Karl Stankiewitz zu den Versteigerungen von Gegenständen aus Hitlers Nachlass

Neun Kleinbürgerzimmer

von Karl Stankiewitz

Prinzregentenstraße 16. Foto: Michael Wüst

Der vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv ersteigerte Mietvertrag Hitlers und die Auktion mit anderen „Führer-Devotionalien“ lenkt den Blick auf eine geheimnisvolle Münchner Immobilie. Touristen, Amerikaner mit Vorliebe, lassen sich gern hierher führen. Sie recken dann die Hälse, betrachten die vielen Balkone, Erker und Fenster am Eckhaus am Prinzregentenplatz 16 und können es kaum glauben: In diesem großbürgerlichen, für Bogenhausen aber ganz gewöhnlichen Mietshaus soll der "legendäre Führer" des Großdeutschen Reiches gut 15 Jahre lang gewohnt haben.

Zwei Treppen hoch, umbraust vom Großstadtverkehr und mitten unter einfachen Volksgenossen. Blättert man im Münchner Stadtadressbuch von 1940, dann findet man im zweiten Stock des Hauses Nr. 16 keineswegs den Namen Adolf Hitler, wohl aber den des Packers Georg Winter, darüber und darunter wohnten außerdem zwei Kaufleute, ein Lagerist, ein Fabrikant und ein Amtsgerichtsdirektor. Doch es stimmt schon, dass Hitler genau hier – und nicht etwa in Berlin oder Berchtesgaden – seine Hauptadresse hatte, und das wussten auch viele. Denn schon bald nach der Machtergreifung versammelten sich oft Jubler vor dem Haus, ab 1937 wurden Absperrketten für die An- und Abfahrt des berühmten Mieters bereitgehalten. Der wohnte hier offiziell bis zum Untergang in Berlin, in den Kriegsjahren aber nur noch selten.

Im September 1929 hatte Hitler seine Wohnung in der Thierschstraße 41 gegenüber der Lukaskirche aufgegeben, um sich eine Qualitätsstufe höher am Prinzregentenplatz gegenüber dem prächtigen großen Theater einzumieten. Die Nähe zum hoch verehrten Richard Wagner soll den Wohnungswechsel mit bestimmt haben. Der Führer wollte und konnte nun repräsentieren. Er witterte, nach einer depressiven Phase, endlich wieder Hochkonjunktur, politisch und wirtschaftlich. Das Rumoren in der Partei, die nach einem Redeverbot in der Wählergunst unter fünf Prozent gesunken war, endete mit dem erstmaligen Einzug der NSDAP in den Reichstag und dem Abbruch des „linken Flügels“ um die Brüder Strasser. Auch wurde jetzt der angewachsene Schuldenberg allmählich abgetragen, denn in Industriellen wie Hugenberg und Thyssen hatte Hitler neue Freunde und Finanziers gefunden. Trotzdem hatte der Hausbesitzer, ein Holzkohlenhändler namens Hugo Schühle, zunächst Sorge, ob der Führer einer (noch) so kleinen Partei die Jahresmiete von 4176 Reichsmark für die 317 Quadratmeter Wohnfläche regelmäßig aufbringen könnte. Diesen Zweifel beseitigte Hitlers früher Förderer, der Buchverleger Hugo Bruckmann, der pünktliche Zahlung garantierte.

Die neun Zimmer (!) ließ sich Hitler von dem auf Ozeandampfer spezialisierten Architekten Paul Ludwig Troost, der ihm schon ein Adelspalais am Karolinenplatz zum „Braunen Haus“ umgebaut hatte, neu einrichten. Einige Möbel, Türen und Intarsien soll er selbst gezeichnet haben. Albert Speer, Nachfolger von Troost nach dessen Tod 1934, hat Hitler oft in dieser großen Wohnung „kleinbürgerlichen Zuschnitts“ erlebt. Er sah Andenken und Geschenke „niedrigen Niveaus“, geschnitzte Herrenzimmermöbel, gestickte Kissen mit zärtlichen Inschriften, Gemälde der Münchner Schule im Goldrahmen, eine Wagner-Büste. Im Schlafraum pflegte sich Hitler am offenen Fenster mit dem Expander zu ertüchtigen. „Es roch nach gebackenem Öl uns säuerlichen Abfällen.“ Zwei Frauen führten den Haushalt.

