Zwischen Gaga und Inferno: Ein Ständchen zum 15. Geburtstag des paradoxen Radiosenders M94.5

von Michael Grill

Das Geburtstagsplakat. Foto: M94.5

Dass ein kleiner Radiosender Geburtstag feiert, ist ja erst mal für alle außer den unmittelbar Beteiligten keine Nachricht. Doch auch wenn man die medientypische Selbstbezogenheit außer Acht lässt, ist es im Falle des Münchner Studentensenders M94.5, der offiziell und wahrscheinlich auch zur Tarnung den abstrusen Namen Aus- und Fortbildungskanal führt, anders. Das liegt an zwei Umständen: Erstens, und hier ist schon mal ein entscheidender Unterschied zum Großteil der Münchner Radioszene jenseits der öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass man ihn als Hörer mit kulturellen Interessen vermissen würde, wenn er nicht mehr da wäre. Und zweitens, dass es sehr unwahrscheinlich war (und weiterhin bleibt), dass so eine Einrichtung lange überlebt. Nicht nur in dieser Hinsicht ist der Sender ein Paradoxon, eine Art mediales Kunstwerk.

M94.5, das gegründet wurde, um jungen, angehenden Radiojournalisten so etwas wie einen Truppenübungsplatz anzubieten, sollte vor allem den realen täglichen Radiokrieg der Privatfunker so wenig wie möglich stören: keine Hitparaden-Hits, kein Massenprogramm, viel gesprochenes Wort und noch mehr schräge Töne – also am besten alles, was Zuhörer angeblich abschreckt und mutmaßlich Werbekunden nicht interessiert - somit aus Normalradiosicht völlig sinnlos ist.

Was man dem kleinen, staatlich gewollten Alternativradio damit versehentlich gab, war etwas, das im Journalismus nicht mehr überall zu haben ist: Freiheit. Und siehe da: Dieses laute, wilde, oft auch dilettantische Zeug interessiert manche Menschen tatsächlich. M94.5, das oft nicht weit über die Stadtgrenzen hinaus und hie und da nichtmal bis zu diesen empfangbar ist, ist ein Sender mit Inhalt. Das ist kein völliges Alleinstellungsmerkmal, aber doch zumindest ein USP, eine unique selling proposition, wie das Marketing sagen würde, wenn es hier etwas zu verkaufen gäbe.

Es bleibt paradox: Wenn der Aus- und Fortbildungskanal so aus- und fortbilden würden, wie es die heutige Radiolandschaft von ihm eigentlich verlangte, dann gäbe es nicht viel Grund zum Feiern. Doch der Sender ist (nicht immer, aber oft) für den Hörer ein subversives, intellektuell-revolutionäres Abenteuer. M94.5 deutet an, wie Radio sein könnte, wenn das Medium nicht von Formatfunkmachern in die Bedeutungslosigkeit gedudelt worden wäre. Um's mal ganz böse zu sagen: Wenn man einen guten M94.5-Studentenredakteur beim handelsüblichen Privatfunk weiterbeschäftigt, dann ist das in etwa so, wie wenn man einen Absolventen der Kunstakademie im Malergeschäft den Tapetenkleister verkaufen lässt.

Nervig ist es, wenn junge Radiotalente auch bei M94.5 in einer Art vorauseilendem Karriere-Gehorsam so zu sein versuchen, wie es später die Dudelsender von ihnen verlangen. Dann wird das Interview mit nervtötendem Hibbel-Sound unterlegt und die stupide Gutlaune als Unterhaltung verkauft. Ärgerlich ist es auch, wenn der Sender – wie vor nicht allzu langer Zeit geschehen - aufgrund seiner paritätischen Trägerkonstruktion beim Kirchentag zu einer Art Radio Vatikan aus Nordschwabing wird. - Da muss man doch wieder zu B5 aktuell oder dem Zündfunk umschalten und daran denken, wie zerbrechlich und vergänglich so ein mediales Kunstwerk sein kann.

Aber sonst: Zur Feier nur Gutes! 15 Jahre, nachdem „Die Sterne“ als ersten Song auf M94.5 „Stell die Verbindung her“ sangen, ein Lobpreis auf dieses Hör-Ding, das heute mal Radio Gaga, mal Radio Inferno und mal Radio Eriwan ist. Und die Hoffnung, dass ein anderer Song der Hamburger Band niemals ein sinnhaltiger Rausschmeißer sein muss: „Wo fing das an und wann? Was ist passiert? Was hat dich bloß so ruiniert?“

Der Geburtstagsfeier des Senders ist am 8. Juli 2011 im Ampere (Muffatwerk), Beginn um 21 Uhr, Eintritt 10 Euro. Dabei sind Ebow, Angela Aux & Joasihno und Jens Friebe mit Band.

Und wer Radio hören will: M94.5 erreicht man – tatsächlich - über die UKW-Frequenz 94.5, außerdem im Internet über www.m945.de.

Veröffentlicht am: 02.07.2011

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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