"Götterdämmerung" eröffnet Opernfestspiele

Wenn Menschen und Götter gerade noch die Kurve kriegen

von Alexander Strauch

Nina Stemme (Brünnhilde), Stephen Gould (Siegfried), Anna Gabler (Gutrune) Foto: Wilfried Hösl

Die Bayerische Staatsoper eröffnet mit „Götterdämmerung“ in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg ihre Opernfestspiele 2012 und beschließt damit ihre Neuauflage der Ring-Tetralogie Richard Wagners.

Es ist geschafft! Unabhängig vom künstlerischen Ergebnis ist jede Produktion aller vier Opern des „Ring des Nibelungen“ Richard Wagners eine riesige Leistung für ein Opernhaus, wenn dies in einer einzigen Saison geschieht: Wie sich der Ring im Stück selbst alle Protagonisten untertan macht, arbeitet im richtigen Leben das gesamte Nationaltheater von oben bis unten an der Verwirklichung. So verwundert es nicht, wenn selbst kleinere Veranstaltungen der diesjährigen Opernfestspiele sich ganz dem Ringthema widmen, wie zuletzt die spektakuläre, nackte Menschenmassen ablichtende Fotosession von Spencer Tunick.

Andreas Kriegenburg, der Regiesseur aller vier Opern, zeigte in „Götterdämmerung“ statt nackter Haut vorwiegend in Anzüge gepresste Büromenschen, die Gewinnmaximierung und Luxuskonsum hinterherhetzen. Als hätte die Marketingabteilung des Staatsopernintendanten Nikolaus Bachler neue Werbeflächen gefunden, flackerten nach dem mythologischen Nornen- und Brünnhildenfelsvorspiel des ersten Akts zu Siegfrieds Ankunft in der Giebichungenhalle der Menschenwelt Projektionen von Edelboutiquen, wie direkt aus der Nachbarschaft der Maximilianstraße, und konkrete Namen wie „Dior“ über das Bühnenbild, das aussah wie ein Teil der „Fünf Höfe“. In leichten Varianten war dies bis auf die Waltraute-Szene das Einheitsbühnenbild der gesamten Oper. Die Büromenschen sind das Gegenteil zu den bisherigen von Kriegenburg dazu erfundenen Bewegungschören: Verwandelte sich in „Das Rheingold“ eine Picknickgesellschaft in blaue Rheinfluten und Burgzinnen Walhalls, halfen diese Menschen in „Die Walküre“ als gute Feen dem inzestuösen Geschwisterpaar oder wurden sie Rössern der Walküren, waren sie in „Siegfried“ Waldwesen, die beim Schmieden Nothungs massenweise den Blasebalg bedienten oder Siegfried und der wiedererweckten Brünnhilde das Liebesnest bereiteten. So vermisst man das liebgewonnene wie auch umstrittene hinzugefügte Hilfspersonal der mythischen Welten.

Nina Stemme (Brünnhilde), Iian Peterson (Gunther), Chor der Bayer. Staatsoper Foto: Wilfried Hösl

Assoziierte man während der ersten Ringopern dieser Produktionsreihe zuerst Filme wie „Wolfszeit“ oder „The Road“ beginnt „Götterdämmerung“ mit der Tsunami- und Atomkatastrophe von Fukushima: Bevor Wagner erklingt, sieht man kurz Nachrichtenclips dieses Dramas. Die ersten Akkorde der Oper, im Gegensatz zur Szene im ersten Akt sehr weich und breit von Maestro Nagano dirigiert, sind stumme Schreie von atomar kontaminierten, heimatlosen Menschen. Die zukunftsweisen Nornen – Jill Grove, Irmgard Vilsmaier, besonders Jamie Barton – sehen sich ratlos diese armen Wesen an, spinnen um diese statt Tannen ihren Schicksalsfaden, bis der schliesslich reißt und resümieren, was in den vorigen drei Opern passierte. Die Regie lässt sie unter den apathischen Menschen langsam gewähren, was ermüdet wie im nächsten Bild das Stehtheater anstelle sprühender Liebesschwüre von Brünnhilde und Siegfried, welcher von Stephen Gould vokalstark mit großem Durchhaltevermögen, aber wenigen Stimmfarben gesungen wird. Während seiner Rheinfahrt erahnt man zum ersten Mal wieder die vertrauten Bewegungschöre, allerdings zeigen die Büromenschen nur das seidenglänzende Innenfutter ihrer Anzüge und bilden einen schwarz verdreckten Rhein.

Die Giebichungengeschwister aus dem schlaksigen, nerdhaft schwachen Hornbrillenträger Gunther, gut getroffen mit Iain Paterson, und der rotlippigen, extreme Wallegewänder liebenden Gutrune schwelgen neoliberal in ihrem ererbten Reichtum und reiten auf Euro- statt Schaukelpferden. Sie verschlingen jede und jeden, wer nicht bei Drei im Büro knechtet oder ständig den Boden wischt. Mit ihrem Halbbruder Hagen, der Sohn ihrer gemeinsamen Mutter und des Nibelungen Alberich, verführen sie den anlandenden Siegfried, um ihn selbst als Mann für Gutrune, seine Brünnhilde als Gattin für Gunther und sein Rheingold als neue Spekulationsmasse zu gewinnen.

