der Wachau": Peter Brombacher, als Großmutter. Den Conferencier und den Havlitschek wird er auch noch geben, tanzend: Ausfallschritt, das Schlachtermesser in die Luft geschwungen. Grotesk ist das mit dem Messer, ein grausamer Witz, es verschmelzen da die Mörderrollen. Die Großmutter wird ja schließlich auch Mariannes Buben sterben lassen. "Das Lied von der Wachau" hat mit seiner giftigen Klebrigkeit doppelte Berechtigung: Nach diesem Schlager verlegte Horvath einen Teil der Handlung in die Wachau.

Hier verbiegt sich jeder, niemand aber so souverän wie Valerie, die der Hallodri Albert (Max Simonschek) wie eine Gliederpuppe stemmen kann, dass die Beine nur so durcheinanderschlenkern. Sylvana Krappatsch spielt die verlogene Trafikantin kühl verlockend, ein Kunstwesen, das seine Emotionen so wechselhaft wie unaufrichtig durchdekliniert. Überhaupt diese Angepassten: Der Zauberkönig ist hier kein erbarmungsloser Vater, Wolfgang Pregler verkörpert ihn als Clown, dessen Hilflosigkeit einen am Ende doch berührt - obwohl man sich das bei dieser Gesellschaft am liebsten verbieten würde.

Wahrhaftige Frauengestalt

Gschlampert und unschuldig: Anna Drexler als Marianne. Foto: Julian Röder

"Realität wird immer geprägt durch eine Gesellschaft, die die Gesetze macht, die bestimmt, wer draußen bleibt, wer nach oben darf und wer eben nicht. Es ist erschreckend zu beobachten, dass Geburt und Herkunft für die gesellschaftliche Teilhabe eine so entscheidende Rolle spielen", schickt Kimmig seiner Regiearbeit erklärend voraus. Der Einzelne kann da kaum ausbrechen, nicht der unbeholfene (und wiederum unaufrichtige) Oskar (Stefan Merki), nicht Student Erich (Jeff Wilbusch, in einer Mehrfachrolle), nicht die Mutter noch der Rittmeister (Jochen Noch). Diejenige, die es versucht, geht daran schier kaputt: Anne Drexlers Marianne. Wie die junge Schauspielerin das Wiener Mädel spielt, naiv und durchtrieben zugleich, gschlampert und doch unschuldig, liebevoll und zugleich egoistisch: Das ist inmitten dieses durchaus hervorragend besetzten Ensembles ein echtes Ereignis. Drexler verwandelt sich - wie schon in Liliom - in eine wahrhaftige, faszinierende Frauengestalt.

Man könnte anmerken, dass in diesem von vorn bis hinten im Tanz durcheilten Stück der echte Horvath ein bisschen auf der Strecke bleibt, seine Sprache, seine Nuancen, die Schattierungen seiner Gestalten. Hier ist alles vor allem Bewegung, System, Mechanik. Das Stück wird damit noch zeitloser, gegenwärtiger. Ein Horvath-Klassiker, der ganz nagelneu wirkt. Viel Beifall und Bravos auch an einem ganz normalen Abend, ganz ohne Premierenglamour.

 

 

 

Veröffentlicht am: 13.11.2014

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