Spielart-Auftakt mit "Mystery Magnet" von Miet Warlop im Carl Orff-Saal

Widerstand ist zwecklos - die Comic-Behörde des Absurden vollstreckt

von Michael Wüst

Wo geht´s hier bitte zum Bahnhof? Foto: Reinout Hiel

Das Programm des Spielart-Festivals weist bei „Mystery Magnet“ von Miet Warlop im Carl Orff-Saal darauf hin, dass bei der Performance der bildenden Künstlerin aus Belgien Sprachkenntnisse nicht erforderlich sind. Ein Vorteil sprachlosen Theaters, ohne Zweifel. Doch gerade darüber nachzudenken, ob ihre opulent popartigen Bilder den Weg über die Sprache beim Zuschauer suchen müssen, um verstanden werden, oder ungefiltert eindringen können, das machte einen Reiz dieser Performance aus.

Sehr dicker Mann liegt bäuchlings, mittig auf der Bühne, sein Kopf weist in die Mitte einer weißen Stellwand, dazu gibt es tiefe viszerale Beats. Gleichmäßig hell. Das könnte durchaus der Beginn eines absurden Theaters à la Arrabal oder Ionesco sein.

Umso mehr, als das Hereinbringen der zweiten Figur, eines weiblichen Wesens, das an grünen, fliegenden Kissen, die an einem Faden um den Hals gebunden sind, im Zustand einer (Er)Hängung präsentiert erscheint. Haare verdecken ein halb abgewandtes Gesicht. Ein starkes Bild, alterierend zwischen Kaufhausschaufenster und Hinrichtung. Eine Pietà des Konsums. Daneben ein dicker Mann mit kleinem, fragenden Kopf, frei von Sprachkenntnissen. Nun erscheint ein weiterer Körper rückwärts tippelnd auf High Heels, mit gebeugtem Oberkörper, ein schwarzer Schwanz überdeckt die nackte Zentaurenkruppe. Das weibliche Wesen mit den grünen Kissen besteigt dieses Pferd, ein langer goldener Mantel fällt über den Zentaurenhintern und so entsteht eine Riesin. Die Beine des Pferdes werden zu ihren. Ein Schelm, wer da nicht sprachlich assoziativ den Weg der Erotik gegangen wäre. Außer eben der dicke Mann, der versteht nur Bahnhof.

Doch nun übernehmen Comic-Trickster die Szene. Neonfarbene Wollknäuelköpfe zerlegen stoisch und schmerzfrei sich selbst und jeden Sinnansatz. Mit geradezu behördlicher Sicherheit organisieren sie farbenfrohen Schwachsinn. Ein nicht nachzuvollziehender Auftrag lässt sie ein Gemälde des Chaos anrichten. Die Wollköpfe, in Farbe getaucht, schleudern Dripping-Spuren an die weiße Stellwand, Riesenhosen ohne Oberkörper wie Comic-Pantalones von Chirico tapern über die Bühne, bepissen den dicken Mann mit dem fragenden Kopf und die Wand. Baumarktfreude kommt auf. In überzeugter „Ich bin doch nicht Blöd“-Haltung zersägt man sich, schreddert sich, Flüssigkeiten treten aus, nierenähnliches oder Fischroggen fallen aus geschlitzten Körpern.

In einer ruhigen Sekunde regnet es hunderte von Dartpfeilen über die Stellwand herüber in den Bühnenboden, verschiedenes Gerät kracht durch die Stellwand, Plastikschaum-Molotovs spritzen bis hoch an die Decke und ein blauer Heliumhai bricht sich Bahn und schwimmt ebenfalls bis ganz nach oben. Die Comic-Behörde des Absurden vollstreckt, jeder Widerspruch ist sinnlos. Am Schluss öffnet sich die Stellwand und präsentiert einen digitalen Chorgesang von Trockenhauben, die an ausgeweidete Nonnen erinnern. Dahinter befördert ein Gebläse Wollfäden in den Publikumsraum. Mögen die Zuschauer sie benutzen als semantische Elemente, um Gespräche zu beginnen oder ein Getränk zu bestellen.

Veröffentlicht am: 16.11.2013

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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