Berlin zeichnet: eine Ausstellung in München verheddert sich

von Achim Manthey

The new reputation of time, 2008 (c) Yehudit Sasportas)

In der Ausstellung "Berlin zeichnet" präsentiert das Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern "22 aktuelle Positionen von Arbeiten auf Papier", was im Klartext heißen soll, das Werke von 22 Künstlern gezeigt werden. Tradition? Moderne? Gar "kritischer Realismus", wie es heißt? Es bleiben mehr Fragen, als Antworten gegeben werden.

Das Arschloch explodiert sternförmig. Dem gezeichneten Anus entfährt kein bloßer Pup, sondern ein asymetischer Stern. Nicht nur Bohnensuppe, sondern etwas ernsthaftes muss hier passiert sein. Die tatsächlich mit "Arschloch" betitelte Tinten-Zeichnung von Ralf Ziervogel ist Teil der 2010 entstandenen Serie "Every Adidas Got Its Story", aus der in der Ausstellung  acht Werke gezeigt werden. Es sind bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Motive, die obsessive, auch punkige Gewalt darstellen wie in "Not" oder minimalistische Wörterkonstruktionen aufbauen, die mit ihrem Ende beginnen, wie in "Gelaenderworld". Ganz im Gegensatz dazu stehen die farbig grellen Arbeiten Daniel Richters, die keine Zeichnungen im klassischen Sinne mehr sind. Spontane Reaktionen aktueller persönlicher oder gesellschaftlicher Ereignisse werden mit Bleistift, Öl und Tesa-Film auf Papier ausgeführt, wie in dem Bild "Vorbei" aus dem Jahr 2003. Die Verwendung des Tesa führt zu besonderen Farbeffekten, weil das Papier dort die Farbe nicht aufsaugen kann. Die Bilder zerteilen sich in einzelne Segmente, ohne in ihrer Gesamtheit zerrissen zu werden. Irgendwie im Hintergrund bleibend satirisch, letzlich aber profan kommt die  getuschte Papst-Serie von Cornelia Schleime daher. Heilige Väter bei der Amtseinführung, als Segensspender und als Tröster des Todes, der ihn schließlich selbst küsst.

Intercontinental I, 2010 (c) Jorinde Voigt

Schon in den 1980er Jahren hatte sich die Gruppe der "Jungen Wilden" in Berlin der Situation der Stadt zwischen Mauer und beginnendem Aufbruch angenommen. Spätestens seit dem Fall der Mauer hat sich dort - sicherlich begünstigt durch günstige Mieten und Arbeitsbedingungen - eine bis heute boomende Szene junger Kunstarbeiter eingerichtet. Sie schart sich um so renommierte Künstler wie Reiner Fetting, den Mitbegründer der "Jungen Wilden", die aus der Selbsthilfegalerie am Moritzplatz hervorgegangen war. Berühmt ist seine Willi-Brandt-Skulptur im Atrium des Willi-Brandt-Hauses in Berlin. Durch den Zuzug junger Künstler ist eine lebendige Szene entstanden, die sich auch auf die Museums- und Galerienwelt der Stadt auswirkt. "Vor allem für Künstler und kreative Leute ist Berlin, damals wie heute, die wichtigste Stadt in Deutschland", meinte Fetting in einem im März dieses Jahres veröffentlichten Interview mit dem Kulturvollzug.

Iwan lehnend in Pelz (c) Rainer Fetting

Die in München gezeigte Ausstellung verstrickt sich nicht nur in der Vielfältigkeit der Berliner Kunstszene sondern auch durch die willkürlich scheinende Ausweitung des Begriffs der Zeichnung als Abgrenzung zur Malerei. Neben Zeichnungen im klassischen Sinne, ausgeführt mit Bleistift, Feder und Tusche, sind eben auch Aquarelle und collagenartige Werke unter Verwendung von Fotografien, Fotokopien oder Acryl zu sehen. Beate Terfloth befasst sich in ihrer sechsteiligen Pinselzeichnung "Graph" mit der Linie: Von Punkten ausgehende, gezeichnete Fäden in schwarz rot und blau ziehen sich über das Papier, bilden Netze, Knäuel, lösen sich wieder und setzen sich ins nächste Bild fort. Streng geometrisch-konstruktiv die Arbeiten Frank Badurs, die an Barcodes erinnern. Von Yehudit Sasportas sind großformatige schwarze Tuschezeichnungen zu sehen, die Elemente der deutschen Romantik mit Symbolen der ökologischzen Kathastrophen des Heute kombinieren. Eingrenzungen, eine genaue Zuordnung, Verortung der Gegenstände, die an ihren Platz gehören, symbolisiert die Arbeit "54 Territorien" von Jorinde Voigt. Die gezeigten Werke Rainer Fettings setzen den klassischen Expressionismus fort. Die aus vitalen Linien und Farben entstandenen Werke sind angesiedelt zwischen "Gefühl und Härte" man könnte es auch Liebe und Abneigung nennen; beides ist zum Überleben in der Großstadt unerlässlich. Praktischer Nutzanwendung dienen 80 kleine Handzeichnungen von Takehito Koganezewa, aus denen eine Ingo-Maurer-Lampe geworden ist.

Die Ausstellung bietet einen reichhaltigen Überblick über einen kleinen Teil der Berliner Kunstszene. Abbild eines Berlin-Hypes ist sie nicht. Das ist ohnehin so eine Sache, die Rainer Fetting im Interview mit dem Kulturvollzug selbst relativiert hat. Der Hype "ist immer da, wo er auch gerade auftaucht. Davon lebt doch die Kunstszene. Wenn da einer irgendwelche Kringel malt, dann malen sie plötzlich alle Kringel", und weiter "... so was geht in ganz Deutschland um." Mag sein, dass Berlin auch die neue Kunsthauptstadt dieses Landes werden will. Die Münchner Ausstellung hilft ihr auf dem Weg dorthin nicht weiter.

Bis zum 11. September 2011 im Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern, Maximilianstraße 53 in München, täglich von 9 bis 19 Uhr bei freiem Eintritt. Führungen am 11. September 2011 mit Dr. Alexander Tolnay am 11. September 2011 um 12.30 Uhr und 18.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

 

 

 

Veröffentlicht am: 01.09.2011

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