Fotograf Erich Hartmann im Amerika Haus

Der Münchner in New York - eine Neuentdeckung

von Achim Manthey

Unterhalb der Brooklyn Bridge (c) Erich Hartmann/Magnum Photos

Die Ausstellung "New York Stories 1946 - 1957" zeigt Fotografien aus den frühen Jahren des Künstlers. Sie wurden der Grundstock für die Arbeiten, die seinen Weltruf begründet haben.

Das Empire State Building steht Kopf. Das im Hintergrund wie aus dem Nebel auftauchende Gebäude bildet sich auf der 1949 entstandenen Aufnahme in einer auf einem Dachsims plazierten Linse glasklar ab. Sie ist ein klassisches Beispiel dafür, dass Fotografie im Kopf des Menschen hinter der Kamera entsteht: durch Sehen, Nachdenken und Überlegen, was wohl passiert, wenn man dies oder jenes ausprobiert. Eine gesprungene Fensterscheibe gibt auf dem 1950 entstandenen Foto "Window" den Blick durch einen Maschendraht frei auf eine urbane Szene, die verschwommen bleibt.

Es sind beeindruckende, exakt komponierte Bilder, die aber nicht typisch sind für das frühe Werk des Fotografen. Ihn interessierte das Leben auf den Straßen der Großstadt, die Beziehung der Menschen zu ihrem Viertel, vor allem aber auch die Arbeitswelt. Schon früh entwickelte er auch ein Faible für die großen Brücken New Yorks.

Empire State Building, 1949 (c) Erich Hartmann/Magnum Photos

In der Frauenklinik am Sendlinger Tor in München, die es schon lange nicht mehr gibt, wird Erich Hartmann am 29. Juli 1922 als Sohn jüdischer Eltern geboren. Er wächst in Passau auf. Als er 16 Jahre alt ist, flieht die Familie aus Nazi-Deutschland nach New York. Der junge Mann arbeitet in einer Textilfabrik, schließt die High School ab und geht zur US-Armee, für die er in Belgien, Frankreich und Deutschland gegen die Wehrmacht kämpft und nach Kriegsende als Berichterstatter bei Nazi-Prozessen in Köln eingesetzt ist. Danach war er für kurze Zeit noch einmal in München, lebte in der Ludwigsvorstadt nahe der St. Pauls-Kirche, erzählt seine Frau Ruth Bains Hartmann dem Kulturvollzug bei der Ausstellungseröffnung.

Erst 1946 beginnt Hartmann seine fotografische Ausbildung als Assistent eines Portraitisten und arbeitet danach selbst als freier Fotograf. In dieser Zeit entstehen Portraits unter anderem von Walter Gropius, Leonard Bernstein und vielen anderen Künstlern. Erste Reportagen und Fotoessays in amerikanischen und europäischen Zeitschriften machen ihn bekannt.  Auf Empfehlung von Robert Capa wird er 1952 Mitglied der Agentur Magnum, ist von 1967 bis 1986 Vorstandsmitglied und 1985/86 deren Präsident.

Lower East Side, 1948 (c) Erich Hartmann/Magnum Photos

Für viele internationale Zeitschriften, darunter Time, Life, Vogue, die französiche Paris Match, die italienische Epocha und Zeit, Stern und Focus hat Hartmann gearbeitet, auch Aufträge aus der Industrie hat er - technikbegeistert wie er war - übernommen. Am 4. Februar 1999 stirbt er in New York.

Immer wieder kommen Brücken vor: Die Aufnahme eines U-Bahn-Aufgangs in der Nähe der Brooklyn Bridge von 1955 fasziniert durch ihre vollkommene Symmetrie. Die Handläufe des Aufstiegs, die Lichtmasten sind mit den Gebäudefassaden entlang der Straße, die auf die Brücke hinführt, in einer Spur. Da stürzen und fallen keine Linien. Das ist große Fertigkeit, die er da zeigt. Das Foto eines fahrenden Wagens an der Auffahrt zur George Washington Bridge erzeugt durch Unschärfe Dynamik. Weiterer Schwerpunkt sind die Menschen in den Straßen der Stadt. Ein Mann auf der Straße unterhalb der Brooklyn Bridge: Mit Hut und wehendem Mantel scheint er wie ein Scherenschnitt in die Szenerie gestellt. Der rauchende Farbige, der sich an eine Hauswand lehnt, vor sich hin starrt, nachdenklich, deprimiert, drückt die Härte der Armut aus.

