Ugo Dossi zeigt in seinem Atelier Giampaolo di Cocco

Ein Architekt im Mythenland

von Michael Wüst

Giampaolo di Cocco im Atelier Ugo Dossi. Foto: Michael Wüst

Ugo Dossis Atelier neben der whiteBOX im Werksviertel präsentiert sich erstmals auch als Ausstellungsraum unter dem Namen ORAcle. Arbeiten von Giampaolo di Cocco mit dem Titel "Nachtstunden", die noch bis zum 28. April 2017 zu sehen sind, geben den Auftakt. Ugo Dossi, international erfahren - er nahm an der Dokumenta 6 und 8 und Biennalen in Venedig, Paris, Mailand und Buenos Aires teil -, hat vor, zukünftig in lockerer Reihe Freunde nach München einzuladen.

"Nachtstunden" sind kleinere Arbeiten aus der Serie "Car-Naval", die auch als Modelle verstanden werden könnten, da Giampaolo di Cocco seit Ende der 80er Jahre bekannt geworden ist durch seine großen permanenten Installationen der "Grandi Naufragi" (Große Schiffbrüche), die in ganz Europa und in den Vereinigten Staaten an öffentlichen und privaten Orten zu sehen sind. Seine dislozierten Wracks, aus dem Aluminium der Rollen-Offset-Drucktechnik geformt, sind technische und kriegerische Menschenbehältnisse wie U-Boote, Flugzeuge, Automobile, nachgeschaffene Geborgenheiten ohne Besatzungen, die sich wiederfinden in der Natur, in Fabrikruinen oder an Bunkeranlagen (Skagener Bunkermuseum, Dänemark) des 2. Weltkrieges. Über 40 solcher Installationen sind mittlerweile insgesamt zu sehen, so auch "Trivial Catalina III" im Skulpturenpark "Il Giardino di Daniel Spoerri", eröffnet 1997, circa 60 Kilometer von Siena entfernt.

Giampaolo di Cocco, TrivialCatalina III Fondation, Daniel Spoerri 1992-2008 m.9x12x3,50. Foto: Giampaolo di cocco

Unter 100 Arbeiten von mehr als 50 Künstlern befindet sich auch eine Arbeit von Ugo Dossi. Catalina, ein Flugboot des 2. Weltkriegs, Typ "amphibischer Patrouillenbomber", wurde hier in den Wäldern des Giardino disloziert zum Zwecke einer archaischen Sakrifizierung an einer für di Cocco als weiblich empfundenen Wegekreuzung aufgebaut. Die Hände aus Marmor im Cockpit symbolisieren eine sakrale Ruhestätte des oder der Piloten an einem exklusiven Ort der Erlösung.

Für di Cocco, ursprünglich Architekt, tätig als Raum- und Stadtplaner, außerdem Maler, experimenteller Filmer, Kameramann bei RAI, Publizist und Gründer der Zeitschrift "Abaco" für zeitgenössische Kunst und Architektur, wurden Skulptur und Installation zum zentralen Thema. Er lebt und arbeitet in Köln, Berlin und Florenz und hat sein Atelier in Kunau in der Prignitz in der Mark Brandenburg. Als Universalist zeichnet den naturwissenschaftlich geprägten Künstler zusätzlich aber besonders die Auseinandersetzung mit den Mythologien und den bildlichen Chiffren der Protoantike aus. Mesopotamien, das Land der Akkader und Babylonier, das Land zwischen Euphrat und Tigris, wurde Gegenstand seiner Forschung in Zusammenhang mit den "Car-Navals", die im Atelier von Ugo Dossi zu sehen sind. Das archaische Basisgefährt eines Car-Naval ist ein Hybrid aus Schiff oder Boot und Wagen. Der horizontale Schnitt durch einen Schiffsrumpf der Plankenbauweise (z.B. Karavelle) wird durch eine Metall-Linse repräsentiert, getragen von streitwagenartigen Rädern, ein anderes Mal hängt ein Nachen in solchem Vorwelt-Chassis.

Giampaolo di Cocco, "Car Naval n. 18" Foto: Michael Wüst

In Schichtungen und Spiegelungen werden diese Gefährte bestückt und bemannt und in Diskurs gebracht mit einer Art morphologischen Noctariums (Nachttagebuch), imitierten Körpern (Effigies), Puppen, Fischen, Kohlebrocken. Erd- und Wasserverzeichnisse, terrestrische und amphibische, lunare und solare Zeichensysteme korrespondieren. Die sakralen Gefährte - sie könnten auch den zweiten Körper des Königs tragen (Effigie) - haben laut Giampaolo di Cocco einen Weg der Erhöhung zu (er)fahren. Nämlich den vom niederen Wasser des Euphrat zum höheren des Tigris. Eine Erhöhung wie sie nach di Cocco auch in frühen Sequenzen der Taufe zu beobachten sei. Getaucht in das tiefere Wasser, erhöht durch das höhere Wasser von oben, das über den Kopf des Täuflings gegossen wird.

Was die katholische Kirche daraus gemacht hat? Das archaische Theologem, es tendiert in der Theologie dazu, zu verblassen. Das Vale Carne (lebe wohl, Fleisch) der Fastenzeit hält di Cocco für eine der vielen religiösen Klitterungen, ins Werk gesetzt mittels rückwirkender Umredigierung. Trotzdem scheint der Mythos seltsam beweglich. Und an seinen Fittichen vermag er unverdrossen den Zustand der aktuellen Humanität lesbar zu machen. In einer Art spöttischer Verwandlung. Das Versunkene kommt in neuer Form an der Oberfläche. Die Prunkwägen des Karnevals? Das Toupet, ein letztes Überbleibsel der jungfräulichen Geburt?

 

Nur noch am 28.4. 2017 im Werksviertel, Atelier Ugo Dossi im Werk 3, 13-18 Uhr.

Veröffentlicht am: 28.04.2017

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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