Wenn der Winddämon sein Spiel spielt - Der Doyen der neuzeitlichen japanischen Fotografie in München

von Achim Manthey

Kamaitachi, 1965 (Foto Eikoh Hosoe, courtesy Galerie Clair)

Von Männern und Frauen, einem ebenso neckischen wie bösen Dämon und einem tragisch endenden Schriftsteller handeln die Fotografien von Eikoh Hosoe, die in der Galerie Clair in München zu sehen sind.

Er sitzt auf dem hohen Zaun, schaut über das Land und denkt sich seine nächsten Streiche, seine kommenden Untaten aus: Kamaitachi. Die zwischen 1965 und 1968 entstandenen Fotografien nehmen Motive einer alten nordjapanischen Sage auf, nach der Kamaitachi, ein an sich unsichtbarer Wind-Dämon, der auch als "sichelzähniges Wiesel" bezeichnet wird, sein Unwesen treibt. Er, der ursprünglich neckend, verletztend und heilend zugleich war, weht über das Land, narrt und terrorisiert die Bauern, bringt Unruhe und Zwietracht in die Dörfer, verletzt die Menschen und vergreift sich an den Frauen. Auf den Fotografien Eikoh Hosoes wird der Kamaitachi durch Tatsumi Hijikata verkörpert, einen der Begründer des Butoh-Tanzes und engen Freundes des Fotografen. Die Aufnahmen zeigen ihn über nächtliche Felder laufen, fliegen oder zusammengekauert auf der Krume ruhen. Gespannt lauscht er, der Unsichtbare, dem Gespräch der Alten, um das Gerücht weiterzutragen womöglich. Oder er sitzt auf dem Dachfirst, beobachtet die festlich gekleidete Frau, deren Sake er zu verwünschen scheint.

Schon in den späten Aufnahmen aus dem Jahr 1965, erst recht aber in denen aus dem Jahr 1968 der Reihe Kamaitachi, die den Schwerpunkt der Ausstellung bildet, verwandelt sich der Dämon in den Aufnahmen. Wo er erst freundlich, neckisch, albern war, zeigt er sich zunehmend animalisch, brutal, lüstern. Da holt er sich das Mädchen in der Blumenwiese. Oder er vergräbt sein Gesicht in den Schoß der Nackten, deren Miene offen lässt, ob sie Lust oder Pein empfindet.

Man and Woman, 1960 (Foto: Eikoh Hosoe, courtesy Galerie Clair)

Eikoh Hosoe ist der Doyen der neuzeitlichen japanischen Fotografie. Geboren 1933 in Nordjapan. Studium am Tokyo College of Photographie, Mitglied der von Ei-Q geleiteten, avangardistischen Künstlergruppe "Demokrato". 1960 gründet er mit anderen das Jazz Film Laboratory, ein multidisziplinäres Kunstprojekt. Die Freundschaft zu dem Schriftsteller Yukio Mishima und dem Tänzer Tatsumi Hijikata prägen Teile seines Werks maßgeblich. Reisen durch Europa bringen ihm die westliche Mythologie und Kultur näher, die er in seinen Werken immer wieder gegenüberstellt. Seit 1995 ist er Direktor des Kiyosato Museum of Photographic Art.

In der Serie Man and Woman versucht der Künstler die Möglichkeiten des Dialogs zwischen Mann und Frau auszuloten. Sie erscheinen einseitig zulasten der Frau. In einer frühen, bis an die Grenze der Unkenntlichkeit grobkörnigen Aufnahme küsst sie seinen Ellenbogen. Eine 1960 entstandene Aufnahme zeigt starke Hände, die in spürbarer Zärtlichkeit behutsam ein Vogelpärchen halten. Dem gegenüber steht das Bild des ausgestreckten Männerarms, einen Oktopus in der Hand, das Gesicht der Frau schneidend. Schonungslos die Aufnahme, die den Frauenkopf unter dem Arm des Mannes zeigt, das Haupt der Medusa nicht mehr auf dem Tablett, sondern unmittelbar als seine Trophäe. Die Reihe gibt Rätsel auf.

Man an Woman, 1960 (Foto: Eikoh Hosoe, courtesy Galerie Clair)

In der 1961/62 entstandenen Reihe Ordeal by Roses portraitiert Hosoe seinen Freund, den Schriftsteller Yukio Mishima in dessen Haus. "Darf ich Dich so fotografieren, wie Du bist?", hatte der Künstler gefragt. Entstanden ist ein Portrait, das den Schriftsteller auf dem Weg zu seinem Haus liegend zeigt, eingeschnürt in einen Gartenschlauch, der in seinem Mund endet. Eine andere Aufnahme zeigt einen aus dem Kopf Mishimas wachsenden Traum, ein sich umschlingendes Liebespaar. Und immer wieder taucht in den Motiven die Rose auf Brust und Hals auf als Symbol einer diffusen Liebe. Die Bilder, teilweise vermengt mit westlichen Motiven, spielen erkennbar auf die homosexuellen Neigungen seines Freundes an, der 1970 durch Seppuko, einer besonderen Form der ritualisierten Selbsttötung, sein irdisches Leben beendete.

Hochwertige Schwarz-weiß-Prints sind in der Ausstellung zu sehen. Die Bilder stammen aus einem anderen Kulturkreis, sind schwierig zu interpretieren, da sie Elemente des persönlichen Umkreises des Fotografen zitieren, deren Zusammenhänge sich in der Ausstellung nicht erschließen. Hier lässt die Präsentation den Betrachter etwas allein. Sehenswert ist das allemal.

Bis 16. Juli in der Galerie Clair, Franz-Joseph-Str. 10 in München, Mi.-Sa. von 15-19 Uhr oder nach Vereinbarung

Veröffentlicht am: 14.06.2011

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