"Allsympathien" in der Milchstraße 4

Sie wollen uns erzählen, in der schönsten Nische

von Michael Wüst

Phillip Messner: Panos Mylonas. Foto: Michael Wüst

Schon von Weitem war in der Milchstraße in Haidhausen eine Menschentraube zu sehen, vor dem Ausstellungsraum, der viel zu klein war, die Leute zu fassen. Man ging also einzeln und respektvoll hinein, die Objekte behielten ihre Aura, sich in Stille zu entfalten. Phillip Messner, der bei Michelangelo Pistoletto in Wien studiert hat und Nick Bötticher, Meisterschüler des hiesigen Olaf Metzel, haben das liebenswürdige Projekt mit acht Kollegen initiiert.

Ein unentdeckter Raum. Das weckt Erinnerungen an kindliche Traumwelt. An geheimes Seeleneigentum. Wem wäre schon je dieser Raum einer ehemaligen Bäckerei aufgefallen? Es ist ein Kunstgriff allein, die Stadt dazu bewegen, eine Nische zu öffnen. Und das gelang leicht, unprätentiös, ohne jeden aufgesetzten Schick.

Daniel Knorr: Vogelkäfig. Foto: Michael Wüst

Schon der nackte Raum macht ja seine Angebote. Scharten, abgeplatzter Putz mit seinen imaginären Geografien, Nägel, Reste von Klebstoff. An der Rückwand hüpfen immer noch die Doppelklebeband-Spuren eines entfernten runden Exponats wie die Abdrücke von Hasenläufen im Kreis. Rechts geht über einen Tritt eine Tür ins Nichts. Zumindest ist sie nicht zu öffnen.

Zwei Metallarbeiten spannen eine Diagonale auf. Vor der Tür ins Bäckereinichts hängt ein zugeschweißter Vogelkäfig herab. Ein starkes Ausrufezeichen erstickter Stille von Daniel Knorr, ebenso Meisterschüler von Olaf Metzel. Ein Auftakt zum Schweigen, könnte man meinen. Schräg gegenüber der archaisch attisch wirkende Helm von Panos Mylonas, auf einem Stativ wie auf einer Pike. Einen Blick weiter nach links sehen wir an die Wand geklebte Spiegel, die die Form eines Pferdezuggeschirrs, eines Kummets beschreiben. Die einzelnen Spiegel unterscheiden sich leicht und haben so etwas wie den Duktus einer Nachricht. Die Arbeit ist von Phillip Messner.

Nick Bötticher: I don´t love you anymore. Foto: Michael Wüst

 

Die archaische Atmosphäre dieser Objekte, die den Raum irgendwie zu begründen scheinen, wird ironisch konterkariert von etwas wie einer kubischen Katze von Wolfgang Stehle mit einem Tinnef-artigen Schmuck, der ihr die Augen macht, und einem Bild auf idyllischem Rotkelchen-Postament von Endy Hupperich. Hinter einem mit Kreppband böse geklebten Selfie dräut schemenhaft ein Hund, der aus einem unwirklichen Violett aufzutauchen scheint. Ironisch bis bösartig. In diesem spielerischen Konflikt gedeihen Fragen von Liebe und Enttäuschung. Nick Bötticher hat vor die Tür ins Nichts einen Blumenstrauß gestellt, aus den Packungen von Drehtabaken geformt. Ein Strauß der Destruktion mit gutem Ausgang: „I don´t love you anymore“. Silja Addy, die bei Gerhard Winner studiert hat, hängt einen schwarzen Schleier, in den ein Gedicht von Idea Vilarino verborgen eingelasert ist: „It defeats me and I defeat it“. Lorena Herrera-Rashiol stellt einen Zweig, auf dem Eisschirmchen stehen, in die Höhe. Über solche Anmut möchte man eigentlich den Raum verlassen, hinaus schweben. Doch da gibt es noch das Thema Gießharz. Nevin Aladag, ebenfalls Meisterschülerin Olaf Metzels, berichtet von vermeintlichen Wandbesteigungen mit ihren inversiven Bolderabdrücken von Knie und Ellbogen. Der fröhlich farbige Knubbel an der Wand ist also nicht der Haltegriff für den Kletterer, sondern er ist die Spur, die hinterlassen hat. Eine tolle Idee, ein tolles Bild des Verschwindens.

Am Schluss kommen wir zum Schaufenster. Dort hat Ulrich Hakel eine Charge Simpson-Clown-Abgüsse postiert. Ein bisschen fürchtet man die Clowns. Aber wir sind wieder draußen und schütteln den Kopf. Respekt, besser geht skulpturale Erzählung nicht!

Milchstraße 4, Öffnung auf Anfrage unter 0160 / 962243430 oder 0157 / 55096177. Bis 31. August 2014.

Veröffentlicht am: 27.08.2014

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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