Jazzfestival Saalfelden feiert seine 33. Ausgabe

Alte Recken und junge Racker, Wilde und Wirtschaftsfaktor

von kulturvollzug

Aufregend: Hasse Poulsen. Alle Fotos: Ssirus W. Pakzad

Schon die Anreise lohnt sich: durchs schöne Bayern, am Chiemsee vorbei, über Traunstein, dann ins wilde Salzburger Land – bis die Augen nach gut zwei Stunden Fahrt endlich im „Steinernen Meer“ baden können – einem imposanten Gebirgszug. Am Fuße des Massivs liegt Saalfelden – eine Gemeinde, von der man denken sollte, dass sie nur Trachtler und Jodler willkommen heißt. Stattdessen aber ist sie seit den mittleren 70er Jahren Anzugspunkt für die wichtigsten Denker des Jazz und die Fans dieser Musik. Hier im Pinzgau ging jetzt das 33. Jazzfestival Saalfelden über diverse Bühnen.

Die Intendanten Michaela Mayer und Mario Steidl.

Am Anfang taten sich die Einheimischen schon schwer mit all den Wilden, die ins Salzburger Land pilgerten, um diese fremdartige Musik zu konsumieren, die keinem Gesetz zu gehorchen schien, außer dem des Chaos. Schilder wie „Teilnehmer des Jazz-Festes in diesem Gastbetrieb nicht erwünscht“ fanden sich in manchem Fenster. Aber die Einstellung der Bürger hat sich gründlich gewandelt – kein Wunder, ist das Internationale Jazzfestival Saalfelden doch zu einem echten Wirtschaftsfaktor in der Region geworden, die sonst mit Skifahrern und Bergwanderern Umsatz macht.

Darin baden die Augen: das Steinerne Meer.

Von Anfang an war das Programm des Festivals denen vorbehalten, die nicht die alten Traditionen tot ritten. Hier waren immer schon Visionäre,   Konzeptkünstler, Avantgardisten gefragt. Diese Ausrichtung kam nach einer Zwangspause sogar noch deutlicher zum Tragen. Seit die Intendanten Michaela Mayer und Mario Steidl übernommen haben, geht es verstärkt darum aufzuzeigen, was der Jazz nach über hundert Jahren Existenz immer noch zu leisten vermag, mit welchen anderen Gattungen er sich einlässt, an welchem Punkt seiner Evolution er angekommen ist. Die Bands und Künstler, die die beiden einladen, locken nicht nur Gäste aus der näheren Umgebung und aus München oder Salzburg an. Backstage tummelten sich Medienvertreter und Unternehmer aus aller Welt (Verkehrssprache: Englisch, mit Akzent), und auch die zahlenden Zuhörer reisen von überall her ins Pinzgau.

Beherrscht das Wechselspiel zwischen Struktur und Freiheit: Gerry Heimgway.

Heuer setzten Mayer und Steidl auf gewachsene Bands – die von den Parametern des Jazz bestenfalls die Improvisation und den Forschergeist beibehielten, sonst aber in allen erdenklichen Genres wilderten. Der Rock etwa ist wieder stark im Kommen, ohne dass man mit ihm in die Klischeefallen der Fusionmusik tappen muss. Bei „Les Rhinocéros“ wummerte er zusammen mit Punk und nahöstlichen Themen zwischen den Taktstrichen, bei der Geigerin Jenny Scheinman ging er eine Beziehung zu folkigen Klängen ein. Ausgerechnet aber beim jährlich vergebenen Kompositionsauftrag, der diesmal an den Österreicher Martin Philadelphy ging, verpuffte der Rock wirkungslos. Was der Gitarrist und seine Begleiter da hin zimmerten, kriegt manche Garagenband spontan spannender hin.

Rock mit Bezug zu folkigen Klängen: Jenny Scheinman.

Viel aufregender waren da einige Konzerte, in denen sich eine komplexe Formensprache aufbaute, um dann wieder aufgelöst zu werden. Bands wie „BB &C“ oder „Side A“, dann die Gitarristen Mary Halvorson (USA), Kalle Kalima (Finnland) und Hasse Poulsen (Dänmark), die Schlagzeuger Ches Smith und Gerry Hemingway (beide USA) oder der italienische Pianist Giovanni Guidi beherrschen das Wechselspiel zwischen Struktur und Freiheit meisterlich. In der Gruppe des französischen Bassisten Henri Texier entluden sich die Improvisationen in einer Musik, die vom Mahgreb bis in die Stammesgebiete nordamerikanischer Indianer führte.

Ehrenrettung durch - Pharoah Sanders.

Ausgerechnet einer der vermeintlichen Höhepunkte des Programms aber ging total daneben. Der Pianist und Komponist Muhal Richards Abrams (81), einer der Gründerväter der Chicagoer Avantgarde-Organisation AACM, hatte den Saalfeldenern ein exklusives Konzert mit neuer Musik angeboten, das er mit einigen der wichtigsten schwarzen Neutönern der letzten Dekaden aufführen wollte - unter ihnen Henry Threadgill, Roscoe Mitchell oder George Lewis. Doch diese Herren (und einige mehr) saßen während der 85 Minuten fast unbeschäftigt herum. Es gab insgesamt vielleicht fünf Minuten spröde Tutti-Passagen und sonst fast nur unbegleitete Soli. Wie kann man die Möglichkeiten eines solchen Ensembles nur so ungenutzt lassen. Traurig, traurig.

Wenigsten einer aus der Garde der alten schwarzen Recken sorgte zum Abschluss des Jazzfestivals Saalfelden für etwas Ehrenrettung. Der immer noch erstaunlich agile und expressive Saxofonist Pharoah Sanders, einst Weggefährte John Coltranes, ließ sich im brasilianisch-amerikanischen Projekt „Pharoah & The Underground“ von hypnotischen Grooves davon tragen – in lichte Sphären.

Ssirus W. Pakzad

Veröffentlicht am: 30.08.2012

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