FotoDoks 2011: Trümmer, Alk und etwas Bunga Bunga

von Achim Manthey

Land of Milk and Honey, 2005 (c) Paul Kranzler

Dokumentarfotografie begegnet uns täglich in Zeitungen und Magazinen, auch das Fernsehen kann nicht darauf verzichten. Das mehr dahinter steckt, zeigt die Sammlung Fotografie im Münchner Stadtmuseum in der Ausstellung "FotoDoks: Unglaublich - Incredible Sensationslust, Dokument, Realität".

Der Sabber läuft dem Alten, der gar nicht mehr ganz bei sich ist, unkontrolliert aus dem Maul. Wieso, wozu sich noch gescheit anziehen am Tag? Hauptsache der Kühlschrank ist mit dem, was fürs Leben wichtig ist, prall gefüllt: Bier, Wein, Schnaps. Der Frau ist es völlig wurscht, ob sie dem Besucher hängend barbusig die Türe öffnet. Die Wohnung messiehaft verkommen. Die zwischen 2002 und 2005 entstandene, erschütternde  Fotoserie "Land of Milk and Honey" des österreichtischen Fotografen Paul Kranzler zeigt eine Linzer Familie am Abgrund und stellt ein Highlight der Ausstellung dar, obwohl sie sich sehr nah an der Grenze zwischen Dokumentation und Zurschaustellung bewegt. Die schließlich leer geräumte Wohnung beendet die Reihe. Nicht geschafft. Nicht minder, wenn auch auf andere Weise brutal präsentiert Julian Röder in der Reihe "World of Warfare" die größte Waffenmesse der arabischen Welt in Abu Dhabi, auf der sich alljährlich die Waffenproduzenten des Globus, darunter diejenigen aus Deutschland prominent vertreten, ein Stelldichein geben. Häppchen vor Panzern, Patronenketten sind ausgelegt und mit Edelsteinen verziert, gepanzerte Fahrzeuge werden nochmal ordentlich aufpoliert. Krieg und Kommerz verbinden sich auf den Bildern in zynischer, abstossender Weise.

The Terrible City - Gaza, 2009 (c) Heinrich Völkel

Seit drei Jahren gibt es das Festival FotoDoks, ein Forum für Dokumentarfotografie. Nach Stationen in Bad Aibling und im Puerto Giesing gastiert es nun im Münchner Stadtmuseum, wo es angekommen scheint. Die aktuelle Ausstellung zeigt 16 Bilderreihen von deutschen, österreichischen und italienischen Fotografen. Die Arbeiten bewegen sich zwischen Dokumentation, Infotainment und Illustration. Und sie beweisen eines: Auch wenn Dokumentation einen objektiven Blick erwartet, geht es ohne die subjektive Sichtweise des Menschen, der hinter der Kamera agiert, nicht.

Kai Wiedenhöfer und Heinrich Völkel nähern sich mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln der Tragödie im Gaza-Streifen an. Erschütternde Bilder der Zivilopfer, die der Lebensmut gleichwohl nicht verlassen zu haben scheint, zeigt der eine, der andere sucht die Ästhetik der Ruinen, in denen die Menschen versuchen, ein Mindestmass an Normalität für ihr Leben zu finden. Valerio Spadas berichtet aus Scampia, einem von der Camorra beherrschten Vorort Neapels, dessen Menschen kaum zu einer Normalität finden können. Giuseppe Carotenuto hat italienischen Soldaten bei ihrem Einsatz in Afganistan portraitiert und verbindet dies mit ihren Tagebucheinträgen, die das Helfen-wollen ebenso wie die Hilflosigkeit und ihre Einsamkeit ausdrücken. Damit korrespondieren die Fotos von Jörg Gläscher in der Reihe "Tod kommt später, vielleicht", die sich mit den Vorbereitungen deutscher Soldaten auf ihren Einsatz befassen. Ein in sich versunkener Marinetaucher vor dem nächsten Tiefgang. Die Einheit vor dem Abflug. Wird es wieder einmal gut gehen? Angst, auch Skepsis schwingt mit auf den Bildern mit.

God's Caress, 2011 (c) Maurizio Cogliandro

Still, düster die Bilder von Maurizio Cogliandro, aufgenommen im Zisterzienserkloster Pra'd Mill in den italienischen Alpen: Mönche beim Studium oder beim Schreiben in ihren Zellen, beim Empfang der Hostie. Oder der Blick auf die Gräber vor dem Kloster. Kreuze aus einem Ast und einem schmalen Brett. Bescheidenheit im Leben wie im Tod.

Und schließlich, in einem  Durchgang angemessen plaziert, dann doch noch etwas "Bunga Bunga". Aufnahmen des Paparazzo Antonello Zappadu zeigen den "Cavaliere" in seiner Villa Certosa auf Sardinen im Kreis leicht oder nicht bekleideter junger Frauen, Bilder, die zuvor schon um die Welt gingen. Dokumente einer Qualifikation, die sich eher um die Laibesmitte herum abspielt und Zeugnis eines unzeitgemäßen Zynismus von Macht.

Die Ausstellung ist in ihrer Vielfalt spannend. Sie spannt den Bogen von der Sozialreportage über den Tagesjournalismus bis hin zur Medienreflexion. Geschichten sind sichtbar gemacht, Zeitgeschehen und die kleinen Begebenheiten des Alltags werden gezeigt. Der Betrachter ist weit weg von den dargestellten Tatsachen und dann wieder ganz nah dabei. Das macht Dokumentationsfotografie aus und die Schau sehenswert.

Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass der diesjährige FotoDocs-Preis an den italienischen Fotografen Bruni Pullici vergeben wurde. Der 30-Jährige wurde am C.F.P. Riccardo Bauer-Institut in Mailand ausgebildet. Er ist freiberuflicher Fotograf in Mailand und war unter anderem an Ramak Fazels Projekt "49 Capitols" beteiligt. Ausgezeichnet wurde er nun für seine in der Ausstellung zu sehende Bilderreihe "Domestico", die Familienportraits zeigt, Menschen in ihrer häuslichen Umgebung, von denen einzelne behindert sind. Sie sind zusammen, aber doch nicht gemeinsam, wie es scheint. Die Fotografien offenbaren eine eigenartige Distanz zwischen den abgebildeten Personen, die beim Betrachter Irritationen auslöst. Die Entscheidung der Jury ist vertretbar.

Bis zum 13. November 2011 im Münchner Stadtmuseum, St. Jakobs-Platz 1, Di-So 10 bis 18 Uhr.

 

Veröffentlicht am: 18.10.2011

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