Sie irren, lieber OB! Ein offener Brief als Antwort auf die Journalisten-Kritik von Christian Ude

von Michael Grill

Offensichtlich ein Fan der Kinks. Foto: Michael Nagy, Presseamt München

In der vergangenen Woche schrieb Münchens Oberbürgermeister Christian Ude im „Zeit Magazin“ einen Gastbeitrag mit dem Titel: „Beruf: Besserwisser“. Darin rechnet Ude, der vor seiner Zeit als Politiker und Rechtsanwalt selbst kurzzeitig Zeitungs-Volontär und -Redakteur war, mit dem Journalismus von heute ab. Unter anderem, so Ude, lieferten Journalisten die Politiker immer mehr dem allgemeinen Gespött aus, hielten sich selbst aber für unfehlbar. Damit hat er Recht, aber anders als er meint. Eine Erwiderung von einem, der Udes Arbeit seit mehr als 20 Jahren als Journalist begleitet.

Lieber Herr Ude,

als ich die Meldung las, Sie würden in einem Beitrag für ein Hamburger Magazin auf uns Journalisten losgehen, war ich elektrisiert. Endlich!, dachte ich und hoffte auf eine Watschn, die mein Berufsstand sich schon lange verdient hat und die vielleicht einige von uns mindestens zum Nachdenken bringen würde. Nach der Lektüre ihres Textes „Beruf: Besserwisser“ hatte ich aber eher den Eindruck, dass Sie nun auf den Spuren von Hannelore Kohl wandeln, die einst mit „Was Journalisten anrichten“ letztlich doch nur ein Kochbuch geschrieben hatte. Denn der Text ist nur etwa zur Hälfte das, was er sein sollte.

Das, was Sie da schreiben, haben Sie schon oft gesagt, bei Bürgerversammlungen, auf Empfängen oder ähnlichen Anlässen in München. Und es ist ja auch wahr: Journalisten kritisieren, mäkeln, maulen – und sind dabei selbstgerecht, hochnäsig und arrogant. Journalisten wissen immer alles besser und sie sind meist die letzten, die bereit wären, ihre flammenden Appelle und bissigen Kommentare nach Drucklegung (oder Onlinestellung) noch einmal zu hinterfragen oder gar im Lichte neuer Entwicklungen zu korrigieren. Journalisten sind unerträglich, und sie sind im Laufe der vergangenen 20 Jahre – also etwa ihrer bisherigen Amtszeit als Bürgermeister und Oberbürgermeister sowie meiner Berufszeit als Redakteur und Autor – immer unerträglicher geworden.

Und zwar, weil zu unseren naturgegebenen Schwächen auch noch die immer schlimmer werdende Armut der Mittel kommt. Die vierte Gewalt im Staat beugt ihr Rückgrat unter dem Druck von Verlegern, die entweder kein Interesse an oder kein Verständnis für die Sache haben, unter dem Druck von Geschäftsführern, die die Anzeigenabteilung für den Kernbereich ihrer Häuser halten und Medienunternehmen kaputtsanieren, und unter dem Druck von Chefredakteuren und Ressortleitern, die willfährige Karrieristen sind, die das Content-Blabla der Betriebswirtschaftler oder irgendeine pseudolässige Grundhaltung für journalistische Konzepte halten. Das geht schon so lange so, dass mittlerweile eine ganze Generation von Journalisten herangewachsen ist, die solche Verhältnisse für das normale Geschäft hält und sich entsprechend arrangiert.

OB Christian Ude und der Autor am Abend der Bundestagswahl 2005 bei der Münchner SPD-Wahlparty am Oberanger.

Bei einer Blattkritik in einer Münchner Redaktion hörte ich Sie, lieber Herr Ude, einmal sagen, dass man zu ihrer Zeit als Volontär für eine Schlagzeile à la „Einkaufsgutschein zu gewinnen“ oder „Das neue Super-Horoskop“ noch mächtig Ärger bekommen hätte, weil man die Leser weder zu Konsumtrotteln noch zu Esoterikidioten machen sollte. Auch damit hatten Sie damals Recht, aber leider blieb es – wie so oft – bei einer leicht ironisch und süffisant vorgetragenen Anmerkung, denn wirklich anlegen wollten Sie sich mit den Journalisten natürlich nicht.

