Fotos von Margaret Bourke-White im Kunstfoyer

Das Auge ihrer Zeit

von Achim Manthey

Entrindungemaschine zur Verarbeitung von Kiefernholz zu Papier der Union Bag & Paper Co., Savannah, Georgia, Mai 1939 (c) Time & Life/Getty Images

Die Ausstellung "A Moment in Time" zeigt Fotografien der amerikanischen Fotografin Margaret Bourke-White. Sie geben den Blick frei auf historische Personen und Momente aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

George S. Patton war nicht zimperlich. Nachdem die 3. US-Armee unter seinem Komando das Konzentrationslager Buchenwald in der Nähe Weimars befreit hatte, erhielten 1000 Bürger der Stadt eine Einladung, die sie nicht ausschlagen konnten: Die Militärpolizei holte sie ab und führte sie auf einem Spaziergang durch das KZ, um die "Ahnungslosen" mit den Realitäten des Nazi-Terrors zu konfronieren. Margaret Bourke-White, die schon die Befreiung des Lagers fotografiert hatte - ihr Bild "The living dead of Buchenwald" ging um die Welt -, lichtete die entsetzten Gesichter der Bürger ab, von denen sie später in ihrer Erinnerungen schrieb, sie habe keinem von denen je ihre Ahnungslosigkeit abgenommen.

Margaret Bourke-White war in der von Männern dominierten Fotografenszene häufig die Erste, oft auch die Einzige: Die Erste, die Stahlwerke ablichtete, die erste Ausländerin, die in der Sowjetunion fotografieren durfte, die erste Fotografin, die für die US-Luftwaffe arbeitete und damit auch die erste war, für die eine eigene Uniform designed wurde, die einzige ausländische Fotografin, die bei den deutschen Bombenangriffe auf Moskau am 19. Juli 1941 in der Stadt war. Die Reigen ließe sich fast beliebig fortsetzen. Als schön, intelligent, klug und durchsetzungsstark wird sie beschrieben. Wenn sie sich etwas in dem Kopf gesetzt hatte, zog sie es auch durch, berichtet die Kuratorin Olivia María Rubio beim Rundgang durch die Ausstellung.

Arbeiter auf dem Generatorengehäuse des Dnjprostroj-Wasserkraftwerkes, Saporischja, Sowjetunion (heute Ukraine), zirka 1930 (c) Margaret Bourke-White/Masters by Getty Images (c) Time & Life/Getty Images

Es sollte ein atemloses, aufregendes, produktives und erfolgreiches Leben werden, das Margaret Bourke-White - der Nachname setzt sich aus ihrem Mädchennamen und dem Familiennamen ihrer Mutter zusammen - führte. Von der Fotografie als Beruf war anfangs gar nicht die Rede. Sie wird am 14. Juni 1904 in der New Yorker Bronx geboren. 1922 beginnt sie an der Columbia Universiät, Herpetologie (Amphibien- und Reptilienkunde) zu studieren. Nebenbei belegt sie Kunstkurse und ein Fotoseminar bei Clarence H. White, um, wie Oliva María Rubio beim Rundgang durch die Ausstellung erzählt, tierlieb wie sie war später einmal auf Safari gehen und Tiere fotografieren zu können. Es sollten andere Arten von Safaris werden.

Nach mehreren Hochschulwechseln und einer kurzen Ehe schließt sie 1927 ihr Studium - sie hatte 1924 auf Zoologie umgesattelt - ab und zieht nach Cleveland, wo sie ihr erstes Fotostudio eröffnet. Intensiv widmet sie sich in den folgenden Jahren der Architektur- und Industriefotografie. Auf dem Werksgelände von Otis Steel entsteht eine Bilderserie von Bauten, Maschinen und Produkten; eine Aufnahme, "Romanze in Stahl", gewinnt einen Kunstwettbewerb des Cleveland Museum of Art. Die in der Münchner Ausstellung gezeigten Fotografien zeigen, dass Bourke-White sich zu der Zeit stark an den Regeln der damals noch jungen Neusachlichkeit orientierte: Die Bilder sind geprägt von der Faszination, die von der technischen Entwicklung ausging, ebenso von der Ästhetik der Industrieanlagen oder der Materialien und Werkstücke. Nichts sollte gestört werden durch die Abbildung von Menschen auf den Aufnahmen.