Das ist gut gesungen, ausser dem Europferdchen aber zäh bebildert, auch wenn die Büromenschen dazwischen an Filme wie „Equilibrium“ und „Gattaca“ erinnern. Spannung kommt erst auf, wenn der eingesprungene Eric Halfvarson als Hagen in seinem grossen Solo sein Ränkespiel zur Rückeroberung des Ringes für seinen Vater offenbart, die altgewordene Walküre Waltraute (Michaela Schuster) ihrer Schwester Brünnhilde vom greisen Wotan berichtet und Siegfried in Gestalt Hagens sie knechtet. Das lag aber nicht an Szene oder Dirigat, das gelang allein der immer packender werdenden Musik Wagners. Das macht sie glücklicherweise auch den gesamten zweiten Akt, der nun ebenfalls Nagano befeuerte. Zuerst ließ einem die Traumszene Hagens, in der ihm sein Vater Alberich (großartig Wolfgang Koch) erscheint, die Nackenhaare zu Berge stehen: Als sei man eine Wanze in einer Schaltzentrale der Macht, wurde man Zeuge eines Masterplans zur Weltvernichtung. Leider änderte sich das wieder schnell: Wenn Hagen die Büromenschen zur Doppelhochzeitsfeier von Siegfried/Gutrune und Gunther/Brünnhilde ruft, tragen sie statt Schwertern Smartphones, in die sie in jeder ruhigen Sekunde die glückliche Nachricht einhacken. Dies nervt leider auch schnell, da ausser einem riesigen Eurobartisch als Arena des Paarstreits zwischen der betrogenen Brünnhilde und Siegfrieds nicht viel passiert, es sei denn eine Ahnung von Personenregie im Racheterzett an Siegfried von Brünnhilde, Gunther und Hagen: sie verrät Hagen unüberlegt die Stelle am Körper Siegfrieds, an der er tödlich zu verletzen ist. Daraufhin ist überdeutlich ihre Zerrissenheit zwischen Liebe und Mordlust sichtbar.

Stephen Gould (Siegfried), Chor und Statisterie, Foto: Wilfried Hösl

Statt an einer Waldlichtung am Rhein tauchen zu Beginn des dritten Aktes die Rheintöchter, allesamt mit schönsten Stimmen (Eri Nakamura, Angela Brower, Okka von der Damerau), in den schnarchenden und eindeutig ineinander verkeilten Hochzeitsgästen auf, um Siegfried den Ring abzuluchsen, was ihnen misslingt. Wenn er später der Jagdgesellschaft aus Büromenschen, Gunther und Hagen den halben Inhalt der Oper „Siegfried“ vorsingt, um letztlich von Hagen rücklings erstochen zu werden, lässt Kriegenburg wie die beiden Akte zuvor ständig Gerüste für Auf- und Abtritte herauf und herunter fahren, lässt den ganzen Ring versteckte Bühnenmusik im Frack auftreten, als gingen im allmählich die Ideen für Wagners spannendste Oper aus. Der Komponist rettet die Stimmung mit „Siegfrieds Trauermarsch“, wo das den ganzen Abend vorzüglich aufspielende Staatsorchester das einzige Mal wirklich kurz in den Hörnern wackelte, was bei der schwierigen Partie aber mehr als verzeihlich ist. Bevor das Ende hereinbricht, durfte die Gutrune Anna Gablers endlich zeigen, was sie kann und legte eine extrem ausdrucksstarke Zerrissenheit zwischen Freude auf Rückkehr Siegfrieds und Vorahnung dessen Todes an den Tag.

Wenn Hagen im Streit um den Ring Gunther erschlagen hat, tritt endlich Nina Stemme als Brünnhilde wieder in Erscheinung und zerlegt mit ihrer Stimme den Rest der Szenerie und leitet den Weltuntergang ein: Statt im Vordergrund den Scheiterhaufen Siegfrieds anzuzünden, wird dies aber nach hinten verlegt, so dass Eisnebel und Feuerprojektion die Bühne einnahm. Die Büromenschen blicken nicht im Sinne Wagners erstaunt auf eine sich neu auftuende Welt, sondern fliehen mit Taschentüchern vor dem inszenierten Börsencrash. Einzig Gutrune verwandelt sich in ein weinendes Häuflein Elend. Und nachdem die Rheintöchter endlich ihr Gold wieder haben, tauchen die weißgekleideten Bewegungschöre vom Anfang des Rheingolds wieder auf und nehmen Gutrune in ihre Mitte, als sei der einzige Mensch mit einer Chance auf ein neues Leben nach dieser „Götterdämmerung“. So kriegte Kriegenburg im letzten Moment die Kurve und rundete einigermassen seinen Ring ab, der in hier mehr interpretierte als der Regiesseur eigentlich wollte und somit fast sein gesamtes Kapital verspielt hätte. Riesenapplaus für die Musik, untergehende Buhs für das Regieteam, aber insgesamt nur wenige Vorhänge am Ende für die Eröffnung der diesjährigen Opernfestspiele.

 

Veröffentlicht am: 02.07.2012

Andere Artikel aus der Kategorie