Lieber Herr Ude, gehen Sie getrost davon aus, dass es inzwischen mehr als genügend Blattmacher gibt, denen es völlig egal ist, ob ihre Leser zu Konsumtrotteln oder Esoterikidioten werden, sofern sie nur – bitte, bitte! - doch nochmal die Zeitung kaufen. Gehen Sie darüber hinaus davon aus, dass mittlerweile alles, was Ihnen als Volontär einmal als Todsünden des Journalismus vorgestellt wurde  (Vermischung von Anzeigen und Redaktion, populistische Anbiederung an ein vermutetes Volksempfinden, Verdrehung der Wahrheit, insbesondere wenn es dem eigenen Vorteil dient, u.a.m.), in manchen Redaktionen Gang und Gäbe ist. Weil man denkt, der Leser würde es nicht bemerken, wenn man ihm bezahlte Botschaften als Redaktion verkauft, beziehungsweise weil man glaubt, das Publikum würde es honorieren, wenn man ihm die Welt so schildert, wie es sie mutmaßlich „gerne“ hätte.

Und nun, lieber Herr Ude, schlagen Sie vor, wir Journalisten sollten über unsere eigenen Fehler berichten (natürlich, wie immer, tun sie das hübsch ironisch abgefedert). Es ist aber genauso wenig Aufgabe von Journalisten, ihren eigenen Unfug anzuprangern, wie es Aufgabe von Politikern ist, am Jahresende selbst ihr Sündenregister vorzulegen. Letzteres machen wir Journalisten, dafür haben wir einen gesellschaftlichen Auftrag: Journalisten kontrollieren Politiker. Wenn man nun die Journalisten dazu auffordert, sich selbst zu kontrollieren, ist das etwa so sinnvoll, wie wenn man den Politikern die Möglichkeit geben wollte, Wahlergebnisse je nach Selbsteinschätzung selbst festzulegen.

Nein, es braucht immer die andere Instanz. Wir Journalisten sollen kritisiert und hinterfragt werden, aber nicht von uns selbst, sondern von Lesern, Hörern, Publika aller Art, von Bloggern, Politikern, Gremien und Gerichten. Damit das, was immer mehr in den Redaktionen einreißt und die Zukunft der ganzen Zunft gefährdet, zumindest eingedämmt werden kann.

Das ist das eine. Das andere ist die Art, mit der Sie – auch in dem aktuellen Betrag für das „Zeit Magazin“ - so zielsicher und erfolgreich den Mainstream der Meinungen treffen. Das ist legitim und wahrscheinlich sogar eine Kunst für sich. Aber es muss trotzdem jemanden geben, der Ihnen auch nach der brillantesten Rede, dem gelungensten Essay in die Parade fährt.

Christian Ude und Edith von Welser-Ude 1992 nach dem Auftritt des damaligen Bürgermeisters bei "Heppel & Ettlich". Foto und Repro: Michael Grill

Erinnern Sie sich an eine unsere ersten Begegnungen, es muss so um 1990 gewesen sein war im Juni 1992? Sie waren noch einfacher Bürgermeister und ich noch nicht mal Volontär. Bei „Heppel & Ettlich“ an der Kaiserstraße hatten Sie einen Ihrer ersten Auftritte mit einer kabarettistischen Lesung. In meinem Bericht nahm ich Ihren ironischen Ton auf und bemerkte, dass Sie das Publikum (und damit die Bürger) nicht an- sondern auslachen für seine Anmaßungen und Widersprüche beim Umgang mit Behörden und Politikern. Ich schrieb damals sinngemäß, dass dies doch eine erstaunlich distanzierte Haltung für einen Amtsträger sei, die man aber wegen der augenzwinkernd-satirischen Art des Vortrags nicht nur gut aushalten könne, sondern sogar lustig finden müsse. Und letztendlich sei dies eine kommunalpolitische Katharsis für beide Seiten, mit der der Alltag sowohl für den Bürger wie auch den Politiker etwas erträglicher werde.