Sergej Eisenstein (1898-1948) bei der Rasur auf der Terrasse von Bourke-Whites Studio im Crysler-Building, New York 1932, Syracuse University Library Collection New York (c) 2012 Estate of Margaret Bourke-White/Licensed by VAGA, New York

1929 wird Henry Luce, der Herausgeber der Zeitschrift Time, auf sie aufmerksam und engagiert sie für ein neues Wirtschaftsmagazin Fortune. 1930 reist Margaret Bourke-White zum ersten Mal in die Sowjetunion. Auch hier war zunächst die Technik und industrielle Entwicklung ausschlaggebend. Stalin hatte dem Land 1928 den ersten Fünfjahresplan verordnet, um die Entwicklung von einem Agrar- und Industriestaat zu fördern. Das interessierte die Fotografin. In diesem Jahr sowie bei weiteren Besuchen 1931 und 1932 entstanden zahllose Aufnahmen aus allen Lebensbereichen, die vom New York Times Magazine in einer Reportagereihe über die Sowjetunion veröffentlicht wurden. Und die Art der Fotografie der jungen Bildreporterin beginnt sich zu wandeln: der Mensch rückt mehr und mehr in den Vordergrund. Aufnahmen aus Arbeits- und Geschäftswelt, Straßenszenen und Bilder, die Lebensumstände Einzelner darstellen, drängen die reine Technik zurück. Zwar scheitert sie in ihrem Bemühen, Stalin zu portraitieren, stöbert jedoch dessen Mutter in der Nähe von Tiflis auf und lichtet sie 1932 ab. Auch Deutschland bereist die Fotografin 1930 und 1932, fotografiert in den UFA-Studios von Babelsberg, in Bremen oder bei AEG in Berlin. Zahlreiche Fotografien entstanden in Kasernen und bei Feldübungen der Reichswehr. Ahnte sie etwas von den düsteren Entwicklungen, die bevorstanden? Darüber lässt sich nur spekulieren.

1932 übersiedelt sie nach New York und richtet sich ein Fotostudio hoch oben im Crysler Building ein. Auf der Terrasse dort entstand das ebenso beeindruckende wie witzige Bild, wie sich der sowjetische Regisseur Sergei Eisenstein mit der Skyline im Hintergrund rasieren lässt. Bourke-White widmet sich nun auch der Werbefotografie. Mit ihren Auftraggebern handelt sie für damalige Verhältnisse astronomische Honorare aus. Im Auftrag der Eastern Airlines entstehen 1934 beeindruckende Bilder von über den Wolkenkratzern von New York fliegenden Passagiermaschinen.

Stalins Mutter Ekaterina Dzhugashvili (1858-1937), Tiflis, Sowjetunion 1931, Syracuse University Library Collection (c) Time & Life/Getty Images

1936 gründet Henry Luce das Magazin Life, das zu einer der bedeutensten Zeitschriften für Foto-Journalismus werden sollte. Wieder ist Margaret Bourke-White dabei: Das erste Heft von Life erscheint am 23. November mit einer Fotografie vom Bau der Fort-Peck-Talsperre auf der Titelseite, das von ihr gefertigt wurde. In den folgenden 20 Jahren ist die Fotografin für das Magazin auf der ganzen Welt unterwegs, lässt nahezu keinen Brennpunkt aus. 1938 liefert sie einen Bildbericht über die Sudetenkrise in der Tschechoslowakei, arbeitet daneben gemeinsam mit dem Schriftsteller Erskine Caldwell, den sie 1939 heiratet, an einem Buch über den zunehmenden Antisemitismus in Mitteleuropa, das 1939 unter dem Titel "North of the Danube" erscheint.

