Simon Solbergs "Odyssee" nach Homer am Münchner Volkstheater

Von nun an gilt's dem Krieg

von Michael Weiser

Das Ding im Hintergrund sieht aus wie Polyphem, ist aber Jean-Luc Bubert: Videozauber bei der "Odyssee". Foto: Arno Declair

Odysseus, der es mit den Göttern aufnimmt, der Listenreiche, immer Herr der Lage? Im Volkstheater zeichnet Simon Solberg ein anderes Bild des Helden. Und macht aus dem Krieg der Griechen gegen die Trojaner glaubhaft die Urkatastrophe der Menschheit. Sehenswertes Theater, diese "Odyssee" nach Homer, die Tour de Force durch die Geschichte der Gewalt.

Es gibt Inszenierungen, die würden wahrscheinlich schon wegen ihrer Bilder funktionieren. Die hier zum Beispiel: Simon Solbergs Inszenierung der „Odyssee“ nach Homer, am Münchner Volkstheater. Wie sich da dunkle Silhouetten vor einem glosenden Hintergrund aufbauen und an das religiös entrückte Urbild des Kampfes erinnern, an die Tempelfiguren der Aigineten, wie dann aber gleich alles in Fluss gerät und die Gestalt in der Mitte eben nicht Athene ist, sondern der König der Kikonen, der gleich als nächster Kriegsgegner ins Visier der siegreichen Griechen gerät; wie dann Stangen als Ruder dienen, als Stämme oder als Lanzen – mit an sich einfachen Mitteln erzielen Solberg und sein Stab (Bühne: Markus Pötter, Kostüme: Claudia Irro, Musik: Michael Gumpinger und Video: Joscha Sliwinski) die ganz große Wirkung.

Odysseus verliert die Richtung: Sebastian Wendelin (links). Foto: Arno Declair

Man darf sich von der Wucht der Bilder überwältigen lassen, aber auch auf Sprache und Handlung achten. Auch das funktioniert, ja, es funktioniert nicht nur irgendwie, es geht richtig gut auf. Auch dank der hervorragenden Schauspieler, Luise Kinner, Jean-Luc Bubert, Jakob Geßner und Moritz Kienemann, vor allem aber mit Gast Sebastian Wendelin als Odysseus: Von der besonderen Klasse des Österreichers in Diensten des Dresdner Staatsschauspiels hatte man sich im Volkstheater schon 2012 bei „Radikal jung“ überzeugen können. Da gab Wendelin den Tschick.

Simon Solberg kann grob hinlangen, ein Stück auch mal radikal entkernen. Dass er eine komplizierte Handlung ohne entscheidenden Verlust eindampfen, auf die Essenz reduzieren und ihr mit sachtem Dreh neue Richtung geben kann – das sah man nicht in jeder seiner Produktionen so deutlich wie hier. Er lässt auch noch dem Text seine Geltung. Und öffnet überraschend behutsam dem Denken Wege, bis in die Ära des modernen globalen Terrors. Solbergs Odysseus-Tour ist tatsächlich großes menschliches Drama.

So schnell baut man ein Boot: Überragende Bilder bei der "Odyssee" am Volkstheater. Foto: Arno Declair

Man mag sich an der mitunter etwas aufdringlichen Didaktik stören. Karten zur Linken und zur Rechten zeichnen mit Karten aus dem Geschichtsatlas nach, was die Griechen mit ihrem Ur-Krieg gegen die Trojaner entfesselten. Er hat ja Recht, der Solberg, es war ein Anfang kriegerischer Weltgeschichte. Denn Alexander, Pompeius und Caesar wollten ja auch nur Achill spielen. Die aggressive Expansion des Islam außer Acht lassend, springt Solberg gleich zu den Kreuzzügen, dann weiter, bis in zum großen Spiel der zentralasiatischen Neuordnung und zur Bleistift-Demokratie im Nahen Osten, die klare Linien ziehen sollte - und bis heute für Unklarheit sorgt. Das aber sieht auf der Bühne unverkrampfter aus als auf den Kartenflügeln.

Faszinierend bleibt Odysseus. In der Sage der feine (manche würden sagen: heimtückische) Gegenpart zur Killermaschine Achill, zum groben Machtmenschen Agamemnon auch, ist er hier nicht mehr nur der Polytropon: Der Vielgewandte wird im Volkstheater zum Vielbeschädigten. Ruhe wird er nicht finden, seine Traumata werden ihn nie mehr wirklich nach Hause kommen lassen, da kann Penelope skypen, wie sie will. Er hat da seine Vorstellungen, irgendwie fahl und kraftlos, die Menschen sollten doch friedlich zusammensitzen, anstatt sich die Köpfe einzuschlagen. Aber das hört man ja schon gar nicht mehr richtig, längst schon hat sich die Erzählung des zerbrochenen Helden bemächtigt. Und ihn zum ewigen Nachleben in die Gehirne der Menschheit geredet. Wohlan, von da an gilt's dem Krieg. Sehenswert!

 

 

Veröffentlicht am: 29.01.2016

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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