Die Themen-Ausstellung „Life is not a Beach“ der Alexander-Tutsek-Stiftung

Schöne dunkle Seite des Lebens

von Christa Sigg

Matthieu Gafsou, Injection II (2013), Foto: Matthieu Gafsou

Zwei Welten treffen hier aufeinander. Sieht man einmal davon ab, dass Heroinspritzen auch aus Glas sein können. Und Kokainlinien am besten vom gläsernen Couchtisch geschnupft werden, um gleich noch ein schönes Klischee zu bedienen. Ansonsten bringt man Glas, dem das Image des Glänzenden, Glatten, Reinen und erst recht Heilen anhaftet, kaum mit dem Thema Drogen in Verbindung. Dieser eher schmutzig-schmuddeligen, sowieso illegalen Angelegenheit, die meistens draußen, irgendwo im Dunkeln passiert.

In einer Schwabinger Jugendstilvilla beginnt sich dieser Antagonismus aufzulösen, um sich schließlich über die anregende Konfrontation zur gegenseitigen Ergänzung zu wandeln. Allerdings braucht es in den Schauräumen der Alexander-Tutsek-Stiftung, diesem ambitionierten Forum für die zeitgenössische Glaskunst, ein weiteres Medium, das die Drogen tatsächlich ins Spiel bringt: Es sind die Fotografien Matthieu Gafsous. Über ein Jahr hat der 35-jährige Schweizer die Junkie-Szene von Lausanne beobachtet, das Leben der Abhängigen dokumentiert, die Orte ihrer fatalen Sucht und die Instrumente des berauschenden Konsums.

Man braucht eine Weile, um zu realisieren, dass auf den manierlich drapierten kleinen Stillleben nicht die üblichen Vasen, Steinformationen oder ausgefallener Autorenschmuck zu sehen ist. Denn Gafsou inszeniert die Colaflasche voller Kanülen („Coke“, 2013), die Amphetaminpaste und den medizinischen Löffel wie Ikonen. Liest man die dezenten kleinen Schilder, dann entpuppt sich das Kraut, das vage zwischen der Kalotypie eines William Henry Fox Talbot und den neusachlichen Pflanzenfotografien Karl Blossfeldts treibt, als getrocknetes Cannabis (2013). Und die elegant gewundene Qualle mit ihrem zarten Schleier als ganz banales Präservativ. Selbst die Steppdecke, die in einem Schlafzimmer aus Sträuchern, Geäst und durchmoostem Gras vom bezahlten Sex zurück geblieben ist, hat etwas von einem edel schimmernden Tuch, und erst die Spritze am Boden erzählt die eigentliche Geschichte.

Matthieu Gafsou, Papaver Somniferum (2013), Foto: Matthieu Gafsou

Das ist meilenweit entfernt von den schockierenden Sequenzen des amerikanischen Tabu-Brechers Larry Clark, der 1971, über 20 Jahre vor dem Film „Kids“, das Drogenmilieu seiner Heimatstadt Tulsa (Oklahoma) im gleichnamigen Fotoband dokumentiert hat. Die enge Verknüpfung mit Gewalt und Sexualität sorgte damals für einen Skandal, und bis heute erschüttern diese Bilder in ihrer schonungslosen Brutalität. Das war eine erste grandiose Provokation, lange bevor Nan Goldin mit der Kamera durch die harten Viertel New Yorks zog und bisweilen selbst Teil dieser Szene war.

Man kann natürlich darüber streiten, ob Gafsous ästhetische Überhöhung der Wirklichkeit angemessen ist. Ob sich da nicht auch etwas Verharmlosendes einschleicht. Zumal die dazugehörigen Porträts keine tief gezeichneten, allzu früh gealterten und womöglich verwahrlosten Opfer ihrer Sucht wiedergeben und man durchaus von einer Poetisierung dieser Schattenwelt sprechen darf.

Sicher, Frédérique ist blass, scheint übernächtigt, die Augen sind weit aufgerissen. Caroline hat etwas Verwirrtes im Blick, und Armando fixiert sein Gegenüber angestrengt aus einem maskenhaft versteinerten Gesicht. Pierre, der den Ausstellungstitel „Life is not a Beach“ als Tätowierung auf dem Arm trägt, könnte dagegen glatt als Sozialarbeiter durchgehen. Aber das ist eben auch wieder die Außensicht, und wer kann schon unterscheiden, ob der dauernd abgekämpfte Kreativmanager oder die Businesslady an Tabletten und Pülverchen hängt oder geradewegs auf den Burnout zusteuert.

