Karl Stankiewitz über den Corona-Kampf der "Roten Sonne" und der Clubszene

Die Ohnmacht der Nacht

von Karl Stankiewitz

Rote-Sonnen-König Peter Wacha in seinem Club. Foto: Thomas Stankiewicz

In der Weltstadt mit Herz sind die Nächte kurz und langweilig geworden. Vor einem vor sich hin modernden Gebäudekomplex am mondänen Maximiliansplatz, in welchem nicht weniger als fünf Nachtclubs mehr vegetieren als existieren, zeigt eine Leuchttafel an, seit wie vielen Tagen ab Lockdown im März „closed“ ist. Bis zum Fasching, als nicht nur der Bär hierorts tanzte, müssten es an die dreihundert verlorene Nächte sein.

Verlorene Jobs, verlorene Einnahmen, verlorene Lebenslust. Vielleicht auch ein Stückchen verlorene Kultur. Eben hier, in üppig dekorierten Sälen und besonders in den intimen Thermen des einstigen Regina-Palasthotels, in dessen Kriegsruine vor dem Abbruch noch ein erschütternder Film entstand, hatte halb Jung-München in den Wiederaufbaujahren die tollsten Bälle gefeiert. Zum Beispiel die von der Abendzeitung alljährlich veranstaltete „Große Glocke“. Im leer gepumpten Swimmingpool wurde getanzt,  in den offenen Kabinen rundum geflirtet und getrunken (die Studenten brachten die Drinks mit).

Stil und Publikum haben sich mit der Zeit verändert, Anmutung und Freude an solchem Nachtleben nicht.  Die Clubkultur stirbt, munkelt jetzt die darbende Branche, ohne noch die Große Glocke zu läuten. Stimmt das? Wäre das überhaupt relevant - angesichts der immer lautstärker beklagten Nöte der „echten“ Kultur? Wären diese Tanzschuppen nicht Hauptangriffsziel für den mikrokleinen Feind? So hat es jedenfalls Markus Söder vor Journalisten in Ingolstadt dargestellt: „In den Clubs ist die Ansteckungsgefahr einfach mit am höchsten.“ Der Corona-Bekämpfer wusste auch Rat: „Sie können ja zum Beispiel zu Hause mit Ihrer Partnerin tanzen.” In den sozialen Medien gab es daraufhin 34.000 mehr oder weniger empörte Reaktionen.

Als Einer, der die auch mir fremde Welt genauer kennen müsste, wird mir Peter Wacha genannt. Der hat einen gutgehenden Club nach dem anderen auf und als DJ bekannt gemacht, angefangen vom Tanzschuppen „Ultraschall“ in einer alten Küche des aufgelassenen Flughafens Riem. Mit seinen 58 Lebensjahren ist Wacha auch kaum mehr dem aktuell auffälligen Party-Volk zuzuordnen. Bei der Suche nach dem Münchner Clubkönig führt mich Google erst fälschlich auf einen gewissen Peter Wackel. „Er ist unsere Partylegende“, jubelt da ein Fan im Facebook und schwelgt in Erinnerungen an Songs in einer Sommer- oder Winternacht: „Bei Insta machen wir Karaoke zu 'Ich verkaufe meinen Körper' und beim Après Ski steigen wir zu 'Kenn nicht deinen Namen, Scheissegal' auf den Tresen und grölen 'I Love Après Ski'.“ Das mag Kult sein - Kultur ist es  mit Sicherheit nicht. Ischgl und die Bierstraße von Malle lassen grüßen. Waren das nicht jene Sehnsuchtsorte einer neuen Art von „reifer Jugend“? Waren es nicht Ausgangsorte einer Mikrobe, die nicht nur die dort feiernde Volksgruppe bedroht?

Irgendwo las ich den Ausdruck „Generation Club“. Die scheint die „Generation Golf“, die „Generation Grün“, die „Generation Fake“, die ich unter anderen bei Recherchen zur Geschichte der Jugend in München erkundet habe, nun abgelöst zu haben. Das ist freilich nicht die Welt, die Peter Wacha meint, die er allen Widrigkeiten zum Trotz mit Ideen und Idealismus weiter betreiben will. Auch wenn diese Art Club oft, nicht zuletzt von Politikmachern,  mit der schnöden Party-Welt verwechselt wird.

