Karl Stankiewitz über den steten Kampf der Münchner Kinos

Ohne Happy End

von Karl Stankiewitz

Atlantik Filmpalast

Dem ältesten Münchner Filmtheater, dem "Gabiel" an der Dachauer Straße, droht das Aus... In den 50er Jahren gab es 125 Kinos in der Stadt. Seitdem schrumpft ihre Zahl. Ein Rückblick.

Seit der aus Schlesien zugewanderte Carl Gabriel in der Neuhauser Straße ab 1897 die ersten Pionierfilmchen aus Frankreich in seinem „Panoptikum“ zeigte und 1907 in der Dachauer Straße das jetzt zur Disposition stehende „Gabriel“ aufmachte, lieben die Münchner die lebenden Bilder, die ihnen die Kinematographen in unzähligen Lichtspielhäusern vorführten. Viele wurden zu Legenden, viele mussten wegen der Konkurrenz des Fernsehens schließen - große Filmpaläste ebenso wie kleine Kunst-Kinos. „Darum wird beim Happy End / für jewöhnlich abjeblend.“ (KurtTucholsky).

Kino der Stars

Im umgebauten Rückgebäude des Luitpoldblocks, Brienner Straße 8, wurde im November 1929 das Luitpold-Filmtheater eröffnet. Gerade zur rechten Zeit, denn der Tonfilm war erfunden. Zur Ausstattung der ehemaligen Prinzensäle des Café Luitpold, nach Entwurf des bereits renommierten Architekten Hans Döllgast, gehörten die neueste Klangfilmanlage, erstmals eine eigene Vorführkabine sowie eine Wurlitzer-Orgel. Zum Glück für die Betreiber August Weinschütz und Isidor Fett kam gerade eine tolle deutsch-englische Produktion auf den Markt: „Atlantis“ - das erste Filmdrama vom Untergang der „Titanic“. Publikum und Presse waren begeistert, auch wenn manchmal noch der Ton ausfiel. Wochenlang waren die 1368 Plätze in Münchens größtem Kino ausverkauft. Als der stramme Wilhelm Sensburg 1931 das Haus pachtete, stellte er es ausdrücklich in den Dienst der Wahlkampf-Propaganda. Während des Dritten Reiches blieb es eine zentrale Abspielstätte für NS-Vorzugsfilme, zuletzt noch für „Jud Süß“ und ähnliche Machwerke. Am 18. Dezember 1944 war der Kinopalast nur noch ein Trümmerhaufen. Am 1. Februar 1946 wurde wieder eröffnet. Beautys, Musiker und Stepptänzer aus den USA beherrschten noch jahrelang die Leinwand, große Weltstars kamen zur Premiere. Lonny van Laak, die schon vor dem Krieg sechs Kinos in München betrieben und hier als Jüdin in der Stadt überlebt hatte, ließ aber auch die von Amerikanern gedrehte KZ-Dokumentation „Todesmühlen“ fünf Wochen lang laufen, 130.000 Menschen waren erschüttert. 1974, auf dem Höhepunkt der Kinokrise, musste die UFA das Luitpold schließen, weil die Immobilienbesitzer andere Geschäftsideen hatten.

