Cuqui Jerez, "Berlin" und Katarzyna Kozyra bei Spielart

Abseilmanöver mit Möhre

von Michael Weiser

Jerusalem-Videoperformance. Foto: Gael Maleux / Spielart

Viel Film beim Festival Spielart: Wer wollte, konnte bei Cuqui Jerez' Performance "Dream Project", bei der Videoperformance  "Jerusalem. Holocene 1 revisited" der Künstlergruppe Berlin und am Abend im Ampere etwa bei "Looking for Jesus" ordentlich auf die Leinwand gucken. Allerdings mit begrenztem Erkenntnisgewinn. Wahnsinn: Ich ertappe mich dabei, wie ich gebannt auf eine Möhre starre, die von der Decke an einem dünnen Faden herabschwebt. Ist andererseits auch kein Wunder, dass mich derlei mittlerweile fesselt, bei all der gesammelten Ereignislosigkeit zuvor. Eine halbe Stunde lang hat man da ein Video angeschaut, eine Kamera, fix gerichtet auf einen denkbar unspektakulären Platz. Der Höhepunkt ist nach etwa 25 Minuten erreicht, als ein Mann die Kamera entdeckt und auf sie zusteuert. Er stellt aber nur ein paar freundliche Fragen.

Danach reduziertestes Treiben der Gegenstände im echten Studioraum des Muffatwerks: Zwölf Verlängerungskabel etwa, die mit großem Aufwand aneinander gehängt, den Strom für eine kleine LED-Lichterkette liefern. Bis Kabel und Kette hinter den schwarzen Vorhang an der Rückwand gezogen werden. Ein Trockeneisnebel versprühender Koffer wird durch den Raum gezogen, Ventilatoren verquirlen den Nebel, Murmeln werden unter der Vorhangkante in den Raum gerollt, eine Möhre seilt sich von der Decke ab, mit Farbe gefüllte Volvic-Flaschen laufen aus und malen Muster auf den Boden. Das mittlerweile unterbeschäftigte Denkorgan versucht, eine Methode zu erkennen - und stellt immerhin fest, dass die pathetische Stierkampfmusik und dieses Minimaltheater komisch kontrastieren.

Am Ende soll noch eine Kugel über eine schiefe Ebene hinunterrollen. Tut sie aber nicht. Die Performerin sagt: "Hm, hat nicht funktioniert." Man wollte ihr recht geben.

Das Gegenteil davon anschließend im Werkraum der Kammerspiele. "Berlin" bringen eine Videoperformance in den kargen Raum, die den Titel "Jerusalem. Holocene 1 revisited" hat. Auf dem großen Dreifachbildschirm ist ein Dokumentarfilm zu sehen, den links und rechts Menschen kommentieren. Es geht mit manchmal atemberaubenden Bildern um eine Stadt, die weit mehr ist als eine Ansammlung von Häusern und Menschen, um das Zusammenleben der  Religionen - und irgendwann um die nicht enden wollenden Konflikte, die auch der Bau der Mauer zum Westjordanland nur verdrängt, aber nicht löst. Und so, wie die Kommentatoren sich nur links und rechts vom großen Bildschirm zu Wort melden, schießen die Verhandlungspartner nur Worte von hüben nach drüben und umgekehrt, ohne wirklich miteinander zu reden.

So weit so gut; allerdings kommt das Ganze zu geschniegelt rüber, mit perfekt atmosphärischer Livemusik von Eric Thielemanns (Percussion), Katelijn van Kerckhoven (Cello), Tristan Driessens (Ud) und Peter van Laerhoven (Gitarre). Es fehlte an den Brüchen, die ernsthaftes Interesse geweckt hätten, unter die glänzende Oberfläche zu schauen. Außerdem nervte die subtile Botschaft, die auch der smarte Rabbi Mike Swirsky mit traurigem Blick verbreitete: Mit den Palästinensern sei nun mal kein vernünftiges Reden möglich. Die Palästinenser haben Israel terrorisiert, keine Frage. Aber den israelischen Terror während des Unabhängigkeitskrieges und die vielen illegalen Siedlungen sollte man nicht banalisieren.

Bleiben wir beim Wahnsinn in Israel und schlendern wir ins Ampere. Dort zeigte Katarzyna Kozyra unter dem Titel "Looking for Jesus" Filmmitbringsel aus Jerusalem und vom Toten Meer. Da ist sie zu sehen, wie sie dem Jerusalem-Syndrom nachforscht. Das ist ganz zu Beginn witzig, man ahnt, was religiöse Verzückung in den Hirnen der Menschen anrichten kann - auf einmal halten sie sich für Jesus. Andererseits: Das Phänomen ist nicht unbedingt neu. Die Arbeit sei schwierig gewesen, sagte Kozyra, auch, weil Interviews wegen der Einwände von Therapeuten nicht verarbeitet werden durften. Am spannendsten ist der Mann zu Beginn, der eine jüdische Großmutter hat, als Katholik erzogen wurde und zum Islam konvertierte. Danach wird "Looking for Jesus" zur Freak-Show. Und weil auch die Diskussion nicht viel Erhellendes brachte, ging ich ein Türchen weiter, einen Blick auf die zweite Hälfte von "Dementia, or the day of my great happiness" vom Proton Theatre aus Budapest zu wagen. Eine Kritik verbietet sich, wegen des verspäteten Kommens. Aber ein Eindruck sei berichtet: Der wahre Wahnsinn ging wohl bei den Ungarn ab.

Veröffentlicht am: 22.11.2013

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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