Was Dürer drunter hatte - Eine Ausstellung in der Alten Pinakothek bringt es an den Tag

von Achim Manthey

Drüber: Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock (c) Bayer. Staatsgemälde-sammlungen/Alte Pinakothek

In der Sonderausstellung "Drunter und drüber - Altdorfer, Cranach und Dürer auf der Spur" gibt die Alte Pinakothek in München anläßlich ihres 175. Geburtstags Einblick in die Forschungsarbeit an Gemälden und überrascht mit technischen Finessen.

Mit vor lauter Inspiration verklärten Augen, das Haupt nach hinten gestreckt wirft das Genie sein Werk mit kühnen Pinselstrichen auf die Leinwand. Schmarrn. Was Oper und Film vorgaukeln, stimmt schlicht nicht. Die Ausstellung zeigt, dass man sich die Entstehung eines Gemäldes eher so vorstellen muss wie die Malbücher aus der Kindheit, in denen vorgegebene Motive mit Wasserfarben oder Buntstiften ausgemalt werden konnten. Nur das die Vorgaben von den Künstlern selbst stammten. Fakt ist, dass die großen Maler ihre Werke durch Unterzeichnungen akribisch vorbereiteten. Bis ins Detail wurden Gesichtszüge, Frisuren, Bärte, Faltenwürfe der Gewänder, ja selbst die Verästelungen von Bäumen und Sträuchern auf den Leinwänden oder Holztafel vorgezeichnet und Landschaften konzipiert. Um Perspektiven zu halten wurden Linien in die Entwürfe eingezogen, verworfen und neu konstruiert. Ein wesentlicher Teil der künstlerischen Arbeit fand vor dem Malen statt. Für die Augen der Öffentlichkeit waren diese künstlerischen Konstruktionspläne nicht bestimmt. Altdorfer, Cranach oder Dürer hätten sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass es gut 400 Jahre nach ihrer Zeit möglich sein würde, dies sichtbar zu machen und fotografisch festzuhalten.

Drunter: Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock,Infrarotreflek-tografie (c) Bayer. Staatsgemäldesamm-lungen/Doerner Institut

Das Zauberwort heißt Infrarotreflektografie. Das ist eine zerstörungs- und berührungsfreie Methode, um bei Gemälden die unter der oberen Malschicht, das also, was der Betrachter als das Kunstwerk wahrnimmt, liegenden Zeichnungselemente darzustellen. Mit technischen Mitteln wird das seit Jahrhunderten Verborgene sichtbar gemacht, ohne in die Substanz des Kunstwerks eingreifen zu müssen. Die Methode ist seit den 1960er Jahren bekannt. Sie glich zunächst eher der Röntgentechnik und brachte aufgrund des unterschiedlichen Reflexionsverhaltens der verwendeten Materialen sehr unterschiedliche, teilweise fragwürdige Ergebnisse. Kontrastprobleme und Unschärfen führten zu mehrdeutigen Resultaten oder Fehlinterpretationen. Erst durch die digitale Technik wurde es möglich, die zu scannenden Bildsequenzen ohne Standänderung der Kamera über einen Schlitten anzufahren und aufzunehmen. Auch größere Objekte können heute ohne analoge Bildmontagen erfasst werden, wodurch sich nun verbindliche Aussagen über Zeichen- und Malprozesse treffen lassen. Zeichenwerkzeuge und -materialien lassen sich ebenso bestimmen wie Änderungen im Malprozess und Korrekturen im zeichnerischen Entwurf zu dokumentieren sind.

Anhand von acht berühmten Werken zeigt die Ausstellung den Stand der Forschungsarbeit. Die originalen Gemälde werden im Verhältnis 1 : 1 den Infrarotaufnahmen, die zum Teil erstmals öffentlich gezeigt werden, gegenübergestellt und erlauben den direkten Vergleich zwischen Entwurf und fertigem Werk. Die Unterzeichnung zu Albrecht Dürers Selbstbildnis in Pelzrobe von 1500 dokumentiert eine akribische Vorarbeit insbesondere an Gesicht, Haaren und rechter Hand, während Mantel und Pelzkragen noch kaum vorhanden sind. Die Unterzeichnung zu dem Werk "Maria als Schmerzensmutter" von 1495/98 zeigt eine fast völlige Übereinstimmung mit dem fertigen Werk. Die Spuren des Säureattentats auf das Gemälde von 1988 bleiben auf der Infrarotaufnahme sichtbar. Auch die gezeigten Werke von Lukas Cranach d.Ä. zeigen eine fast völlige Übereinstimmung der vorbereitenden Unterzeichnung mit dem dann entstandenen Werk. Gerade bei Cranach beeindruckt die Erkenntnis, dass er hier jenseits aller Werkstattroutine selbst zeichnete und malte. Hans Holbein stellte bei einem Flügel des "Sebastiansaltars" im letzten Moment seinen Entwurf um und baute sich selbst - im Entwurf war die Nase etwas sehr spitz geraten - um und seinen jüngsten Sohn Hans ein, der kurz zuvor seine Heimatstadt verlassen hatte. Die Unterzeichnung zu Albrecht Altdorfers "Susanna im Bade" (1526) ist bereits überaus detailgenau, offenbart aber erhebliche Schwierigkeiten des Malers, die Perspektive zu halten. Altdorfer bewies aber auch den größten Mut, vom Entwurf abzuweichen, im Gemälde neu, anders zu gewichten. Die Gegenüberstellung von Gemälde und Unterzeichnung zu "Die Schlacht von Issus (Alexanderschlacht)" macht das ganz deutlich. Die sichtbar gemachten Unterzeichnungen sind eigene Kunstwerke, die Zeugnis von den zeichnerischen Qualitäten der Maler geben.

Die Ausstellung ist spannend. Sie zeigt sowohl das Kalkül der berühmten Maler, nichts dem Zufall zu überlassen, wie auch die Veränderungen, die sich in einem zweiten Schaffensprozess ergeben haben. Die durch modernste Technik ermöglichte Entlarvung hilft nicht nur der Forschung beim Erkenntnisgewinn, sondern auch dem Betrachter beim Verstehen.

Bis zum 18. September 2011 in der Alten Pinakothek in München, täglich außer Mo von 10-18 Uhr, Di 10-20 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Veröffentlicht am: 15.08.2011

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Andrea Rihl
15.08.2011 11:58 Uhr

Als "nicht praktizierende" Kunsthistorikerin möchte ich an dieser Stelle einmal für all die fundierten und immer wieder interessanten Artikel und Hinweise danken! Die meisten meiner nichtvirtuellen Freund wähnen im Internet und vor allem in Facebook nur Sodom und Gomorrha, aber es geht erfreulicherweise auch anders!

Kulturvollzug
15.08.2011 23:35 Uhr

Liebe Frau Rihl, die Firma dankt. Wir geben und Mühe, auch weiterhin (ama)