Interview mit Frido Mann über seinen Kampf für die Demokratie

"Deutschland ist immer noch auf dem Weg"

von Isabel Winklbauer

Frido Mann wird diesen Sommer 80. Foto: Dirk Heißerer

Frido Mann (79), Schriftsteller und Psychologe, unternahm vergangenes Jahr eine Vortragsreise durch die USA und Kanada. Unter dem Motto „Democracy will win“ zeichnete der Enkel des Schriftstellers Thomas Mann vor Schülern, Studenten und Akademikern am Beispiel seiner Familiengeschichte nach, wie wichtig der transatlantische Dialog und der Erhalt demokratischer Werte ist. Nun ist Europa an der Reihe: Ende Januar 2020 startete Mann seine Tour „Democracy for Peace“ in der Münchner Stadtbibliothek Monacensia, weitere Termine folgen. Wir sprachen mit dem Wahlmünchner über seine Beweggründe.

 

Herr Mann, warum fühlen Sie sich verantwortlich für die Demokratie? Sie könnten auch einfach Romane schreiben und ein schönes Leben führen.

Frido Mann: Ich war immer politisch. In der Kindheit in Kalifornien habe ich – übrigens als erster gebürtiger Amerikaner der Familie Mann – miterlebt, wie die USA sich in der Welt gegen die damaligen faschistischen Regimes in Europa engagierten, andererseits aber auch die faschistoide McCarthy-Ära, in der meine Großeltern im Visier der Hexenjäger standen. Später, mit zehn, als wir in Österreich wohnten, habe ich den Korea-Krieg verfolgt und täglich die Zeitung am Kiosk gekauft. Ich war ganz stolz auf „meine“ Amerikaner, die die totalitären Regimes in China und Nordkorea bekämpften. Dann der Ungarn-Aufstand, der Prager Frühling, der Mauerfall… Hinzu kommt die Geschichte meiner jüdischen Großmutter Katia Mann. Was, wenn die Manns nicht ausgewandert wären? Wo wäre ich gestorben?

Vorträge zum Thema Demokratie halten Sie aber erst seit eineinhalb Jahren.

Ausschlaggebend hierfür war das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, und der Umstand, dass die Bundesregierung 2016 dieses Exil-Domizil meiner Großeltern gekauft hat, um ein transatlantisches Begegnungszentrum daraus zu machen. Wissen Sie, als Kind hörte ich am Küchentisch viel von den Gräueltaten der Nazis, und im Kino hatten die Bösen oft einen deutschen Akzent. Und dann so etwas: Eine deutsche Regierung bemüht sich um Austausch, Frieden und Demokratie. Das war für mich lange unvorstellbar. Ich beschloss damals, mich für den Rest meines Lebens für die Demokratie einzusetzen.

Podiumsgespräch in der Monacensia im Januar 2020. Foto: Ralf Dombrowski

Demokratie ist ein sensibles, von Freiwilligkeit abhängiges Wesen. Kann man überhaupt für sie kämpfen?

Das Buch über meine Vortragsreise durch die USA, an dem ich gerade schreibe, soll „The Spirit of Democracy“ heißen. Lassen Sie mich das erklären: Demokratie hat mehrere Schichten, die man mit einem Trichter veranschaulichen kann. Ganz oben ist die politische und rechtliche Schicht, um die es in unserem Alltag geht. Darunter steckt aber mehr, nämlich der ethische Aspekt, und der besagt, dass in der Demokratie alle Menschen gleich viel wert sind. Geht man noch tiefer, findet man die Menschenwürde als Ideal. Und an der Spitze des Trichters ist die Liebe im universellen Sinn. Um diese tieferen Aspekte der Demokratie kümmern sich Philosophen und Geistliche – und zwischen diesen und der obersten Schicht der Politiker und täglichen Akteure muss ein Dialog stattfinden. Dann ist Demokratie möglich.

Als Mittel, um der Demokratie auf die Sprünge zu helfen, schlagen Sie den Erfahrungsdialog vor, wie er im Weltkloster Radolfzell praktiziert wird. Wie funktioniert dieser?