Mit fünf Freunden hat Wacha 2005 anstelle einer progressiven Lesben-Disko am Maximiliansplatz den „Live Club/Discoteque  Rote Sonne“ aufgemacht und so entwickelt, dass er regelmäßig mit Preisen und Nominierungen für das hochwertige Programm ausgezeichnet wird. Nach dem ersten, dem großen Lockdown wollte sich die Münchner Clubszene durch Livestreams und städtisch geförderte Open-air-Konzerte („Sommer in Stadt“) wieder sicht- und hörbar machen. Aber unentgeltliche Musik begleicht keine Mieten, zahlt keine Gehälter für Angestellte. Manche schimpften auf die „Dumpingkultur“. Wacha musste seine Festangestellten in Kurzarbeit schicken und 40 freie Mitarbeiter ausstellen, überwiegend junge Frauen, die in den Nächten dort ihr Studium finanzierten. Solidarität erlebte er umgekehrt auch bei vielen Stammgästen, die ihm T-Shirts und Gutscheine  abkauften. Im Gegensatz zu vielen anderen Kulturträgern, auch Kollegen, blieb der Clubmanager gelassen und steckte den Kopf nicht in den Sand „Der Lockdown war richtig. Für mich ist er auch jetzt größtenteils nachvollziehbar. Eine Zäsur, ein historischer Break. Wir konnten eine Weile aus dem Hamsterrad der Routine aussteigen, Luft holen und reflektieren. Die Pandemie hat viele Missstände und Ungerechtigkeiten auf der Welt sichtbarer gemacht. Hoffentlich vergisst man das nicht so bald und packt das mutig an.“

Viel Geld hat der Macher des Münchner Nachtlebens in seinen Musiktempel gesteckt. Das Interieur in den derzeit totenstillen Räumen erinnert ein bisschen ans Oktoberfest selig: Schwarze Wände, Leuchtfarben, auf den Toiletten metallische Kacheln aus den sanierten Kammerspielen, raffinierte, mit Ökostrom betriebene Licht- und Ton-Spiele, ein Eichendielenboden, der beim Tanzen vibriert. Dass es hier auch um Kultur ging, und sei es „nur“ Subkultur, zeigte sich etwa daran, dass der ehemalige Münchner Kulturreferent Küppers, Alexander Kluge oder Capriccio (BR) zu Gast waren; auch bei den von der "Bundeskulturstaatsministerin" Monika Grütters aufgelegten „Neustart Kultur“ Hilfs-Programmen glaubt Wacha gute Karten zu haben. Mit dem Format „NoDance“ hatte ein Team um Mitbetreiberin Dorothea Zenker ein Projekt ausgeheckt und gecheckt, das auch bei anhaltendem Verbot von Club- und Live-Veranstaltungen eine sinnvolle Nutzung der Räume ermöglichen sollte: Demnach sollte die Rote Sonne „bespielt“ und „beschallt“ werden, und zwar mit Kunst, vornehmlich Klanginstallationen. Hinzu sollten auf „betischt/bestuhlter“ Tanzfläche wieder Konzerte, DJ-Sets, Lesungen stattfinden.

Lockdown light stoppte auch diese experimentelle Notlösung. Wacha fuhr mit Tochter in den Böhmerwald, wo er verwurzelt ist. Aufgeben ist für ihn jedoch keine Option. Sobald die Corona-Ampel wieder umschaltet und seine gestellten Förderanträge durchgehen, soll neu gestartet werden. Vorsichtig will man ein anspruchsvolles, eher experimentelles DJ-Programm bieten.  Der Brite Brian Eno, eine Größe in der Musikbranche, war schon für November 2020 im Rahmen von „NoDance“ eingeplant. Den anspruchsvollen Techno-Sound und ähnliche Musikstile, für die der Club steht, hält der Plattenkenner Wacha momentan nicht für derart umsetzbar, so dass alle ihre Freude dabei hätten. NoDance, NoParty.

Außerdem: Online-Anmeldung sowie strenge Kontrolle der Masken- und Abstandspflicht. Sogar an den Umbau der „Roten Sonne“ zu einer Volksküche wurde schon gedacht, es gebe im  Umfeld genug geniale Köche und Köchinnen. Seinen Kollegen aus einer Szene, die einer Generation lieb und teuer geworden ist, empfiehlt der Rote-Sonnen-König, Kreatives aus der Krise zu schöpfen: „Nicht dem Gemeckere frönen, sondern flexibel bleiben, andere Wege denken und machen was möglich ist.“ Wie wäre es zum Beispiel, denkt er schon wieder weiter, die alte Soundanlage aus dem Ultraschall-Club auf Räder zu setzen und ein mobiles System „Rote Sonne“ zu schaffen? „Dann könnten wir unseren Sound auf öffentliche Plätze bringen.“ Warum  auch nicht?

Für April 2021 organisiert das Stadtmuseum eine Ausstellung mit dem Titel „Nachts.“. Die Rote Sonne spendiert dafür unter anderem einen mächtigen Bass-Lautsprecher aus der DJ-Box, auf dem einmal viele Schallplatten standen. Ein Relikt aus der Geschichte der Münchner Clubkultur seit Kriegsende - aus einer Welt, die vielen fremd ist, vielen anderen aber ein Stück neuer Lebenswirklichkeit bietet.

 

Informationen über Karl Stankiewitz finden Sie hier.

Veröffentlicht am: 27.01.2021

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