Le nozze di Figaro von Christof Loy an der Staatsoper

Der Graf ist ja ein armer Kerl

von Michael Weiser

Le nozze di Figaro: Olga Kulchynska (Susanna), Alex Esposito (Figaro), Christian Gerhaher (Graf Almaviva). Foto: Wilfried Hösl

Sensible Personenführung, stimmiges Bühnenbild, erstklassige Sängerriege: Die Bayerische Staatsoper hat mit "Le Nozze di Figaro" einen Klasse-Start hingelegt.

Für ein Etablissement, in dem es erfahrungsgemäß nicht nur der Kunst, sondern auch der gehobenen Geselligkeit gilt, ging's auf einmal ganz schön hurtig. Die Unterhaltungen sind noch gar nicht ganz abgeebbt, irgendwo bimmelt noch, im Theater ist das gar nicht so ungewöhnlich, ein Handy. Da aber reckt Constantinos Carydis schon die Arme nach oben – und hetzt sein Orchester in die Ouvertüre. Nicht mal klatschen konnte man vorher. Man ist überrascht. Ob der Eile.

Flott ist das, sehr flott, ganz am Anfang fürchtet man sich, dass das alles zu schnell werden könnte, zu scharf, als dass zum Beispiel Cherubinos Arie noch ihren Schmelz behalten könnte. So ist es dann aber gar nicht. Es ist vielmehr so: Man glaubt,  „Le Nozze di Figaro“ schon lange nicht mehr so gehört zu haben. So frisch, so transparent. Die Dynamik, die scharfen Kontraste, das unglaubliche Crescendo zum Finale – wieder ist man überrascht. Weil einem das Tempo gutzutun scheint. Als atme man freier.

Christof Loy  hat „Le Nozze di Figaro“ zur Eröffnung der Spielzeit an der Staatsoper in Szene gesetzt, in einer erstklassigen Besetzung. Christian Gerhaher, kürzlich war er als Wolfram im Münchner „Tannhäuser“ zu erleben, singt den Grafen Almaviva herausragend, in deutlicher Phrasierung. Alex Esposito als Figaro ist geschmeidig und lebendig, Olga Kulchynskas Susanna ist leicht und warmherzig, füllig und farbenreich die Stimme, die Federica Lombardi der Gräfin gibt.

Das ist erste Wahl, alle miteinander, und man könnte die Aufzählung noch fortsetzen. Und doch ist es nicht mal das, was am meisten fasziniert. Nein, es ist das, was Christof Loy mit seinen Sängerdarstellern auf der Bühne von Johannes Leiacker anstellt. Keine revolutionäre Neudeutung, aber Sorgfalt sowie kluges und sensibles Interesse für die Charaktere und das, was sie antreibt. Loy nimmt dem Ganzen nichts von seinem Witz, seiner Leichtigkeit; da Karydis einen guten Sinn für das Geschehen auf der Bühne beweist. Gerhahers Graf ist nicht mehr der eitle Unsympath, er liebt ja wirklich und ist der Zuneigung Susannas und schließlich der Erlösung durch Liebe so bedürftig wie nur irgendein Charakter aus einer Oper von Richard Wagner. Bei allem Schmelz der Stimme ahnt man Verzweiflung.

Und weil dieser Graf auf einmal ganz nah bei einem ist, wundert es einen am Ende gar nicht mehr, wie schnell die Gräfin ihm Verzeihung gewährt. Überhaupt ist es schön, wie Loy und seine Leute mit Verunsicherung und Kontrollverlust spielen. Solenn’ Lavanant-Linke etwa gibt einen verführerischen, vor allem sehr anpassungsfähigen Cherubino: Wie unsicher der am Anfang noch in der Verkleidung als Mädchen herumstakst, wie schnell er dann aber das Verführungspotenzial seiner Maskerade beherrscht, lässt uns ahnen, dass die Diskussion über Geschlechterrollen sehr alt ist.

Loy hat Sängerdarsteller von hohem komödiantischem Vermögen zusammengeführt. Wir sehen Alex Esposito am Anfang in einem Miniaturnachbau der Staatsoper. Esposito turnt in diesem Minitheater herum und lässt Susanna als Puppe tanzen. Er steigt aus dem Guckkasten, findet sich erschrocken auf der Bühne wieder. Als sei er in einem Traum, der vehement seine Mitwirkung erfordert.

Noch sind die Verhältnisse so beengt, dass sich auch mal ein Darsteller den Kopf am Türrahmen stoßen kann. Der Raum wird wachsen im Laufe der vier Akte, bis zu riesenhaften Ausmaßen im Finale. Figaro ist in den „tollen Tag“ hineingestolpert wie Alice ins Wunderland. Er ist nicht der Einzige: Am Ende ist allen buchstäblich alles über den Kopf gewachsen.

Das muss kein Problem bleiben, solange man sich in guter Gesellschaft befindet. Und weil die Figuren zwar ihre Fehler haben, aber durchaus Verstand, wissen sie alle, wie sehr sie auf die anderen angewiesen sind. Bis auf Figaro, er verpasst den Abzug der anderen und findet sich bald erneut allein auf der Bühne. Wieder reißt er sich entsetzt die Hände vors Gesicht – für den auf sich allein gestellten Menschen ist diese Welt tatsächlich ungeheuer.

Nächste Termine: 4., 7., 10. November 2017

 

Veröffentlicht am: 01.11.2017

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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