Ballettfestwoche am Bayerischen Staatsballett

Nur Juwelen und ein paar Gäste

von Isabel Winklbauer

Prisca Zeisel und Emilio Pavan als Solopaar in "Emeralds". Foto: W. Hösl

Langsam bekommt man Sehnsucht nach früher. Damals, vor 2016, eröffnete eine Uraufführung oder zumindest eine Premiere die Münchner Ballettfestwoche. Es gab Gastspiele renommierter Kompanien, und viele Jahre lang eine Terpsichore-Gala, zu der Tänzer aus aller Welt nach München kamen um in Choreografien aufzutreten, die selten oder noch nie zu sehen waren. Diesmal: Repertoire. Eröffnet wurde mit den erprobten "Jewels". Einzig eine Handvoll Gasttänzer soll das Münchner Ballettpublikum von den Stühlen holen.

Ashley Bouder fegt alles weg – nur nicht Staatsballettpartner Osiel Guneo. Foto: W. Hösl

In "Jewels" zeigten sich beispielsweise Ashley Bouder vom New York City Ballet sowie die Mariinsky-Tänzerin Alina Somova, am Samstag drauf gab es Natalia Osipova und David Hallberg als Tatiana und Onegin zu bewundern. Auch ist die Qualität dessen, was das Bayerische Staatsballett zeigt, über jeden Zweifel erhaben. Aber für ein Fest braucht es mehr.

George Balanchines Ballerinen sind ätherische Wesen, überaus schlank und mit einer gewissen koketten Verführungskraft ausgestattet – so lautet das Mantra. Doch in New York nimmt man dieses in Ausnahmefällen wohl auch mal nicht so wichtig, wie an Ashley Bouder zu sehen ist. "Sie ist für ihren athletischen Stil bekannt", sagt Wikipedia elegant, und wer sie auf der Bühne vor sich sieht, erkennt: Die Braut haut aufs Auge. Die Pas-de-deux-Ballerina in "Rubies" passt bestens zu ihrer Dynamik, mit ihren Armen und ihrem Épaulement sollte sich keine Straßengang anlegen. Wie sie zu Strawinskys "Cappriccio für Klavier und Orchester" seilspringt, ihren Partner Osiel Guneo neckt, das ist überhaupt nicht harmlos oder revuehaft, sondern machtvoll. Die berühmten Katzenpiroutten gibt sie eher spöttisch. Sie hat so überhaupt nichts Süßliches, dafür aber die Ausstrahlung einer amerikanischen Göttin. Für Guneo ist das die Höchstherausforderung (wie es ja auch die Choreografie augenzwinkernd vorsieht), nach seiner Variation springt er sogar in gespieltem Schrecken von der Bühne, um dem Wirbelsturm in Rot das Feld zu überlassen. Doch in den Pas-de-deux setzt er Bouder große Gesten und Eleganz entgegen, er ist ihr Segelschiff und ihr Leuchtturm. Das schafft in den Opernhäusern der Welt sicher nicht jeder Prinzipal. Das Paar erntet den lautesten Applaus des Abends.

Jeannette Kakareka in den Fußstapfen von Carlotta Grisi und Emma Livry. Foto: W. Hösl

Zuvor schlugen schon Jeannette Kakareka und Prisca Zeisel die Zuschauer in "Emeralds" in ihren Bann. Insbesondere Kakareka glänzt in Faurés "Sicilienne" als Schmetterling des französischen Balletts, oder, besser gesagt, in einer romantischen Choreografie, die Balanchine für französisch hielt. Endlose Arabesken und romantisches Getändel wechseln mit Show-Formationen, die am Broadway auch nicht schlecht aufgehoben wären. Es ist der schwächste Teil von "Jewels", dem es sehr an Chique fehlt. Obendrein dirigiert Robert Reimer das Staatsorchester superweich und superbrav durch die "Pelléas et Melisande"-Suite, da wartet man vergeblich auf Akzente. Aber Zeisel als frohsinnige, schnelle und Kakareka als majestätisch-ätherische Ballerinen-Typen holen heraus, was zu holen ist.

"Diamonds" mit Vladimir Shklyarov und Alina Somova: Ergreifende Pas-de-deux in Gedenken an Odette. W. Hösl

Im dritten Teil, "Diamonds", sehen die Zuschauer an der Seite von Vladimir Shklyarov die St. Petersburgerin Alina Somova. Mit Tschaikowskys Sinfonie No. 3 funkelt hier das russische Ballett in allen Nuancen – und Somova, strahlend schön, gerade und groß, ist die perfekte Besetzung. Erhaben und mit unberührbarer Attitüde lässt sie sich von Shklyarov durch diesen optisch kontrastreichen weißen Akt führen, dem jegliche Handlung fehlt. Gerade wenn Oboen ertönen und Somova sich in den Armen ihres Partners zu Odette-Penchés-Allongés zusammenfaltet, wird einem Letzteres bewusst. "Diamonds" ist wunderschön – für das Anfangsbild gab es bewundernden Applaus – aber eben kein Schwanensee.

Wo ist das Geld hingegangen, das bei dieser Ballettfestwoche fehlt? Der Balanchine-Trust, der die Aufführungslizenzen für "Juwels" erteilt, sowie Gaststar Sergei Polunin waren in dieser Saison wohl von besonders einnehmendem Wesen. Was im Fall von Polunin ärgerlich anmutet, da er ausgerechnet während der Ballettfestwoche nicht auftritt. Die Titelpartie in "Spartacus" gab er Ende März – und eben diese Vorstellung war, verfolgt man die Sozialen Medien, anscheinend das wahre Fest dieser Saison. Allerdings ein so gut wie unangekündigtes Fest, denn Ballettchef Igor Zelensky veröffentlicht die Rollenbesetzungen immer erst in letzter Sekunde.

Festlich funkelnder Aufzug in "Diamonds". Foto: W. Hösl

Was allerdings Spaß macht an dieser neuen, bescheidenen Ballettfestwoche sind die Instagram-Takeovers durch die Gaststars. Ashley Bouder und David Hallberg lieferten Beiträge zum Account des Staatsballetts, die eine erfreuliche Abwechslung zu dessen sonst relativ unspontanem Inhalt darstellten. Bouder führte vor, wie sie in der Maske sitzt und ihr rotes "Rubies"-Krönchen bekommt; als man ihr es nach der Vorstellung wieder auszieht, zieht sie Grimassen. Die Frau aus New York City geniert sich vor nichts. Man wünscht sie sich glatt als "athletisches" Ensemblemitglied, damit im Direktorenbüro mal so richtig die Fetzen fliegen.

Veröffentlicht am: 15.04.2019

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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