Und dann war da noch eine andere Frau. Beim Einzug am 5. Oktober 1929 brachte der neue Hauptmieter die Tochter seiner österreichischen Halbschwester Angelika als Untermieterin mit, die 19jährige „Geli“. Es begann eine verhängnisvolle Affäre. Das lebenslustige Mädchen wollte Wagner-Sängerin werden. „Onkel Alf“ – eine 16jährige Modeverkäuferin hatte sich 1927 seinetwegen einen Strick um den Hals gelegt – reiste also mit der kleinen Geliebten nach Bayreuth und Oberammergau, besuchte die Münchner Oper, schaute sich mit ihr zusammen Micky-Mouse-Filme an, führte sie in Salons wohlhabender Gönner, fertigte auch Aktzeichnungen von ihr an. Dabei kontrollierte sie der Onkel ständig, sogar ihre Post, er war sehr eifersüchtig. Einmal soll er seinen gut aussehenden Chauffeur Emil Maurice mit der ständig bereitgehaltenen Reitpeitsche aus dem Zimmer der Nichte verjagt haben. Ihren innigsten Wunsch, nach Wien zu reisen, wies er ab. Am 21. September 1931 nahm sich das Mädchen, während „Alf“ verreist war, in der gemeinsamen Wohnung das Leben. Noch am selben Tag wurde ihr Leichnam, ohne Obduktion, nach Wien überführt. Die möglichen Motive, über die seinerzeit gemunkelt wurde, hat Hitler-Forscher Fest in seinem Standardwerk ausgebreitet: Enttäuschung wegen der versagten Wien-Reise? Eifersucht auf Eva Braun, die der Onkel im Atelier des Fotografen Hoffmann kennen gelernt hatte? Isolierung, Vernachlässigung und Vereinsamung? Angst und Scham wegen der Beziehung (Inzest?), die in Parteikreisen nicht unbemerkt geblieben war? War sie schwanger? War es vielleicht gar kein Selbstmord, sondern ein Auftragsmord, wie eine sozialdemokratische Zeitung zu spekulieren wagte?

Jedenfalls war Hitler tief betroffen. Schluchzend soll er kurzfristig sogar erwogen haben, mit der Politik aufzuhören. Er sperrte das Zimmer ab, in dem die Tat geschehen war, niemand durfte es mehr verändern oder betreten, den Schlüssel hatte er immer bei sich. Geli Raubal war offenbar „die einzige Frau, die Hitler jemals geliebt hat“. Das Geheimnis um ihren Tod währt bis heute. Als am 1. Mai 1945 Soldaten der amerikanischen Regenbogen-Division im Osten Münchens ausschwärmten, entdeckten sie in der nur leicht beschädigten Wohnung am Prinzregentenplatz ein paar abgeschabte Möbelstücke, zwölf Exemplare der Erstausgabe von „Mein Kampf“ sowie die Büste eines ihnen unbekannten Mädchens.

Der US-Propaganda-Offizier Ernest Langendorf, früher SPD-Redakteur, will sich da einen Jux geleistet haben: Als das Telefon klingelte, habe er sich zum Erschrecken des Anrufers gemeldet: „Hirr Adolf Hitlerr.“ Die amerikanische Kriegsreporterin Lee Miller ließ sich am Abend des 1. Mai, aus Dachau kommend,  in  Hitlers Badewanne  mit  Führerporträt und Waschlappen fotografieren. Sie speiste und schlief sogar in der ominösen Privatwohnung, sprach offenbar mit einer Bediensteten und kabelte an die Redaktion der “Vogue” in New York, Hitler habe ein paar fast menschliche Gewohnheiten gehabt, “fast wie ein Affe, der dich mit seinen Gesten verlegen macht, ja beschämt, weil er dich in einem Zerrbild spiegelt”. Die persönliche Hinterlassenschaft des Führers, der sich am Tag der Befreiung seiner Wahlheimatstadt im Berliner Bunker erschoss, hatte seine Haushälterin Anni Winter kurz zuvor noch weggeschafft - um sie fünf Jahre später für 180.000 Mark zum Kauf anzubieten. Der Interessent war allerdings ein Kriminaler. Alles Erbe fiel dem Freistaat Bayern zu, auch das ganze „Hitler-Haus“. Und von dem besitzt das Hauptstaatsarchiv nunmehr auch noch den – nicht sonderlich interessanten Mietvertrag, der einfach nur die bisherige Hinterlassenschaft sinnvoll ergänzen soll. Seit langem waltet  im Haus Nr. 16 am Prinzregentenplatz die Münchner Polizeiinspektion 22, die mit rund hundert Beamten knapp 96.000 Bürger betreut.

Für den Beitrag wurden folgende Bücher verwendet: Joachim Fest „Hitler“, Benedikt Weyerer „München 1919 – 1933“, Albert Speer „Erinnerungen“, Ernest Langendorf „In München fing's an“, Rudolf Hartbrunner „München für Angeber“ (Privatdruck) und Karl Stankiewitz  „Prachtstraßen in München“.

Über die Versteigerungen wird zum Beispiel hier in der FAZ berichtet.

Über eine Initiative zu möglichen Nutzungen für Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn wird auf dieser Seite hier berichtet.

Anm. d. Red. (19.12.2019): Ein Satz am Ende des Textes zu Hitlers Geburtshaus in Braunau wurde gestrichen. In diesem hatte es fälschlicherweise geheißen, es sei bislang von der Polizei genutzt worden und solle nun abgereissen werden. Richtig ist, dass das Haus künftig von der Polizei bezogen werden soll.

Veröffentlicht am: 13.12.2019

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