Umjubelte Erstaufführung: "Der geduldige Socrates"

von Jan Stöpel

Im Studierzimmer: Socrates (Stefan Sevenich), Melito (Robert Sellier) und die vier Schüler. Foto: Hermann Posch

Hin und hergerissene Liebende und ein von den Frauen geknechteter Philosoph: Das Staatstheater am Gärtnerplatz feiert mit der Münchner Erstaufführung von Georg Philipp Telemanns Oper "Der geduldige Socrates" eine umjubelte Premiere.

Sokrates war für seine Wahrheitsliebe und den Mut bekannt, mit dem er sich in sein Sterben fügte. Nicht weniger zu rühmen ist jedoch der Langmut, den er nicht nur bei seiner berühmt-berüchtigten Gattin Xanthippe an den Tag legte, sondern auch noch mit einer bislang unbekannten Zweitgattin: Nicht um des Lustgewinns geehelicht, natürlich, sondern um einen Gesetz zu gefolgen.

Mit der für jeden Mann verpflichtenden Doppelehe suchten die Athener dem Männermangel in ihrem Stadtstaat abzuhelfen. Und man darf annehmen, dass er sich im Verlauf der Ehe erst richtig zum Philosophen entwickelt, im Vermitteln zwischen den zerstrittenen Damen und im Ertragen des Zanks zwischen Xantippe (Heike Susanne Daum) und Amitta (Thérèse Wincent). Einige junge Männer der Athener Aristokratie sehen die Doppelehe hingegen mit Vorteilen verbunden: So muss man sich erst gar nicht zwischen zwei Angebeteten unterscheiden, ja, man darf es gar nicht.

Es braucht schon einen Philosophen, um zu erkennen, dass man sich mit derlei Unentschiedenheit keinen Gefallen tut: "Ein Mann, der sich zwei Frauen angetraut, hat seinen Kerker selbst gebaut", singt Sokrates (Stefan Sevenich). Seine Schüler machen es ihm auch nicht leichter, diese Trunkenbolde und Faulpelze, die, ergänzt durch die komische Gestalt des Pitho (Mauro Peter), dem  derben Geschmack des Hamburger Uraufführungspublikums gefallen haben dürften. Auf die frühe Entstehungszeit weist auch der Umstand hin, dass die Arien überwiegens auf Italienisch gesungen werden - ihr Text ist einfach dem  italienischen Vorbild entnommen.

Georg Philipp Telemanns musikalisches Lustspiel "Der geduldige Sokrates" erweitert das alte Schema der Irrungen und Wirrungen, bis dann am Ende durch einen Deus ex Machina  alles aufgelöst wird, durch die Dopplung der Damen. So hanebüchen sich die Handlung für uns Heutige mitunter ausnimmt, so gekünstelt Johann Ulrich von Königs aus dem Italienischen entlehntes Libretto auch wirkt: Telemann hat mit dieser komischen Oper ein leichtfüßiges und außerordentlich reich instrumentiertes Stück Musiktheater geschaffen.

Die Streitigkeiten der meist paarweise auftretenden Damen geben Anlass für im Duett oder kanonartig gesungene Rezitative, die Arien sind weit überwiegend aus der Kategorie Dacapo. Ob im Piano oder im vollen Orchestereinsatz, ob mit nach französischem Vorbild klingenden Bläsersätzen oder in hauchzarten Linien der Flöten - Telemann kombinierte neu und originell, was das Hamburger Bürgertum aus den musikalischen Moden jener Zeit kannte. Man kann das Staatstheater am Gärtnerplatz beglückwünschen, dieses 1721 uraufgeführte Drama ausgegraben zu haben.

Zumal das Stück den Stärken des Hauses entgegenkommt. Etwa der Bühne: Frank Philipp Schlößmann hat ein Traumbild zwischen Ecos Bibliothek und Magrittes surrealen Szenen hingestellt, das sich vielseitig drehen lässt und, von Rolf Essers effektvoll ausgeleuchtet, sommernachtstraummäßig verzaubert. Chor- und Balletteinlagen bieten reichlich Stoff für Auge und Ohr. Ist ja auch charmant, wie Axel Köhler den "Socrates" inszeniert hat: Da steht der Prinz Melito (Robert Sellier) zwischen Rodisette (Stefanie Kunschke) und Edronica (Ella Tyran) und kann sich nicht entscheiden. Im Wechselgesang entschließen sich die beiden zur Selbstentleibung, mit dem Hammer eines Bildhauers die eine, mit dem Meißel die andere. Melito entwindet den beiden das Werkzeug und steht nun ratlos da: Am liebsten würde er sich eine schnitzen, beziehungsweise meißeln. Zum Glück ist da noch Antipp, von Countertenor Yosemeh Adjei mit komischem Talent gesungen und gespielt: Zwei und zwei, das könnte aufgehen. Bei der Premiere wussten vor allem Elle Tyrans Edronica und Gregor Dalals Fürst Nicia zu überzeugen, mit schöner biegsamer Fülle auch noch am Ende kraftraubender Arien.

Federnd beschwingt setzt das gut aufgelegte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz den Telemann um, von Jörn Hinnerk Andresen mit eleganter leichter Hand und viel Vertrauen in den Spielfluss geführt, in gutem Zusamenspiel auch mit den Akteuren auf der Bühne: ein Gag braucht nun mal eine Kunstpause. Musikalischer Glanz und Augenfutter in Purpur, Blau und Gold: Wer sich einem an sich albernen Libretto mit barocker Schaulust nähern mag, der ist in der Gesellschaft dieses Philosophen bestens aufgehoben.

Nächster Aufführungstermin ist am heutigen Sonntag abend, 3. Juli.



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Veröffentlicht am: 03.07.2011

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