Impressionen vom Klangfest 2013 (II)

Neu, elektrisierend - ein folkloristisches Klangfest

von Michael Wüst

Jazz-Highlight: die Monika Roscher Big Band (Foto: Michael Wüst)

Dolomitenschönheiten, Dialektpotenzen und Klänge zu denen man nicht Auto fahren sollte: In den drei Sälen des Gasteigs, Carl-Orff-Saal, Black Box, kleiner Konzertsaal, sowie auf der Open Air Bühne des Klangfests waren 32 Bands als Vertreter ihrer im Foyer aufgebauten Labels zu bewundern. Die Höhepunkte: Unterbiberger Hofmusik und Monika Roscher Big Band.

Der Carl-Orff-Saal mit seinen über 500 Plätzen stand hauptsächlich im Zeichen des Jazz, es moderierte wie die letzten Jahre Christiane Böhnke-Geisse, die Programmchefin der Unterfahrt.

Auf der Open Air Bühne herrschte Reggae, Raga, Dub vor, deutlich durchbrochen von der bayerisch-türkischen Freundschaft der „Unterbiberger Hofmusik“. In der Black Box und dem kleinen Konzertsaal gab es jeweils eine bunte Mischung mit Liedermachern, Kleinkünstlern und auch Shows für Kinder.

Um 15 Uhr ging es los auf der Open Air Bühne. „Mista Wicked & Riddim Disasta“ signalisiert im Bandnamen die Eindeutigkeit seines Produkts. Da kam also solider Reggae daher, und zwar auf bayerisch. Wahrscheinlich eignet sich kaum ein anderer Dialekt besser, diese im jamaikanischen Patois gesungene Musik zu repräsentieren. Das wissen wir seit über 15 Jahren von Hans Söllner und seinen „Bayerman Vibration“. Auf der weißen Couch der Medienlounge danach befragt, warum er nicht etwa auch auf englisch singen würde, antwortete Herr Wicked, er könne eigentlich nur boarisch. Ah ja.

In the Country auf der Mediencouch (Foto: Michael Wüst)

Wenig später im Carl-Orff-Saal, das „Tizian Jost Trio“ mit Andreas Kurz am Kontrabass und Matthias Gmelin am Schlagzeug. Die Ende April dieses Jahres veröffentlichte CD „United in the big Blue“ war noch vom Enja-Records-Mitbegründer Horst Weber, der vor einem Jahr von uns gegangen ist, auf den Weg gebracht worden, was im Nachhinein wohl auch den Titel der CD erklärt. Melodiös, klassisch, die goldenen Jahre des Jazz aufgreifend, gelingen feine Stücke in südamerikanischem Feeling und  mit „Room 76“ dann auch eines im typischen Monk-Duktus, für den Tizian Jost den Münchnern ja wohlbekannt ist.

Nicht versäumen durfte man die „Unterbiberger Hofmusik“, die sich danach auf der Open Air Bühne bereit machte, ihre bayerisch-türkische Freundschaft zu feiern, um damit ein weiteres Mal dem staunenden Münchner Kulturflaneur vorzuführen, wie völkerverbindend das in München selbst doch eher dezente Bairisch ist. Franz Josef Himpsl, der Ahn seiner vierköpfig musizierenden Familie, unterließ in witzigen Moderationen nicht, darauf hinzuweisen, wie klanglich verwandt Türkisch und Bairisch wären. Um das zu unterstreichen, machte er einige Ansagen in ziemlich fließend wirkendem türkisch und einige Menschen nickten auch.

Wäre jetzt noch Konstantin Wecker mit seinem ehemals bayerisch-afrikanischen Chorprojekt und dem Lied „Gamsi“ dagewesen, manch linguistischer Phonetiker wäre völlig berauscht gewesen von der Amalgamierungspotenz unseres Dialekts mit anderen. Musikalisch stellte sich das dar mit viermal sauberem Blech, inklusive Gast Mathias Götz an der Posaune. Gast und Botschafter war auch der Oudspieler Seref Dalyaloglu. Zwiefaches konkurrierte mit „Trifachem“, „4 gegen 3“ erzeugte Groovefolklore.

