Ars Vitalis im Münchner Lustspielhaus

von Michael Wüst

Peter Wilmans, Klaus Huber Foto: Ars Vitalis

„Wir segeln in Shanties auf hoher See, wir singen in Luftschiffen windige Lieder“, so klang es schon von fern, achtern voraus. Ars Vitalis, die Luftikusse aus Leverkusen machten Halt im Münchner Lustspielhaus auf ihrem Törn durch die Fährnisse des poetischen Alltags.

Da waren sie wieder, die drei kosmischen Vögel. Peter Wilmans, Klaus Huber und Buddy Sacher. Ja, kosmisch. Selbstverständlich ist das kein Druckfehler, sondern Beleg, wenn nicht gar Indiz: die minimale Veränderung durch nur einen Buchstaben, bezeugt doch gerade die ständige komische Nähe zum Paralleluniversum des kosmischen Unsinns! Kenner des dadaistischen Grenzganges reden hier von der Hülsenbeckschen Unschärferelation. Und Kenner von Ars Vitalis wissen, dass diese drei kosmischen Vögel wissen wovon sie reden. Zum Beispiel der berüchtigt präzise Buddy Sacher: „Ich möchte zu besagtem Text etwas sagen, weil ich ihn ja spreche.“ Ein Genuss für Freunde der korrekten Moderation.

 

Von ungefähr kommt ja auch nicht die Gemessenheit des Auftritts, bewegen sich doch die drei ständig auf den scharf gespannten Demarkationsseilen zwischen Fug und Unfug, über gähnenden Tiefen des Burlesken und Erotischen. Klaus Huber stürzt da auch einmal tief hinein zwischen zwei Liedern: er gibt eine Heuschobergeschichte zum Besten. Es schwant einem Unrat! Dort habe er ein altes, vergilbtes Schlagzeug gefunden. Ein Mädchen mit einem Stofftier zwischen den Beinen auf einer Schaukel…Ach Gott! Peter Wilmans unterbricht. Klaus Huber steckt (wieder einmal) zurück. Er erinnert kurz an den späten Bela Lugosi.

Von misstrauisch tastendem Sinn geprägt ist grundsätzlich der Musiker-Gang zu den Instrumenten, diesen Sirenen an den Toren höllischen Unfugs. Man weiß um die dionysischen Gefahren. Als vertrauensbildende Maßnahme mag gewertet werden, dass man sich für dieses aktuelle Programm „Wir machen Musik“ neue Zweireiher-Anzüge gekauft hat, Einstecktücher und rote Kravatten. Wenn schon danebenliegen, dann aber gediegen!

Zunächst allerdings verstört das neue Programm den alten Fan schon im Bühnenbild. Wo ist denn der Lappen? Der Lappen, das braune, rissige, mit allem möglichen Glump, Ästen und Instrumenten perforierte Tuch, von jeher das Dach, der Schirm und Schutz - war weg! Keine Fußschalter für grünes Bürolicht von unten, keiner für weißes! Keine Theaterelemente! Das Credo aller Ars-Vitalis-Programme war nämlich gewesen die „Muzik als Theater“. Die verschiedenen Theaterräume für die Muzik bisher waren Himmel, Erde, Wasser, Wolken, Telefonzellen usw. gewesen. Für das Musik-Programm „Wir machen Musik“ (da geht Euch der Hut hoch) sollte es jedoch keinen theatralischen Rahmen mehr geben. Der Lappen musste weg. Auch die alten Anzüge. Klaus Huber war ja seiner über die Jahre dramatisch eng geworden, die mit Gaffer-Tape kaschierten Aufplatzungen waren nicht mehr zu verbergen gewesen.

Reine Musik? Naja, nicht wirklich. Irgendwann in der ersten Hälfte tritt Klaus Huber nach vorne, erfüllt von heiligem Zorn und Schmerz: VATRRR!!! MAMMRRR!!!SACKZAMANT!!! Ein solcher Ausbruch war zu diesem Zeitpunkt für das Publikum durchaus nachvollziehbar. Zu oft war er mit zwei Handfegern in den Händen hinter dem Schlagzeug gestanden und hatte vergebens auf Einsätze gewartet, während die Kollegen sich beschimpften, vielleicht auch beboppten, bescatteten oder behoppsten.

Nein, keine reine Musik. Obwohl man den Abend wahrscheinlich in Reinheit eröffnen wollte. Zu Beginn herrscht noch die apollinische Festlichkeit feiner Kammermusik: Klaus Huber, mit resignativer Beherrschtheit am Tenorhorn, Buddy Sacher, entrückt, aber genau, an der spanischen Gitarre und Peter Wilmans, eine Spur zu professionell arrogant am Sopransaxofon intonieren recht sauber eine musikalische Kleinode namens „Aufgestanden“ , die stark an eine bekannte DDR-Melodie von Hanns Eisler erinnert. Kann man machen. Im Publikum macht sich Brizzeln im Bereich der Nasenwurzel breit.

Völlig unmotiviert, die Schleusen herausplatzender Komik brechend, dann der Übergang zu einem fürchterlich krautrockigen Gefühlsfusel à la Rio Reiser mit der schlagenden Textlinie: Im Ford Transiiiiiit, da gingst du miiiiit! Peter Wilmans, der sich im Lauf des Abends auch als überzuckerter Conferencier-„ an der Perküssion“- herausstellt, gibt ein Saxofonsolo von schmierigster Rock-Emotion, das er am Schluss überführt in beste Multiphonics der Marke Pharao Sanders. Well Done! Das ging nochmal gut – und zwar sehr gut.

„Wir segeln in Shantys auf hoher See, wir singen in Luftschiffen windige Lieder“. Ars Vitalis hatte in München wieder mal fest gemacht. Es war ein Fest!

Veröffentlicht am: 22.02.2011

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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