Eine Kurzgeschichte von Herbert W. Franke

Freundschaft

von kulturvollzug

Nicht nur körperliche Zustände, auch Geisteshaltungen werden durch Hormone gesteuert. Das Hormon der Mutterliebe ist bekannt – männliche Affen, denen man es eingespritzt hat, verhätscheln Meerschweinchen wie Babys. Hört man mit den Injektionen auf, fressen sie sie. Sicher werden auch Gefühle wie Freundschaft von irgendwelchen physikalisch-chemischen Agenzien reguliert. Sobald man den Mechanismus kennt, lassen sie sich willkürlich beeinflussen. In gewissen Fällen erspart das Gewissenskonflikte.

Von Herbert W. Franke

Franke bei seinen Forschungen in einer Höhle Foto: Archiv HWF

Seit sieben Jahren war ich mit Gerk zusammen. Er war ein Boraner von Bora II. Ein großer, hagerer Bursche, von uns Menschen nicht verschiedener als früher ein Weißer von einem Neger. Ich habe den etwas schüchternen Kerl gern gehabt, er hat einen feinen Humor, eine nette Art, sich über alles Mögliche lustig zu machen, auch über sich selbst.

Sieben Jahre binden. Sie waren nicht immer leicht. Wir waren dreimal drüben in den Quecksilbersümpfen, und einmal haben wir die Kette des Sichelgebirges überquert. Mit drei Biwaks auf den Kalihalden.

Einmal überraschte mich ein Unwetter. Ich suchte Calciumkristalle und war ziemlich weit in die Wüste hinausgegangen. Dann umzog es sich plötzlich. Ganz oben standen die Wolken aus Kaliumionen in ihrem blassen Rot. Und über den Boden kroch gelber Natriumnebel. Wind kam auf und wirbelte gelbe Dampfsäulen empor.

Die Entladungen sind etwas Schaurigschönes. Es sind nicht Blitze wie auf der Erde – es ist, als ob ein Strömen und Gleiten beginne, ein orangenes Leuchten steigt von den Natriumwirbeln empor, ein Pfeifton klingt auf, der in ein Heulen übergeht, ein nervenzermürbendes, schrilles Heulen. Einer grellen Lichterscheinung folgt etwas wie ein Donnerschlag, aber nicht mit tiefen, sondern mit höchsten Tönen.

Diesmal war es besonders arg. Eine Entladung folgte der anderen, es jaulte und krachte ohne Pause. Ich kroch unter einen Bimssteinblock und zitterte, dass ein Wirbel in meine unmittelbare Nähe kommen könnte.

Da hat mich Gerk herausgeholt. Ganz von selbst, die Ionenströme unterbrachen ja jede Funkverbindung. Er setzte sich in den Panzer und fuhr in die Maelström. Ein Wirbel schmolz ihm die Seitenwand weg. Aber er fuhr weiter. Ein Calciumsplitter durchschlug seinen Helm und verletzte ihn über dem Auge. Er fuhr weiter. Er fand mich mit seinem Ortungsgerät.Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Es ist noch nicht ganz geklärt – die Ionen lähmen unsere Muskeln. Gerk trug mich ins Fahrzeug und kehrte zurück zum Bimssteinblock, weil ich dort meinen Fotoapparat liegen lassen hatte. Er wusste, dass dieser mein wertvollstes Stück war. Erst dann lenkte er den Panzer zur Station. Die letzte Strecke musste ich ans Steuer. Ich hatte mich etwas erholt, aber er war am Ende seiner Kräfte. –

Seither hat sich hier viel geändert. Neben der Station ist eine kleine Stadt aus dem Boden geschossen. Menschen sind in ihr und Boraner. Auf diesem entlegenen Planeten haben wir uns immer gut vertragen. Doch seit heute ist Krieg zwischen uns. Die Stadt wird evakuiert.

Es ist klar, dass wir unsere Freundschaft nicht beibehalten konnten. Wir gingen in die psychologische Klinik und ließen uns behandeln. Die Negatronenstrahler brachten es rasch in Ordnung. Man kann die Bänder sehr genau einstellen.

Wir saßen uns gegenüber und beobachteten uns. Äußerlich änderte sich nichts. Da drüben saß der Boraner, mit dem ich an den Quecksilbersümpfen gestanden war, den ich in den Sichelbergen am Seil geführt hatte, der mich aus den Ionenwirbeln geholt hatte. Aber irgendwo innen wandelte sich etwas. Ich konnte meine übertriebene Zuneigung nicht mehr verstehen. Meine Erlebnisse hätte ich mit jedem anderen ebenso haben können. Zunächst spürte ich noch Sympathie, ein wenig sentimentales Gefühl, mit Erinnerungen verknüpft. Doch auch das verging. Nichts blieb. – »Fertig«, sagte der Arzt.

Wir standen auf, sahen uns kurz an. Wir wussten genauso gut übereinander Bescheid wie zuvor. Aber wir waren uns fremd. Wir waren nicht aufeinander böse – wir hassten uns nicht. Wir waren uns nur gleichgültig. Er ging, und ich ging. Wir wandten uns voneinander ab und schritten hinaus, jeder in eine andere Richtung. Jetzt können wir aufeinander schießen...

 

Dieser Text stammt ursprünglich aus dem vergriffenen Taschenbuch-Band "Der grüne Komet" von Herbert W. Franke und ist hier der letzte Teil einer kleinen Reihe mit diesem Autor. Das Buch ist zum Teil noch antiquarisch erhältlich, zum Beispiel hier. Die Geschichte ist auch in dem Band "Die Zukunftsmaschine" enthalten und kann als Neuauflage bei der mediacomeurope GmbH (mce) über Art Meets Science bezogen werden.

Einige Erläuterungen zu Autor und Anlass finden Sie bei der ersten Folge. Weitere Informationen zu Herbert W. Franke auf seiner eigenen Seite sowie bei Art Meets Science.

Veröffentlicht am: 26.01.2013

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