Ugo Dossi in der Regensburger Galerie "Artaffair"

Ein feines Grinsen der Götter

von Michael Wüst

Ugo Dossi. Resonanz, Nefer

Ugo Dossi zeigt derzeit Arbeiten von 1976 bis 2016 in der Regensburger Galerie "Artaffair". In den Räumen der ehemaligen Privatkapelle in der Nähe des bedeutendsten Doms der süddeutschen Gotik nehmen sich die Arbeiten Dossis, eingebettet in die gotischen Spitzbögen, kongenial, geradezu konspirativ aus. Er selbst bezeichnet sich als Schmuggler des Unbewussten.  Was er schmuggelt, sind Reanimationen des im Konstrukt der Geschichte schlummernden Wissens und Ahnens.

Als ästhetischer Neuscholastiker, Wanderer zwischen heller und dunkler Hermeneutik mit astrophysikalischen Hintergedanken, durchbricht er die Chronologie des geschichtlichen Fortschritts und zieht daraus Schleifen, verwandelt Text in Bild.  Kognition in Schau. Kreisend in Rückbindung zu einer Zeit, da Wissenschaft, Religion und Mystik sich noch aus einer Quelle speisten, gelingen ihm Bilder der Zeitlosigkeit.

Zentral sind dabei seine Zeichnungen. Für sie mag gelten, was Hermann Cohen, der bedeutende Vertreter jüdischer Philosophie des 20. Jahrhunderts sagte: "Der Anfang des Denkens ist das Denken des Anfangs".

Sein Zeichnen ist grafisches Denken des Anfangs. Der Punkt, von dem die Bewegung ausgeht, findet im Schlusspunkt zu sich zurück. In diesem Sinne entspricht Dossis automatisches Zeichnen dem in der Mystik des Sohar (Buch des Glanzes, Talmud) genannten Verhältnis von Grund- (lapis primarius) zu Schlussstein (lapis ultimus), und damit einem zentralen Thema auch der Kabbala wie der Alchemie und der Symbolik der Arkana im Tarot. Grund- und Schlussstein sind wie in einer seltsamen Vorahnung auf das Doppelwesen der Photonen, jeweils beides, können ihre Identitäten ineinander wechseln.

Die kürzeste Verbindung zweier Punkte, die Gerade, erstrebt oder sucht die automatische Zeichnung im seltensten Fall. Es scheint, als sei ihr Weg den psycho-magnetischen Kräften, die um sie herum wirken, unterworfen. Ablenkung, Stauchung, Verdrehung, Ausweichen sind Konstituantien des erscheinenden Bildes. Die entworfenen, herausgeworfenen Figuren entspringen dem Unbewussten in ungefilterter, unkontrollierter Intuitions-Lichtgeschwindigkeit.

Diese an himmlischer Eleganz nicht zu übertreffenden Entwürfe des freien Unbewussten, dienen Dossi seit vielen Jahren dazu, sie mit Emanationen der Welt zu konfrontieren, sei dies Natur, Architektur, Kosmos oder prähistorisches Artefakt.

So zeigt "Artaffair" tief leuchtende Exponate aus der Nefer-Serie mit dem Bild der ägyptischen Nofretete als Hintergrund. Nofretete trug ab dem 5. Regierungsjahr Echnatons den Beinamen Nefer-neferu-Aton („Schön sind die Schönheiten des Aton). Auf dem dunklen Glanz des weltraumstillen Gesichts liegt die automatisch gezeichnete Figur eines Embryos.

Ugo Dossi. "Verführung des Teufels" Biennale Venedig 1986

Auch der berühmte Kuss, "Verführung des Teufels", ist in einer seiner zahlreichen Variationen zu sehen. Man mag lange hinschauen, aber man wird in dieser dynamisch zärtlichen Pose zwischen dem fliegenden Mobilar nicht herausbekommen, wer von den beiden im Kuss Verführer oder Verführter ist. Ein Grund vielleicht, warum Ugo Dossi dieses enigmatische Motiv mehrfach auch in seinen subliminal, unterschwelligen Projektionen verwandt hat (Biennale Venedig, 1986).

Diese Projektionen, mittels eines Xenon-Entladungs-Blitzes in der Dauer einer Zehntelsekunde hervorgerufen, sind für das menschliche Auge nur als Nachbild zu sehen.

Ebenfalls begegnen wir: Vortex (Wirbel) und Abyss (Abgrund), zwei makro-kosmischen Ereignissen der Wiedergeburt der Materie durch den Sturz ins Boden- und Zeitlose.

Dazu mag passen, was der zeitgenössische Philosoph Wolfram Hogrebe in "Philosophischer Surrealismus" ( S. 120) sagt: "Wir müssen es geschehen lassen, dass der vollständig bestimmte Schlussstein aus der Kuppel herausbricht und, alle Bestimmung verlierend, auf die Basis, die Sinnlichkeit herunterstürzt, um eben diese mit ungeheurer Wucht nach unten zu durchschlagen. Mit dieser bildlichen Inszenierung machen wir den epistemischen Schlussstein (lapis ultimus) zum epistemischen Grundstein (lapis primarius)." Man denkt unwillkürlich an die Erkenntnis des stürzenden Engels. Die Freiheit ist mit der Schuld erkauft.

Wer fühlte sich angesichts solcher Meditationen, die sich bereits ähnlich im Sohar, zurückgehend auf die alttestamentarischen Propheten Ezechiel und Daniel, finden, nicht inspiriert, heutige astro-physikalische Beobachtungen des kosmischen Parade-Vortex schlechthin zu assoziieren?  Jenes alles in sich hineinstürzenden Super-Vortex, der im Zentrum eines schwarzen Lochs wirbelt? Hier, wo vermutet wird, dass die Zeit stillsteht? Oder sich umdreht? 

Ugo Dossi. Widder, Zodiak

Zu diesen Themen der Kosmologie traten in den letzten Jahren immer mehr die großen Systeme der Mystik hinzu. Nachdem Dossi für die Dokumenta 13 seine Installation der 22 Trumpfkarten des Tarots, "2nd Life" gezeigt hatte, kamen die Arkana 2012 auch in die Münchner whiteBOX im Rahmen der Ausstellung "Cui bono". Nun zeigte er in Regensburg das erste Mal seine Version des Zodiakus, der zwölf Tierkreiszeichen. Die aristotelischen Charaktere Feuer, Wasser, Erde, Luft bilden das Zentrum der Ausstellung in ungewohnt heiterer, farbenfroher Hinterlegung der automatisch gezeichneten Löwen, Fische und Steinböcke. Ein feines Grinsen der Götter scheint in den Typologien zu spielen.

Bis 6. Mai 2016 Galerie "Artaffair", Neue-Waag-Gasse 2, Regensburg, Telefon 0941 - 59 99 59 1, Mail  info@art-affair.net 

Veröffentlicht am: 22.04.2016

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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