Münchner Widerstand vor 70 Jahren

Die "Weiße Rose" nebenan - Pechschwarze Parolen des Widerstands auf dem Schulweg

von kulturvollzug

Zur Erinnerung an die Mitglieder der "Weißen Rose" sind Keramikkacheln, die Flugblätter zeigen, in den Geschwister-Scholl-Platz in München eingelassen (Foto: Archiv ama)

Im Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl von der Gestapo verhaftet und nur wenige Monate später enthauptet. Die Atmosphäre in der Stadt hat unser Autor Karl Stankiewitz damals als kleiner Junge erlebt. Eine Erinnerung.

Das Jahr 1943 brachte der Stadt München und ihren knapp 900.000 Bewohnern folgenschwere Ereignisse. Am 4. Februar rief der Studentenkreis der „Weißen Rose“ zum Widerstand. Am 18. Februar verkündete Propagandaminister Goebbels den „totalen Krieg“. Es folgte ein totaler Bombenkrieg, der große Teile der Infrastruktur, aber auch der gebauten Kultur in der „Hauptstadt der Bewegung“ zerstörte. Karl Stankiewitz, Jahrgang 1928, hat das jetzt sieben Jahrzehnte zurückliegende Drama unmittelbar miterlebt. Kulturvollzug bringt seine Erinnerungen in zwei Folgen. Sie basieren im wesentlichen auf seinem Buch „Eine Jugend in München. 1939 bis 1949“, das soeben im pazifistischen Gerhard Hess Verlag erschienen ist und das Alt-OB Hans-Jochen Vogel, Jahrgang 1926, im Geleitwort besonders den nach 1945 Geborenen empfiehlt, denn sie hätten „zunehmend von dem, was damals geschah, keine Vorstellung mehr“

Das Albertinum in der Karmelitergasse, hervorgegangen aus einem „Kgl. Erziehungsinstitut für Studierende“,  war eine schon 1574 gegründete katholische Institution, dem Erzbischöflichen Ordinariat unterstellt und diesem auch räumlich nahe. Doch der Wandel zu einer anderen weltanschaulichen Führung war auch hier unverkennbar. Die Konfession spielte jetzt bei der Aufnahme keine Rolle mehr, nur noch die „deutschblütige Abstammung“ und die „Unverdorbenheit der Gesinnung“. Ich war 14 Jahre alt, weltanschaulich noch unverdorben und stolzes Mitglied der Marine-HJ, die eine besonders fesche Uniform und in Starnberg einen Kutter hatte.

Der Autor als Knabe in Marineuniform (Foto: privat)

Im stark zunehmenden Bombenhagel wurde die dunkle Gymnasiasten-Klosterburg so schwer getroffen, dass wir Albertiner in das Blindeninstitut an der Ludwigstraße umquartiert wurden. Die blinden Kinder dort waren aufs Land evakuiert worden. Uns steckte man in riesengroße Schlaf- und Aufenthaltsräume, die hoch oben winzige Fenster hatten und mit lehrhaften Tierpräparaten vollgestopft waren. Der „Präfekt“ war inzwischen ein widerlicher Nazi, der nur noch in der braunen Uniform des „politischen Leiters“ herumstolzierte, politische Durchhalteparolen verkündete und uns zum Anhören sämtlicher Naziführer-Reden verdammte. „Defätisten“, die etwa nach Stalingrad kritische Fragen stellten, belehrte er mit Ohrfeigen. Oder drohte sogar mit „Dachau“ – für uns ein vager, unheimlicher Begriff. Gefallen konnte diesem NS-Pädagogen andererseits, dass der eigentliche Hausherr, Michael Kardinal Faulhaber, am 9. März in einer Predigt die Parole ausgab: „Der Staat hat das Recht, Steuern zu erheben und Opfer an Gut und Blut zu fordern zur Verteidigung des Vaterlandes.“ Sechs Wochen später freilich sah sich Münchens Oberhirte genötigt, gegen den Massenmord an den europäischen Juden ein Wort einzulegen.