Beim Erfahrungsdialog gilt es, aus der Kontemplation heraus einen Austausch zu finden. Der thematische Rahmen wird vorher festgelegt. Man blickt in der Stille in sich hinein, erkennt die eigenen Haltungen und begegnet dem Gesprächspartner anschließend mit mehr Toleranz. Im Weltkloster praktizieren das Mönche, Nonnen, Geistliche aus allen Religionen.

Wie könnte das in der Praxis der Politik helfen?

Die Neurowissenschaftlerin und Empathieforscherin Tania Singer hat einmal mit einem französischen buddhistischen Mönch beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos Mitgefühl in Wirtschaft und Gesellschaft gefordert und dort auch mit vielen Politikern Meditationsübungen durchgeführt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einmal im Schloss Bellevue einen Dialog über das Verhältnis zwischen Demokratie und Religion moderiert, welches mich vorbildhaft an die Erfahrungsdialoge im Weltkloster erinnerte. Auch der israelische Staatspräsident Ben Gurion hat sich vor wichtigen Entscheidungen immer zur inneren Einkehr zurückgezogen.

Kann man per Erfahrungsdialog auch mit der AfD, mit Salafisten oder Trump-Anhängern kommunizieren?

Ein einzelner Mensch schafft es nicht, Menschen mit stark verhärteten Positionen zu überzeugen. Da hat es auch keinen Sinn, als Apostel des Erfahrungsdialogs sein Bestes zu geben. Einer wie Bernd Höcke sagt solche schauerlichen Dinge, da möchte man doch gar keinen Dialog führen. In den USA fragte mich zum Beispiel einer, was ich denn vom „sozialistischen Gesundheitssystem“ in Deutschland hielte. Ich sagte nur „Finde ich gut“ und ging weiter. Eine Debatte wäre sinnlos gewesen.

Mann am Flügel seiner Großeltern. Das Instrument steht mittlerweile wieder im Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades. Foto: Dirk Heißerer

Wähler rechter Parteien müssen aber doch irgendwie zur Vernunft zu bringen sein.

Manche sagen in der Tat Sachen, an denen man erkennt, dass nicht alles verloren ist. Mit Protestwählern, die eigentlich keine Nazis sind, kann man durchaus reden. Eine gemeinsame Grundlage, ein gemeinsames Ziel sollte aber schon da sein, um Fremd- und Eigenposition vernünftig zu vergleichen.

Für Dekaden waren die USA das Vorbild der Deutschen. Jetzt schauen wir auf ein zerstrittenes Land mit Donald Trump an der Spitze. Woran sollen wir Europäer uns in Sachen Demokratie jetzt orientieren?

An den USA jedenfalls zurzeit nicht. Denn sogar wenn die Präsidentschaftswahlen im November gut ausgehen, wird es Jahre dauern, den Scherbenhaufen wegzuräumen, den die Trump-Administration hinterlässt. Demokratie muss sich verändern, um lebendig zu bleiben. Die USA müssten beispielsweise einmal ihr veraltetes Wahlmänner-System überdenken, das die absoluten Stimmenzahlen bei Präsidentschaftswahlen verfälscht. Und auch das Zwei-Parteien-System. Aber dafür müsste die bürgerliche Mitte stärker werden.

Wir stehen also alleine da?

Die USA haben den Deutschen die Demokratie beigebracht, jetzt haben sich die Verhältnisse verschoben. Seit Reagan ging es drüben bergab, gleichzeitig hat Deutschland sich aufwärts entwickelt. Auch Selbständigkeit gehört zur Demokratie: Man muss viel tun, um sie zu erhalten, und dabei braucht man nicht dauernd auf ein Vorbild zu schauen. Werfen Sie den Blick nach Italien: Dort hat man es geschafft, den rechten Flügel politisch auf die Seite zu schieben, ohne Hilfe. Ich gebe allerdings zu, dass es gerade jetzt, wo Flüchtlingsströme nach Europa drängen und politische Rattenfänger ihr Unwesen treiben, schwierig ist, die Demokratie zu erhalten. Ich mache mir langfristig Sorgen. Deshalb halte ich Vorträge.