Dunkle Zeiten im Atlantik Kino

Das ehemals „Königliche Theater am Isarthor“ hatte zuletzt als Heim für „krüppelhafte Knaben“ gedient, dann als Institut für Unterricht, Erziehung und Beschäftigung, am Ende nur noch als Versatzamt. Zu Weihnachten 1931 jedoch, nach neun Monaten Umbau, wurde es als großes Volkskino wiedergeboren. Der namhafte Theatermann Ferdinand Dörfler, der schon fünf Kinos in München betrieb, wollte im neuen Atlantik-Palast ausschließlich den noch kaum drei Jahre alten Tonfilm pflegen. Um eine „ausgezeichnete Hörsamkeit“ zu erreichen, wurde ein feines Gitternetz über die 1200 Parkettplätze gespannt und auf Balkons verzichtet. Das klassizistische Äußere sollte erhalten bleiben. Große Reklamebilder verbot die Stadt. Neon-Schrift wurde zwischen die vier Säulen geklemmt. Die allmächtige UFA hatte eine neue Premierenbühne. Aber auch amerikanische Filme durften bis 1938 gespielt werden, ausgenommen solche mit der „Volksverräterin“ Marlene Dietrich. Der Zensur folgte die gesteuerte Propaganda. Am 8. November 1940 lief im Atlantik der Hetzfilm „Jud Süß“ an. Und 1944 sah der Autor die umschwärmte Marikka Rökk als „Frau meiner Träume“ dort ein letztes Mal stepptanzen, bevor der Palast der Träume innen ausbrannte. 1953 wurden die Außenmauern niedergelegt. Das Areal blieb eine Brache - bis heute. In einem Neubau an der Schwanthaler Straße 2 wurde im Juni 1956 – München besaß wieder 125 Kinos - noch einmal ein „Atlantik-Palast“ etabliert, aus dem später ein Atlantis wurde. Mit 1500 Plätzen war es eines der größten Kinos in München. Was allerdings nicht lange dem Zeitgeschmack entsprach.„Fernsehen bedroht Kino“ titelte die Abendzeitung  im März 1960 in dicker roter Schlagzeile. Diverse Betreiber versuchten durch unterschiedliche Programme und durch „Zellteilung“, der Krise zu trotzen, einmal durch ein Fremdsprachen-Kino. Ernst Hürlimann gestaltete das Interieur durch psychedelischen Dekor zum ersten Pop-Kino; das junge Publikum wurde mit Beat begrüßt. Dennoch konnte 1992 das Happy End nicht ausbleiben. Wobei Happy vielleicht nicht das richtige Wort ist.

Kunst im Hinterhof

Im Hinterhof der Occamstraße 8 übernahm der Diplomkaufmann Fritz Falter im Oktober 1949 einen winzigen, konkursreifen Kintopp. Bald schon unterbrach er die Western-Tradition. An drei schwachen Wochentagen ließ er die Meisterwerke der Avantgarde in der Originalsprache flimmern - Cocteau, Clair, Pasolini, Rosselini. Sogar neueste DEFA-Werke gelangten nach Alt-Schwabing. Gegen den Widerstand eines Großverleihs erwuchs aus dem durch Fragebogen untermauerten Experiment das erste Filmkunsttheater der Bundesrepublik. Die 350 anfangs aus Holzstühlen bestehenden Plätze im Occam-Studio waren meistens ausverkauft, die Kritiker jubelten.

Dolch gegen Kitsch

1961 kam ein weiteres Kleinkino hinzu, das Isabella, und ein Jahr später das ebenso abgewirtschaftete Türkenkino, das Falter in Türkendolch umtaufte. Der Dolch richtete sich gegen Kitsch, Schund und Gewalt in der Münchner Kinolandschaft. Es waren überwiegend Schüler und Studenten, die sich um die 130 Plätze rauften. Jeden Donnerstag liefen Angebote für Frauen. „Das Kino läuft so gut, dass es bald auseinander bricht", befürchtete Falter. Bald aber verkrachte er sich mit seinen ebenso eigenwilligen Mitarbeitern. Schließlich ging das Kunst-Theaterchen in die Hände von 13 Genossen. Wegen überhöhter Pacht musste es im April 2001 zumachen. Hinterblieben in der Türkenstraße 74 ist ein Café mit dem hier passenden Namen „Zeitgeist“. Und aus dem Occam-Studio wurde 1970, nach der  heftig kritisierten Kündigung durch eine Großbrauerei, statt des geplanten Tanzpalastes ein immerhin gut laufendes Lustspielhaus. Geblieben ist vom Schwabinger Art-Cinema-Dreiergestirn des mit vielen Ehrungen bedachten, 2007 verstorbenen Schöpfers, allein das Isabella; es spielt  immerhin noch eine Hauptrolle bei den alljährlichen Internationalen Filmkunstwochen, die Fritz Falter schon 1953 initiiert hatte.

Der Beitrag stützt sich auf das Allitera-Buch „Aus is und gar is“ von Karl Stankiewitz.

Anm. d. Red. (3.2.2019, 12 Uhr): Im dritten Absatz wurde die Aussage, wonach das Atlantis das größte Münchner Kino war, geändert in "eines der größten Kinos".

 

Veröffentlicht am: 02.02.2019

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Janne Weinzierl
03.02.2019 13:56 Uhr

Sehr schöner Artikel, aber leider fehlt das ABC Kino in der Herzogstraße in dieser schönen Reminiszenz, das wirkt so als wäre es dort set den zwanziger Jahren.