Wuseln und wechseln: Fei scho (Foto: Michael Wüst)

Alpine Volksmusik mit „Fei Scho“, in ihrer neuen Formation um die Gründungsmitglieder Anschi Hacklinger (Kontrabass, Melodika, Gesang) und Martin Lidl (Gitarren, Percussion, Gesang) rundete das Bild eines recht folkloristischen Klangfestes ab. Im Carl-Orff-Saal gesellten sich die neuen Mitglieder Helmut Sinz (Akkordeon, Gesang), Robert Alonso (Trompete, Tenorhorn, Gesang) und Schorsch Karrer (Percussion, Marimbaphon) zu wunderbar leuchtenden Liedern, wie dem „Weltensprungjodler“. Schorsch Karrer wuselte eilfertig und sehr effektiv zwischen verschiedenster Percussion und  Marimbaphon, Anschi Hacklinger wechselte vom gestrichenen Kontrabass zum „traurigsten Instrument der Welt“ (Martin Lidl), der Harmonika. Mit sauberem, mehrstimmigen Gesang erglühte Dolomitenschönheit. Ein Hauch von Laurins Rosengarten.

So weit, so deskriptiv. Ganz und gar deskriptiv zeigte sich anschließend das norwegische Trio „In the Country“, wiederum im Carl-Orff-Saal. Mit massivem Ästhetizismus mag sich das für manchen vom „Norway of Jazz“ zu einem No Way entwickelt haben. In tiefster Inbrunst und mit großem Pathos erarbeitete Morton Qvuenild in insistierenden loopartigen Beschwörungen einen musikalischen Weg, der Aufstieg, Klimax, Orgasmus suggerieren mochte. Pal Hausken saß wie ein Weberknecht an einem bombastisch verstärkten Schlagzeug, das ihm bei der geringsten falschen Bewegung um die Ohren zu fliegen drohte. So spielte er längst nicht nur mit dem Aufschlagen von Besen auf die Felle, allein das Wegziehen davon machte schon genügend Sound. Bassist Roger Arntzen beschränkte sich auf einfachste Zutaten. Dazu lief ein Video mit vorbeiziehender Landschaft, das auch als Auftakt für eine mystisch verklärte Autowerbung hätte dienen können.

Komplett anders im gesamten Denkansatz, die „Monika Roscher Big Band“. Allerdings lange, lange mussten die Münchner auf das Highlight des Abends warten! Nach einer guten dreiviertel Stunde begannen die Kreuz- und Hüftgeplagten unruhig von einem Bein auf das andere zu wechseln, erstes Einsetzen von Alexandertechnik wurde beobachtet. Tanzte da nicht eine schon die fünf Tibeter? Dann endlich hinein. Man konnte gleich sehen, dass die Techniker eine gewaltige Leistung vollbracht hatten. Mikros bei jedem Bläser, Elektronik, die Bandleaderin an der E-Gitarre.

Sie dirigierte mit harten Schlägen, trieb ein Klangfließband unerbittlich voran. Hohe, metallische Voicings, Flöten und Blech in Clustern und hohen Dissonanzen. Sich dekonstruierende Filmmusik nicht existierender Filme brach auseinander und ließ ein Mädchen mit Zorromaske übrig, das einen Popsong über die Wüste anstimmte, bevor die Klangmaschine wieder ihr Werk aufnahm. Neu, elektrisierend! Klänge, die sich synästhetischen Lektürepraxen versperren. Klänge, die sich zuneigen im Zuge ihrer selbst veranlassten Dekonstruktion. Klänge zu denen man nicht Auto fahren sollte. Monika Roscher Big Band, das war – Klangfest.

 

Veröffentlicht am: 20.05.2013

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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