Zumal die Deutschen historisch betrachtet nicht gerade Talent zur Demokratie haben.

Eine Bekannte sagte mir neulich: „Die Italiener sind sehr sozial, aber politische Idioten. Bei den Deutschen ist es andersherum.“ Das heißt, organisatorische und politische Maßnahmen greifen gut. Ein Beispiel: Als ich 2012 aus der Schweiz nach München zog, erteilte man mir ohne große Umstände die deutsche Staatsbürgerschaft. Die nette junge Dame im Rathaus erklärte mir, dass sie nach dem Grundgesetz mir als Nachkomme einer durch die Nazis ausgebürgerten Familie automatisch zustehe und ich nur Ja sagen müsse. Auf dem Pass, den man mir dann aushändigte, steht groß „Europäische Gemeinschaft“. Das wäre vor 20 Jahren ein ganz anderes Prozedere, ein anderer Pass gewesen. In Deutschland funktioniert das einmal festgelegte politische System stabil, andere Länder sind anfälliger. „Boy, they’ve learned“, habe ich in den USA schon über die Deutschen gehört.

Welche Reformen würden der deutschen Demokratie gut tun?

Mein Sohn lebt als Agrarökonom in der Schweiz und erlebt dort täglich die direkte Demokratie. Es ist dort extrem, man startet zu jedem kleinen Thema ein Referendum. Insgesamt zeigt sich daraus aber, nach allem was ich höre, dass die Bevölkerung unterschätzt und die Politik überschätzt wird. Beide Gruppen sind grundsätzlich gleich intelligent. Wir sollten auch in Deutschland ganz langsam mehr direkte Demokratie einführen. So würden Politikverdrossene ermuntert, wieder in einen Austausch mit der Politik zu treten.

Im Gespräch mit Medienvertretern in den USA. Foto: Shirley Price

In Ihrem Vortrag, den Sie kürzlich in der Monacensia hielten, loben Sie das tägliche Zusammenleben, die Nachbarschaftlichkeit und Hilfsbereitschaft der Amerikaner, die praktisch einer Demokratie im Kleinen entspricht. Sehen Sie so etwas auch in München?

Oh ja. Wenn ich in meinem Viertel spazieren gehe, sehe ich auf dem Spielplatz und auf der Wiese, wie Menschen der verschiedensten Altersstufen und Herkunft miteinander umgehen. In dieser Stadt gibt es ein großes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Das ist anders als im Ruhrgebiet, wo Ausländer manchmal in Ghettos leben.

Sind Sie eigentlich Deutscher oder Amerikaner?

„Auf die Mischung kommt es an“, heißt es im „Faust“. Ich habe die amerikanische, deutsche, schweizer und tschechische Staatsbürgerschaft. Zuhause in Kalifornien bin ich mit der deutschen Kultur aufgewachsen. Aber innerlich, im Herzen, bin ich Amerikaner. Das ist meine Urzugehörigkeit. Trotz allem Sinn fürs Wesentliche und aller Disziplin, wie ich sie besitze, spüre ich auch so eine entspannte und lässige, eher amerikanische Offenheit in mir. Dieses Unterwürfige, wenn manche ältere Deutsche eine Uniform sehen, und wenn es nur die des Zugbegleiters ist, das ist mir fremd. Bei den Kindern sehe ich das Gott sei Dank nicht mehr.

In Quentin Tarantinos Film „Django unchained“ spricht erstmals seit Langem der Gute, dargestellt vom Österreicher Christoph Waltz, mit deutschem Akzent. Was meinen Sie, kommt es eines Tages wieder in Mode, deutsch zu sein?

Wenn der Zustand halbwegs normal ist, ist das doch genug. Für Europa ist Deutschland ja sowieso schon ein Vorbild in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit. In den USA wird darüber aber noch nicht geredet. Da geht es oft nur um die „neuen Nazis im Parlament“, um die AfD. Deutschland ist immer noch auf dem Weg.

Herr Mann, vielen Dank für das Gespräch.

Veröffentlicht am: 08.02.2020

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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