Dergleichen Proteste erreichten unsereiner nicht. Doch ein anderes, schicksalhaftes Ereignis blieb nicht verborgen. Kaum nämlich waren wir ausgebombten „Zöglinge“ in das Gebäude mit den beiden Rundportalen an der Ludwigstraße eingezogen, da passierte - in unmittelbarer Nachbarschaft – Ungeheuerliches. Am Morgen des 15. Februar, es war kalt und die Kohlezuteilung war gekürzt worden, trauten wir auf dem Weg zur Schule unseren Augen nicht: Auf ockergelben Hauswänden der Ludwigstraße mit schwarzer Pechfarbe geschrieben, war zu lesen: „Nieder mit Hitler“, „Freiheit“ und ähnlich hochgefährliche Aufrufe. Internatsleiter Karrer befahl uns Heiminsassen, weder intern noch gar extern auch nur ein Wort über das Gesehene zu verlieren. Einige der Studenten jedoch, die als Soldaten verwundet worden waren und im Albertinum wohnen durften, erzählten uns im Flüsterton über die kühne Aktion, die so plötzlich unter dem Zeichen der „Weißen Rose“ auftrat. Am 13. Januar, so erfuhren wir, hatte Gauleiter Paul Giesler bei einer Jubiläumsfeier im Deutschen Museum die Studentinnen aufgefordert, „dem Führer jedes Jahr ein Kind zu schenken“, statt zu studieren; die SS könnte mit Männern aushelfen. Protestrufe ertönten im Kongresssaal, einige Studierende schlugen die Türen zu. Ein für diese Zeit ungewöhnlicher Vorgang. Am 2. Februar hatte die 6. Armee in Stalingrad kapituliert, auch das war auf der Tagesordnung der Naziherrscher nicht vorgesehen. Die Katastrophe, die dem Krieg eine deutliche Wende gab, war denn auch Thema des ersten Flugblattes. Erst nach dem Krieg wurde bekannt, dass Sophie und Hans Scholl vom Hausmeister Jakob Schmid beim Abwerfen der Flugblätter beobachtet und festgehalten wurden. Zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilte eine Spruchkammer den Denunzianten; er fühlte sich schuldlos, denn „Unordnung in der Uni – das gibt es nicht,“ sagte er einer Reporterin. Der Judaslohn, vom Gauleiter persönlich überreicht, betrug 3000 Reichsmark. Auch Karrer hat mich nach dem Krieg in einem Schwabinger Café angesprochen und versucht, mir seine nach wie vor verblendete Denkweise nahe zu bringen. Ich war nahe daran, ihm die Watschen von damals zurückzugeben.

Schon drei Wochen nach dem Geschehen konnten wir an allen Litfasssäulen lesen, dass der Volksgerichtshof die Volksverräter zum Tode durch Erhängen verurteilt habe. Es waren nicht die ersten und nicht die letzten Terrorurteile, die auf blutroten Plakaten verkündet wurden wie Siegesmeldungen. Es folgten sieben Prozesse mit 62 Angeklagten, acht zum Teil sofort und mit dem Fallbeil vollstreckte Todesurteile. Ansonsten langjährige Haftstrafen und nur wenige Freisprüche. In der Zeitung mussten wir Internatsschüler seinerzeit Kenntnis nehmen von „charakterlosen Einzelgängern“ und „verworfenen Subjekten“, die nichts Besseres als den Tod verdient hätten. Hochverrat, landesverräterische Feindbegünstigung, Plünderung, Abhören von Feindsendern – derlei Beschuldigungen samt groß plakatierten Todesurteilen häuften sich. Münchens professionelle Henker hatte viel Arbeit. Einmal erschienen an den Wänden die Namen von drei Lehrlingen, die nicht viel älter waren als ich: Walter Klingenbeck, Daniel von Recklinghausen und Erwin Eidel. Sie gehörten der Katholischen Jugend an. Ihre Verbrechen: Sie sollen Geheimsender gebaut und Feindsender gehört, das britische V-Zeichen (für Victory) an Hauswände gemalt und sogar geplant haben, Flugblätter mit einem selbstgebastelten Segelflugzeug über München abzuwerfen. In Stadelheim wurden auch sie hingerichtet.

Karl Stankiewitz

Dazu ist erscheinen vom Autor "Eine Jugend in München 1939 - 1949" mit einem Geleitwort von Hans-Jochen Vogel (Gerhard Hess Verlag, 17,95 Euro)

Veröffentlicht am: 14.02.2013

Andere Artikel aus der Kategorie