Im Grunde, lieber Herr Ude, ist das bei Ihnen bis heute so. Ob nach Bürgerversammlung, Stadtratsdebatte oder Interview – es bleibt immer dieses mattwarme Wohligkeitsgefühl zurück, dass da einer alles im Griff habe und deshalb irgendeine Linie verfolge. Welche? - Das war dann auch schon egal. Sie schaffen es, nach allen Seiten auszuteilen und dabei trotzdem den paradoxen Eindruck zu vermitteln, Sie wären ein Verbündeter der eigenen Seite. Mit Ihrer Dialektik, also dem wechselseitigen, rhetorischen Tanz um echte oder vermeintliche Dilemmata Ihres Politikerlebens (wie auch jetzt wieder im „Zeit“-Text) haben Sie bislang noch jede Protestdemo, jede Ausschusssitzung, jede Redaktionskonferenz tot geredet. Für einen Politiker sind das Gottesgaben.

Und deshalb hat ein guter Teil der Münchner Journalisten schon vor Jahren vor Ihnen kapituliert. Grummelnd betrachten wir Ihre Unangreifbarkeit, mürrisch preisen wir Ihre Fähigkeiten (dunkel ahnend, dass das Journalistenleben auch dann nicht einfacher werden wird, wenn in ein paar Jahren ein spießiger No-Name-Sozi oder gar ein mitfühlender CSU-Langeweiler auf Ihrem OB-Thron Platz nimmt). Aber die Frage, wofür Sie eigentlich stehen, und ob das, was Sie sagen, tatsächlich so gut ist, wie es sich meistens anhört, muss immer wieder gestellt werden. Und letztendlich sind es auch wir Journalisten, die Sie in der Spur halten mit unserem Genörgle und unserem Misstrauen, solange Sie darauf Antworten haben. Das ist kein Verdienst, das ist ganz einfach unser Job.

Somit ist es, lieber Herr Ude, mit der Journalistenkritik genau anders herum: Wir Journalisten sind nicht dann besonders schlecht, wenn wir Ihnen auf die Nerven gehen. Sondern dann, wenn wir Ihnen nur noch höfliche oder gar lächerliche Fragen stellen. (Sie selbst erzählen gerne das Bonmot von der „Reporterin“ eines Privatradiosenders, die Ihnen das Micro vors Gesicht hielt und piepste: „Sagen Sie mir doch bitte, was ich Sie fragen soll.“). Wir sind nicht dann überflüssig, wenn wir das heilige Udesche Rathaus begranteln. Sondern dann, wenn wir so gut wir gar nicht mehr über Rathauspolitik berichten, weil leitende Verlagsmenschen dieses für uncool oder sonstwie leserbelästigend halten. Wir sind nicht dann auf dem Holzweg, wenn wir Ihre Texte hinterfragen, sondern wenn wir zu viele Ihrer – zugegebenermaßen oft sehr gut geschriebenen – Kolumnen abdrucken. Das sind die alten Regeln, die immer öfter vergessen werden.

Gegen Ende Ihres „Zeit“-Textes fassen Sie zusammen, Journalisten seien „dedicated followers of fashion“, also frei übersetzt schleimige Wendehälse. Das ist ja, wie Sie sicher gewusst haben, ein Zitat aus dem herrlich zynischen Kinks-Song gleichen Namens von 1966. Sind Sie sich wirklich sicher, wenn Sie das Gesamtwerk von Ray Davis und der Kinks bedenken, dass er damit nicht eher Richtung Politiker zielte?

Beste Grüße

Ihr

Michael Grill

Veröffentlicht am: 07.01.2011

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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Friedrich Edelmann
21.05.2011 10:33 Uhr

Ausgezeichnet, lieber Herr Grill.

Endlich jemand, der die meist positions- und orientierungslose glänzende Redekunst des Politikers Christian Ude treffend charakterisiert und analysiert, ohne Angst vor möglichen eigenen Nachteilen.

Wie es scheint (in den U.S.A. noch deutlicher zu sehen), liegt die Zukunft des guten Journalismus im Internet und nicht mehr bei den Printmedien.