1941, knapp zehn Jahre nach ihrem letzten Besuch dort, reist die Fotografin erneut in die Sowjetunion. Es gelingt ihr dieses Mal, ein Portrait von Stalin anzufertigen: Ein lächelnder Tyrann, über den sie später in ihren Erinnerungen schreibt, sie habe ihn mit dem Gefühl verlassen, "nie im Leben einem dermaßen entschlossenen und unbarmherzigen Mann begegnet zu sein". Angeblich, so erzählt die Kuratorin der Ausstellung, sei das Lächeln des Diktators durch einen kleinen Unfall entstanden: Der Fotografin sei ihre Tasche umgekippt und die kleinen Birnen für das Blitzlicht waren herausgekullert. Bourke-White habe sie auf Knien zusammengeklaubt, was das Lächeln Stalins bewirkt habe. Fragt sich nur, wie dann das Portrait entstanden sein soll, das 1943 auf dem Titel von Life veröffentlicht wurde und in der Schau zu sehen ist. Wie dem auch sei. Als am 19. Juli 1941 die ersten deutschen Bomben über Moskau niedergingen, war Margaret Bourke-White als einzige ausländische Fotografin im Land.

Ein Paar zieht einen mit Kindern und Proviant beladenen Handkarren, Deutschland 1945, Syracuse University Library Collection (c) Time & Life/Getty Images

1942 wird ihre Ehe mit Caldwell geschieden. Bourke-White geht als Kriegsberichterstatterin nach Europa. Bei der Überfahrt wird das Schiff, mit dem sie reist, von einem Torpedo getroffen, alle Passagiere müssen in die Rettungsboote. Die daraus entstandene Bildreportage "Women in Lifeboats" veröffentlicht Life im Februar 1943. Im gleichen Jahr nimmt sie als erste Frau und Vorläuferin eines "Embedded Journalist" an einem Bombereinsatz der US-Luftwaffe in Nordafrika teil. Sie fotografiert 1944 auf den Schlachtfeldern des Italienfeldzuges, in den Lazaretts an der Front entstehen etschütternde Bilder. 1945 ist sie in Deutschland und dokumentiert in verschiedenen Städten, so in Berlin, Frankfurt am Main, Nürnberg und München die Kriegsfolgen, das Elend der Menschen nach Kriegsende, aber auch das, was Anlass zur Hoffnung für einen Wiederaufbau gibt. 1946 erscheint ihr Buch "Dear Fatherland, Rest Quietly", das der US-Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen als Beweismittel verwendet.

Nach dem Krieg bereist sie Indien und Pakistan, berichtet aus Südafrika über die Grausamkeiten des Apartheit-Regimes und 1952 über den Krieg in Korea. 1953 treten erste Symtome einer Parkinson-Erkrankung auf. Sie arbeitet weiter, kann aber 1957 schon keine Aufträge mehr von Life übernehmen. Operationen haben nur kurzzeitig Erfolg. Am 27. April 1971 stirbt Margaret Bourke-White in Stamford, Connecticut. Sie wurde nur 67 Jahre alt.

Die Münchner Ausstellung beschränkt sich auf einen Zeitraum von 16 Jahren zwischen 1930 und 1946. Sie will erklärtermaßen keine Werkschau sein - und ist es in gewisser Weise doch. Margaret Bourge-White wollte das "Auge der Zeit" sein. Für die ihre war sie dies, wie die sechs Abteilungen der Ausstellung belegen. Sie war dabei, als sich die Fotografie veränderte, als sich die Weltereignisse überschlugen. So wurde sie zu einer Pionierin der Foto-Reportage und des Foto-Essays. Die Seiten des Lebens, ob schön oder hässlich, zeigt die Schau, spart auch das Entsetzliche nicht aus. Ergänzt wird die Schau durch geschickt in Kunst-Transportkisten präsentierte Zeitschriftenseiten, Korrespondenzen und weitere Dokumente. Ein Stück lebendige Geschichte.

Bis zum 1. September 2013 im Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern, Maximilianstraße 53 in München, täglich 9-19 Uhr, an gesetzlichen Feiertagen geschlossen, Eintritt frei. Sehr instruktiver Katalog in englischer Sprache (35 Euro).

 

 

 

Veröffentlicht am: 10.06.2013

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