Prinz Friedrich von Homburg: Nur geträumt

von Jan Stöpel

 

Der Krieg, ein Spiel: Die Offiziere des Kurfüsten. Foto: Arno Declair

Keine Angst, hier geht‘s nicht wirklich in den Krieg, eher in eine Art Kriegsballett, in dem große Buben in Uniform vom Lorbeer des Sieges träumen und sich ansonsten aufführen wie Pennäler auf einem Ausflug. In ihrer Fassung von Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" löst Mareike Mikat die Fragen nach Gehorsam und Staatsraison in spannenden surrealen Bildern auf.

Mit dem Sieg in der Schlacht  von Fehrbellin gegen die Schweden begann Brandenburg 1675 seinen Aufstieg. Ein entscheidendes Datum also in der Geschichte, ein glänzendes Ereignis für jene, die mitmachten - und überlebten. Für die Krieger vom Volkstheater sind die Schlacht und ihre Nachwehen ein einziger Traum von Heldentum. Vor allem für den Prinzen Friedrich von Homburg, für ihn im allerhöchsten Sinne. Denn der Kurfürst will ihn wegen Befehlsmissachtung zum Tode verurteilen lassen. Homburg hadert mit dem Schicksal und seinem Herrn, fasst sich dann aber und sieht die Berechtigung der Strafe pflichtschuldigst ein: Mehr an Opfer, an Einsicht, an Unterwerfung unters Staatswohl geht nicht. Ein glücklich Volk, das solche Soldaten besitzt. Und ein Volk mit Zukunft, das solche Fürsten über sich hat, mit Strenge, Kriegsglück, Souveränität und Milde.

Was ist aller Lorbeer wert? Robin Sondermann als Prinz Friedrich. Foto: Arno Declair

Als hohes Lied auf die Staatsraison kann man Kleists Drama lesen. Dies istt nur eine Möglichkeit. Denn er zeichnet Homburg ja nicht als Hurrapatrioten. Dieser Friedrich träumt von der Zuneigung der Fürstennichte, findet deren Handschuh in seiner Tasche - und überhört darob sinnierend die entscheidende Weisung. Er kennt auch Verzweiflung und Angst. Kadavergehorsam, blinde Selbstaufofperung sieht anders aus. Und wie gesagt, der Prinz träumt, und das immer wieder. Man darf sich überhaupt immer mal wieder fragen, was sich real ereignet. Mareike Mikat stellt das Motiv des Traums in den Mittelpunkt: Ruhm und Ehre, der Putsch der Offiziere gegen den Kürfürsten, der Prozess, die Liebe Homburgs zur Kurfürstennichte Natalia – alles möglicherweise nur ein Hirngespinst, alles nicht von dieser Welt. Und damit ist der jungen Regisseurin ein vielschichtiger, anspielungsreicher Theaterabend gelungen.

Nur selten gibt sie der Versuchung zum Klamauk nach. Einmal macht der König von Schweden als Freier seine Aufwartung, mit einer Ikea-Tasche über der Schulter und Wasa-Knäckebrote verteilend . Der Auftritt bleibt ein Fremdkörper an jenem Abend.

Robin Sondermanns Prinz von Homburg ist ein mehr übermütiger denn wirklich tapferer Träumer, der seine Läuterung zum opferungswilligen Bejaher der Staatsraision intensiv erlebt. Seine Todesfurcht im Kerker, die Aussicht auf die letzten Schritte seiner Reise,  durchleidet er eindrucksvoll. Vor allem an dieser Stelle kommt Kleists Originaltext zu seinem Recht, entfaltet sich Tragik. Seinen kurfürstlichen Gegenpart spielt Jean Luc Bubert als zynischen Strippenzieher. Mädchenhaft naiv und doch unter lauter Träumern zu echter Tat fähig: Mara Widmann als Natalia.

Mareike Mikat und Ausstatterin Marie Roth finden traumhafte, surreale Bilder. Der Kugelhagel der Schlacht fällt als Flut dunkelsilberner Gummibälle auf die Bühne. Natalias Flucht-Traum führt in einen Wohnraum: Ein Kabuff auf der Bühne, neonerleuchtet, so niedrig, dass der groteske militärische Gruß der Brandenburger darin keinen Platz fände. Moritz Krämer sitzt in diesem Raum, spielt Gitarre und singt melancholisch über Liebe, Hoffnung, Lebensentwürfe. Natalia wird am Ende dort landen, nach ihrer Beseitigung durch die Männerclique. Ein privates Glück im Spießerambiente? Im Hintergrund sammeln sich die Offiziere um ihren großen Kurfürsten. Der Kanonendonner, der bei Kleist den wieder einmal träumenden Homburg weckt, bleibt aus. Etwas anderes alarmiert uns: Der Kurfürst hat einen Wehrmachts-Stahlhelm auf. Bundeswehr, Bürgerarmee - das war mal. Jetzt kommen andere Zeiten...

„In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“: Jenen kriegerischen Satz verkneift sich Mareike Mikat, sie hört eher auf den Obristen Kottwitz und seine Antwort dem verdutzten Homburg gegenüber: „Alles nur ein Traum“. Und aus Natalias offener Grabgrube steigen Luftballons. Es könnten tatsächlich 99 gewesen sein...

Veröffentlicht am: 29.06.2011

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