Jugendproduktion im Residenztheater

Robin Hood, der Rächer der Demokraten

von Isabel Winklbauer

Die Männer der Sage beim Bogenduell. Foto: Julian Baumann

Little John stöhnt über den Milchpreis, King John will Burkas verbieten und Maid Marian stellt das Familienmodell in Frage: Der neue "Robin Hood" von Regisseur Robert Gerloff ist linksdemokratischer Politikunterricht im Actiongewand. Bedenklich: Das Geheimzeichen des Outlaws und seiner Bande ist der erhobene Zeigefinger. So schillernd und fantastisch die Umsetzung auch ist, diese Inszenierung zwängt ihre Zuschauer mit Gewalt ins Korsett des liberalen Regenbogenbürgers.

Robin und seine Bande beim Demokratentanz. Foto: Julian Baumann

"Ich kaufe alles", sagt König Johann alias Manfred Zapatka, "ich kaufe eure Lehrer, ich kaufe Messi UND Ronaldo!" Doch so schlimm wie sein Scherge, der Sheriff von Nottingham (Gunther Eckes) kann er gar nicht sein – der will den Kindern im Publikum sogar ihre Großeltern abkaufen, um sie in ein finsteres Verlies zu sperren, wo sie nie wieder versorgt werden müssen. Gut, verstanden, Kapitalismus ist böse. Dabei ist doch schon ganz am Anfang klar, als Nottingham einem kleinen Mädchen den Erbring der Mutter stiehlt, dass er und seinesgleichen von Habgier getrieben sind.

Die Robin-Hood-Fassung von Angela Obst verbreitet gute Botschaften, aber sie reitet dermaßen darauf herum, dass einem der ganze Spaß verdorben ist. Vom Generationenvertrag ist die Rede, von falsch verwendeten Steuern und von allerlei anderen Dingen, die einem schon bis zur Oberkante der Unterlippe stehen. Gegen all die plastisch gezeichneten Missstände zieht Robin Hood mit seiner Bande zu Felde, und das nicht nur mit Pfeil, Bogen und Verkleidungskunst, sondern erst mal innenpolitisch im eigenen Haushalt: Jeder darf bei ihm mitmachen, er teilt sein letztes Butterbrot mit Little John, Bruder Tuck spendiert der Gruppe ohne Vorbehalte seinen Rehbraten und alle singen zusammen: "Einen gut gemischten Wald knickt der Sturmwind nicht so bald. Drum pass auf, du Staatsgewalt! Uns lässt deine Bosheit kalt." Wobei das dazu ausgeführte Gruppenzeichen nicht etwa ein High-Five ist, sondern ein erhobener Zeigefinger. So viel penetrantes Schlecht- und Gutmenschentum kann man, je nach politischer Ausrichtung, bürgerliche Erziehung nennen oder linke Propaganda. Jedenfalls liegt dem Ganzen ein Denkfehler zugrunde: Viele Eltern wollen ihre Kinder nicht IM Theater erziehen, sondern ZUM Theater erziehen. Klassiker leiden, wenn alle naselang eine Botschaft rübergebracht wird.

Marian (Mathilde Bundschuh) und ihre Amme (Arthur Klemt, li.) an der Zinne. Foto: Julian Baumann

Besonders schade ist das im Fall von Robin und Marian. Zwischen den beiden geschieht keine echte Annäherung, denn Marian will sich "mehrmals im Leben verlieben" und findet Ehe und diese "ganze Familiensache doch altmodisch". Durch das Gruppendasein fehlt es manchen Charakteren gelegentlich an Überzeugungskraft. Thomas Lettow als Robin Hood ist ohnehin als ungewöhnlicher Typ gezeichnet. Mit wuscheliger Frisur und ruhiger Sprechweise (basisdemokratisch!) wirkt er eher wie ein Art-Director, der sich in etwas ganz Großes verstiegen hat. Von Heldentum – zu dem ja immer auch eine dunkle Seite gehört – ist da nicht viel zu sehen. Seine rechte Hand ist Scarlett Will, der Pauline Fusban den Mut und die Unverfrorenheit verleiht, die eigentlich der Titelheld haben sollte. Sie ist es auch, die die Frage nach dem rechtmäßigen Handeln der Hood-Bande und damit das ganze Diebesunternehmen auf moralisch vertretbare Füße stellt. Ein bisschen Erol Flynn hat in dieser vom Mann zur Frau gedrehten Rolle also doch überlebt! Noch besser, fast wie in einem Shakespeare-Drama, ergänzen sich aber Mathilde Bundschuh und Arthur Klemt als Maid Marian und Amme. Die beiden handeln eher intuitiv als von Fakten getrieben, wenn sie Nottingham einen Trank verabreichen wollen, der einen guten Menschen aus ihm machen soll – eine erfrischende Abwechslung im Unterricht.

Guy de Gisbourne (Thomas Gräßle, li.) und der Sheriff von Nottingham (Gunther Eckes). Foto: Julian Baumann

Die Überfrachtung mit Botschaften ist um so bedauernswerter, als Gerloffs "Robin Hood" exzellent ausgeführt ist. Die Geschichte steckt voller schillernder Figuren, wie zum Beispiel dem nicht ganz intelligenten Guy de Gisbourne, in dem der Gut-Trank einen Tänzer und Sänger zum Vorschein bringt. Oder der überfürsorglichen Amme mit Riesendekolletee und einer Schwäche für Pralinen, die bei den jungen Zuschauern exorbitant gut ankommt. Es gibt wunderbare Actionsequenzen: Eine Fechtszene, in der Robin auf den Tisch springt, und ein Bogenduell, zu dem er als Batman verkleidet erscheint, dabei aber mit mexikanischem Zorro-Akzent spricht. In einer Prügelszene mit Nottingham geschieht gar alles in Zeitlupe, wie in "Matrix" – köstlich. In solchen Details blitzt sie auf, die Liebe zum Theater, das aus sich selbst heraus bildet. Johanna Hlawicas Kostüme sind farbenfroh und verspielt, die Live-Musikbegleitung der Brass- und Klezmer-Band um Cornelius Borgolte eine Bereicherung – schon der Anblick der Bass-Klarinette macht Spaß.

Nicht zu vergessen: Kinder haben eine natürliche Durchzugfunktion im Kopf, wenn es um gute Lehre geht. Wer unter zwölf ist, bleibt verschont und erlebt in "Robin Hood" zwei Stunden voller Abenteuer, Witz und Fantasie, die ihn früher oder später hoffentlich ins Theater zurückkehren lassen. Erwachsenen sei geraten: Wenn Vorträge kommen, einfach abschalten und das Geschehen selbst interpretieren. Selbständige Meinungsbildung ist schließlich das Herz der Demokratie.

Veröffentlicht am: 14.11.2016

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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