"Peter Lindbergh. From Fashion to Reality" in der Kunsthalle

Vom Model zur Frau zum Supermodel

von kulturvollzug

White Shirts: Estelle Léfebure, Karen Alexander, Rachel Williams, Linda Evangelista, Tatjana Patitz & Christy Turlington, Malibu, 1988 © Peter Lindbergh (Courtesy of Peter Lindbergh, Paris / Gagosian Gallery)

In den 90er Jahren entstand das Phänomen der Supermodels. Untrennbar mit dem Begriff verbunden ist der deutsche Fotograf Peter Lindbergh. Er brach mit den starren Konventionen der Modefotografie, indem er einen neuartigen Blick entwickelte und in seinen Arbeiten starke Frauen mit einer natürlichen Ausstrahlung darstellte. Die Kunsthalle München widmet dem „Model-Macher“ derzeit eine umfassende Ausstellung.

Wie sein Malerkollege Andy Warhol arbeitete Peter Lindbergh zunächst als Schaufensterdekorateur, bevor er Abendkurse an der Berliner Kunstakademie belegte und an der Kunsthochschule in Krefeld Freie Malerei studierte. In den 70er Jahren wandte er sich ab von konzeptueller Malerei hin zur Fotografie und assistierte dem Fotografen Hans Lux. 1978 zog er nach Paris und arbeitete für die Vogue und weitere Modemagazine. Seine Inspiration fand er in den Werken der großen Fotografen der 20er Jahre, die für einen neuen Realismus stehen: August Sander, Man Ray, László Moholy-Nagy und Alexander Rodtschenko.

Bruch mit Konventionen

Sechs junge Frauen am Strand von Santa Monica. Ungeschminkt, die Haare locker hochgesteckt, sie tragen fast nichts als weiße Männerhemden. Gegenseitig schieben sie sich beiseite, rangeln fast miteinander, lachen dabei. Die Stimmung ist ausgelassen, sie scherzen und haben Spaß. Was wie ein Schnappschuss anmutet, revolutionierte die Modefotografie.

Die 1988 entstandene Schwarz-Weiß-Aufnahme war für ein Modemagazin gedacht. Bei den Dargestellten handelt es sich um die neue Generation von Models, die in den 90er Jahren für Furore sorgten. Die Vogue lehnte das Bild ab. Es entsprach nicht der damaligen Ausrichtung. Die Leser waren gewöhnt an den Anblick perfekt geschminkter Models in perfekten Posen. An eine in Studiolicht geschaffene Illusion. An einen makellos-schönen Schein, der zum Kauf verführen sollte. All der Glanz und Glamour kümmerte Lindbergh nicht. Er brach mit den Konventionen der Modefotografie und entwickelte einen neuartigen Blick. Er holte die Models heraus aus dem Studio und bildete nicht nur deren äußerliche Schönheit ab, sondern brachte auch ihre Persönlichkeit und natürliche Ausstrahlung zum Vorschein. Das Frauenbild, das Lindbergh im Kopf hatte, war geprägt von einem Ideal, das ihm an der Kunsthochschule begegnete: junge, unabhängige Frauen, die für sich selbst sprechen konnten. Wenig später sollte sein neuartiger Blick gewürdigt werden.

Kate Moss, Paris, 2014 Vogue Italia © Peter Lindbergh (Courtesy of Peter Lindbergh, Paris / Gagosian Gallery) Giorgio Armani, S/S 2015

Models als Ikonen

1990 druckte die britische Vogue ein Foto Lindberghs auf das Cover. Darauf zu sehen: Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford. Ähnlich wie das Strandbild zeigt es die Fünf ganz natürlich wie Mädchen von nebenan in unaufgeregten Klamotten vor einer Großstadtkulisse. Nicht mehr die Kleidung stand im Fokus, sondern die Models selbst. Lindbergh reduzierte die fotografischen Mittel, das kontrastreiche Schwarz-Weiß hebt die wahre Natur der Frauen hervor. Keine farbigen Kleider lenken den Betrachter ab, kein aufwendiges Make Up versperrt den Blick ins Innere. Die Modelle entwickeln sich zu eigenständigen Persönlichkeiten. Eine neue Ära begann, man sprach vom Phänomen der Supermodels. Sie wurden verehrt, junge Frauen wollten so sein wie sie, George Michael engagierte sie für sein Musikvideo Freedom! '90 und verstärkte den Hype zusätzlich. Die Models wurden als Ikonen gefeiert.

„Der Model-Macher“ wird Lindbergh gerne genannt. Aber sein Œuvre beschränkt sich nicht allein auf die Modefotografie. Eindringliche Porträts von berühmten Schauspielern, Popstars und Modedesignern gehören ebenso dazu. Lindbergh blickt hinter die Fassade ihres Ruhms. Anstatt Falten und Makel zu retuschieren, sind für den Fotografen gerade die Spuren des Lebens und die Unvollkommenheit das, was ein Gesicht erst interessant, individuell und attraktiv macht. Immer wieder nahm Lindbergh auch Bezug auf das soziale und politische Zeitgeschehen. Für zwei Fotoserien inszenierte er Protestaktionen mit Models als Protagonistinnen. In den 80er Jahren befasste sich Lindbergh mit Gender-Fragen, er fotografierte Frauen in Männerkleidung, Transgender-Schauspielerinnen und ein schwules Paar für eine Werbekampagne. Im Mittelpunkt seines Schaffens steht immer der Mensch als Individuum und als Teil der Gesellschaft. Diesen versucht er so authentisch wie möglich abzulichten, weshalb es seine Bilder nicht nur in Hochglanzmagazine, sondern auch in Museen weltweit schafften.

Die Ausstellung präsentiert einen Querschnitt seines Schaffens. Neben Modefotografien und Porträts befasst sich ein Raum mit seiner Serie von Tänzern, ein anderer mit seinem Science-Fiction-Film The Unknown. Ein Ausstellungsraum ist als Dunkelkammer konzipiert mit unzähligen Negativen, Kontaktabzügen und Polaroids. In einer solchen hält sich der 72-Jährige kaum noch auf, mittlerweile hat er sich mit der Digitaltechnik angefreundet.

Kerstin Petri

Die Ausstellung "Peter Lindbergh. From Fashion to Reality" ist bis 27. August 2017 in der Kunsthalle München zu sehen. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8 (Fünf Höfe), 80333 München, täglich von 10 bis 20 Uhr (www.kunsthalle-muc.de).

Veröffentlicht am: 31.05.2017

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