Es geht hier nicht um Aufklärung, nach den üblichen Klischees muss man auf diesen Bildern schon suchen. Darin liegt nicht nur eine Qualität, sondern auch der Reiz von Gafsous Fotografien, deren Wirkung sich erst langsam einen Weg bahnt. Und durch diese Ästhetisierung und das Fehlen eindeutig abschreckender Momente funktioniert letztlich auch das Zusammenspiel mit der gläsernen Kunst.

Die ist keineswegs harmlos, wenngleich sie im Licht der Scheinwerfer zu glänzen beginnt. Und zwischendurch sogar Champs-Élysées- oder wenigstens Maximilianstraßen-Chic verbreitet wie die Chanel-Einkaufstüte (2010) aus Glasperlen. Doch wo es glitzert, ist das Dunkle nicht weit: Shige Fujishiro will mit seiner Installation auf die Obdachlosen aufmerksam machen. Einen Raum weiter könnte man Katharina Kleinfelds „Hoffnungsbündel“ (2012) – gläserne „Hope“-Schriftzüge auf Stielen – leicht mit gut gemeinter Kirchentags-Deko verwechseln, doch Janusz Walentynowicz‘ Glasschatulle „The Good Book“ (2002), in der ein ansehnlicher Revolver auf den ultimativen Einsatz wartet, steuert eiskalt dagegen.

Mit prächtigen HIV- oder Ebola-Viren im Großformat (2010) hat Luke Jerram unsere Panik vor unheilbaren Krankheiten in Glas geschmolzen – zumindest in der Ausstellung sind sie sicher in einer Vitrine untergebracht. Nah am Kitsch bewegt sich Maria Lugossys hinreißend schöne Arbeit „Bluebay“ (2011). Was eignet sich besser, in die Abgründe der möglicherweise depressionsgeplagten Seele zu blicken, als blaues Glas, das sich zu einem See vor schroffen Klippen rundet?

Bei Aleš Vašíčeks „Crystal Wave“ (2014) braucht man nicht viel Fantasie, um an die überwältigende Welle beim Drogenkonsum zu denken. Wobei es Mona Hatoum wieder einmal mit einfachsten Mitteln auf den Punkt bringt. Man muss den Titel „Drowning Sorrows“ (2014) nicht kennen, um zu verstehen, was in diesem Meer halbierter und wie in den Untergrund sinkender Flaschen gemeint ist. Die palästinensisch-britische Künstlerin mit dem Sinn fürs Doppeldeutige weiß am besten, dass das Leben kein Strandvergnügen ist. Und sie fällt heraus aus dieser durchaus faszinierenden Glasmenagerie, die erst durch Matthieu Gafsous Drogenbilder in die dunklen Zonen des Daseins geraten.

Ausstellung „Life is not a Beach“ bis 24. Juni 2016 in der Alexander-Tutsek-Stiftung, Karl-Theodor-Straße 27, Dienstag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr, feiertags geschlossen, Eintritt 3, ermäßigt 2 Euro, Tel. 55 27 30 60, www.atstiftung.de

Zum Projekt von Matthieu Gafsou ist im Kehrer Verlag das Buch „Only God can judge me“ erschienen, 39,90 Euro

Die im Jahr 2000 gegründete Alexander-Tutsek-Stiftung ist bekannt für ihre exquisite Sammlung von Glaskunst und hat ihren Sitz in einer Schwabinger Jugendstilvilla an der Karl-Theodor-Straße. Das ehemalige Künstleratelier des Hauses wurde zum Schauraum umgestaltet. Hier hat vor allem die zeitgenössische Glaskunst eines ihrer seltenen Foren in Deutschland. 2008 kam die moderne Fotografie hinzu, die inzwischen einen beträchtlichen Teil der Kollektion ausmacht. In Themen-Ausstellungen werden die beiden Sammlungsbereiche regelmäßig kombiniert und konfrontiert.

 

Veröffentlicht am: 21.04.2016

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