Floex, Poppy Ackroyd und John Lemke im Feierwerk/Sunny Red

Gedämpft, gedimmt und leicht verwaschen

von kulturvollzug

Getüddelte Grundgerüste: Die feenhafte Poppy Ackroyd wirkte bisweilen leicht verloren. Foto: Kat Gollock

Alternative zum 30-Seconds-To-Mars-Konzert in der Olympiahalle: Sich im Sunny Red einkellern, den Herbststurm aussperren und drei Acts lauschen, die vom Label Denovali Records auf Tour geschickt wurden – und nahezu unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung auftreten: John Lemke mit Elektronik, Poppy Ackroyd mit Ambient-Klassik, und Floex mit klarinetten-verliebter Symbiose aus beidem.

Wohnzimmerlich ist's, wie meist im Sunny Red, keine fünfzig Leute, allseits Hemmungen, laut zu plappern. Denn heute Abend will heute andächtig gelauscht werden. Zudem könnte man durchaus den Übergang von der Pausenmusik zum ersten Act verpassen: John Lemke, Glasgower mit Berliner Wurzeln, die für ein perfektes Deutsch seiner schüchternen Ansagen sorgen. Denn Lemke schichtet in seinem Set anfangs nur zögerlich Spur auf Spur, entzieht seinen Stimmgabeln Sinustöne und oktaviert sie bis tief in die Magengrube, fügt sehr spät Beats hinzu, um Spannung auf- und einen Klangraum zu erbauen, in dem seine Melodica-Melodien geradezu thronen. So schön gleichmäßig sind Lemkes – Four Tet nicht unähnlichen – Kompositionen aufgebaut, dass man bald schon weiß, wann die Songs jeweils in einen neuen Part münden – umso abrupter enden sie jedoch.

In dem Klanggewebe muss man durchaus wühlen, konzentriert mit den Ohrenspitzen hineintasten: Lemke spielt viele seiner verwendeten Samples in diversen Räumen ab und zeichnet sie nochmal auf: Worldizing nennt sich das Konzept dieses Abbildens-der-Abbildung und verleiht den Sounds eine organische Räumlichkeit, raubt ihnen Greifbarkeit und Klangqualität. Diesen Low- bis Mid-Fi-Elementen fügt Lemke noch verwaschene Bassspuren hinzu. Eine wunderbar samtige Absage an Hochglanzklänge mit ihren messerschaften Kanten. Ausnahmsweise hat die grattlige Soundanlage im Sunny Red ihr Gutes.

Poppy Ackroyd macht es einem nicht leicht. Einerseits ist es fazinierend, die feenhafte Britin mit Amy-Winehouse-Gedächtnis-Bienenkorb-Frisur dabei zu beobachten, wie sie über ihrem E-Piano hängt und regelmäßig in den Raum staunt, als sei sie selber ganz verdutzt davon, was gerade vor sich geht. Oder wie ihre Hände nach dem Anschlagen eines Akkords noch über den Tasten kreisen, als würde Ackroyd den Nachklang ertasten oder die Luft voller Klangpartikel auspendeln.

Andererseits findet sich auch in ihrer Musik, woran ambient-orientierte Neo-Klassik häufig krankt: Trotz allen Musikstudiums besteht vieles aus getüddelten Arpeggii, Grundgerüsten für Improvisationen. Selten Bewegung nach links und rechts, nach oben und unten, kein Sprung, keine Wendung und keine Gegensätze. Wären die Pianoklänge nicht mit Delays und umgekehrten Reverbs angereichert, und wüsste Ackroyd nicht, die Klänge ihrer Geige zu loopen und liebevoll auf schüchterne Beats zu stapeln, es bliebe nicht viel Eigensinniges, wie beispielsweise bei Volker Bertelmann aka Hauschka. Was aber dringend nötig ist, gerade wenn Ackroyd nicht gerade in einem plüschigen Setting mit famoser Lightshow spielt, sondern in einer Punkerklitsche mit nicht mehr als vier bunten Glühbirnen, und auch ohne ihre Londoner Stammband Hidden Orchestra, mit der ihr Spiel logischerweise nicht so isoliert steht.

Der Tscheche Tomáš Dvořák hingegen brachte die Band mit, zu der sein Solo-Projekt Floex mittlerweile angewachsen ist: Die Bassklarinette verantwortet auf ungewohnte Weise den tieffrequenten Bereich, das Drumming birst vor Details, und bei den Non-Instrumental-Kompositionen kommt Sára Vondráškovás Gesang hinzu: Eine Stimme, die sich mehr als nur eine Nacht im Leben die Seele aus dem Leib geschrien hat, das Herz gebrochen, die Rotweinflasche geleert. "Gone" von der aktuellen EP wird so zur Gänsehauterzeuger-Elegie, eiskalt und so elegant wie stille Moloko, so kratzbürstig wie Röyksopp.

Aber vielleicht macht auch die Reduziertheit dieser Tour den Tschechen ein wenig Angst: Aller gewohnten Lightshows, Projektionen, Installationen und Kostümierungen beraubt, bleibt nur noch die nackte Musik. Die funktioniert, jazzt und ist tanzbar. Aber nichts mehr, wohinter Floex sich verstecken können. Der als Komponist und Soundtüftler preisgekrönte Bandleader zappelt nerdig, lacht, radebricht auf Englisch seine Ansagen zusammen, lacht wieder und presst zappelnd seinen Gerätschaften einen kakophonischen Exkurs ab – verlässt aber  Showmaster-unlike und so schüchtern wie seine Kollegin die Bühne.

Es ist schon so eine Sache mit dem spartanisch eingerichtetem Wohnzimmer und moderner Hausmusik. Aber gut, ein bisschen Wärme generiert zu haben und mitheimzunehmen: Denn draußen hat der Sturm, der in dieser Nacht durch die herbstlaubpampigen Straßen Münchens pfeift, nochmal angezogen.

Marko Pfingsttag

Veröffentlicht am: 12.11.2013

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