George Washington Bridge, 1951 (c) Erich Hartmann/Magnum Photos

Es sind zärtliche, einfühlsame Bilder. In den meisten der Straßenszenen sind die Menschen nur von hinten zu sehen. Das hatte nicht nur mit der Furcht zu tun, die Abgebildeten wären nicht einverstanden mit der Aufnahme, erklärt Ruth Bains Hartmann. Erich Hartmann hatte sehr früh erkannt, dass Menschen, sobald sie bemerken, dass sie fotografiert werden, zu posieren beginnen und so die fotografische Situation zerstören können - sehr schön erkennbar auf der 1948 in der Lower East Side entstandenen Fotografie, die einen Mann zeigt, der mit Blick in die Kamera seinen Hut zurechtrückt und sich in Pose bringt, während nebenan im Hauseingang eine Frau beim Putzen ihr Gesäß in die Kamera streckt. Die aus der Aufnahme zu fliehen scheinenden Figuren verleihen den Bildern eine besondere Dynamik, geben auch Stimmungsbilder wieder, wie "Air Raid Drill", 1954 zu Beginn des Kalten Krieges entstanden. Blumenboten und Lastenträger sind zu sehen, ein Verkäufer steht wie ein Schatten in dem Bekleidungsgeschäft. Nachtaufnahmen von 1950 zeigen Zeitungs- und Obstgeschäften. Das ist klassische Straßen-Fotografie.

Viele der gezeigten Arbeiten wurden zu Grundlagen für spätere Projekte. Aus den Brückenbildern entstand die 1956 in New York gezeigte Ausstellung "Sunday with the Bridge", die 1955 aufgenommenen Fotos einer Brotbäckerei waren Grundlage für die ab 1962 in mehreren amerikanischen Städten zu sehende Schau "Our Daily Bread". Hartmann war viel unterwegs und in der Welt daheim. Auch nach Deutschland kehrte er zurück: Es entstand sein vielleicht persönlichstes Projekt, als er auf der Spur der Täter Konzentrationslager fotografierte. 1995 erschien der berührende Bildband "In The Camps".

Leise, fast intim schon zeigen die frühen Bilder Hartmanns seine Sicht auf die kleinen und großen Dinge der Welt. Nie verletzend, immer persönlich und feinfühlig, als sähe er mit dem Herzen, bildet er ab und beleuchtet Details, die so vielleicht gar nicht erkennbar geworden wären. Es sind weniger die Brennpunkte, als viel mehr die alltäglichen Kleinigkeiten abseits von Glanz und Gloria dieser Metropole, die noch heute beeindruckende Einblicke gewähren. Die in Zusammenarbeit mit der Magnum Foundation und der Galerie Clair entstandene Ausstellung ist sehenswert.

Gegen Ende seiner Tage fand Erich Hartmann noch zum Schreiben. "Heute bin ich ein alter Mann und vergesslich, doch alles ist nicht vergessen", schrieb er. In dem Essay "Münchner Jahre" blickt er zurück auf seine Kindheit und Jugend in Bayern. Der Text wird in einer Sonderveranstaltung zur Ausstellung erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Bis zum 27. Juli 2012 im Amerika Haus, Karolinenplatz 3 in München, Mo-Fr 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Am 28. Juni 2012 um 19 Uhr liest Armin Rosenbach den Text von Erich Hartmann. José Gallardo begleitet den Vortrag am Klavier. Der Eintritt ist ebenfalls frei.

 

 

 

 

Veröffentlicht am: 06.06.2012

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